Jung und schön

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Die kleinen und großen Tode der Liebe

Sie sei doch jung und schön, so versucht es ihr Stiefvater an einer Stelle des Films zu erklären, da könne man schon erwarten, dass sie Angebote von Männern bekomme. Was Väter eben so sagen, wenn sie mit den Launen pubertierender Töchter nicht mehr klarkommen.
Im Falle von Isabelle (hinreißend gespielt von der sehr zerbrechlich und zugleich in ihrem Trotz unglaublich stark wirkenden Marine Vacth) aber liegen die Dinge ein wenig anders. Denn das Mädchen, das zu Beginn des Films im gemeinsamen Sommerurlaub mit ihrer Familie 17 Jahre alt wird und ihre sexuelle Unschuld an einen jungen Deutschen verliert, bekommt nicht nur einfach Angebote, sie selbst bietet sich Männern (und vor allem älteren Männern) per Kontaktanzeige an. „Lea75“ lautet ihr Codename in den sehr eindeutigen Annoncen und ohne dass jemand etwas davon ahnt, verfängt sich diese andere, zweite Seite der braven Schülerin Isabelle in einer Situation, die sie selbst geschaffen hat und aus der sie erst einen Ausweg findet, als bei einem ihrer Kunden aus dem „petit mort“ des Orgasmus der große, der echte und unwiderrufliche Tod wird.

Dann erst, als wegen des Todes von Isabelles/Leas Freier eines Tages die Polizei vor der Tür steht, erfahren ihre Mutter und ihr Stiefvater vom Treiben der Tochter, der es doch nie an etwas gefehlt hat. Fassungslos sehen sie zu, wie die Polizei dicke Geldbündel findet und noch schwerer fällt es ihnen zu verstehen, was da eigentlich genau geschehen ist, was Isabelle zu ihrem Tun gebracht hat.

Auch für den Zuschauer scheint es kaum möglich, die Beweggründe für das Geschehene zu identifizieren. Zwar bietet Regisseur Francois Ozon immer wieder Andeutungen für Erklärungsmuster an, doch im nächsten Moment entzieht er diese wieder. Weil Geld als Motiv wegfällt und Isabelles ungerührter Gesichtsausdruck keinen Zweifel daran lässt, dass sie sich nicht aus Lust oder aus einem Bedürfnis nach Unterwerfung verkauft, bleibt am Ende das unbestimmte Gefühl einer Rebellion gegen das wohl geordnete Elternhaus — oder auch eine Lust am Experimentieren, am Ausloten moralischer Codes, ein Herantasten an die eigenen Grenzen und diejenigen der anderen, der Erwachsenen, die möglicherweise die Triebfeder waren.

In gewisser Weise könnte man Jung und schön als Fortsetzung von Francois Ozon letztem Film In ihrem Haus ansehen. Hier wie dort sind es junge Menschen auf dem Weg zum Erwachsenwerden, die schonungslos die Wünsche, Begierden und Ängste der älteren Generation freilegen. Zwar ist Jung und schön nicht so spielerisch und elegant geraten wie In ihrem Haus, der insgesamt runder wirkte. Dennoch wirft der Film ein bezeichnendes Schlaglicht auf die komplizierte Welt junger Heranwachsender und lässt uns ahnen, wie kompliziert diese Zeit sein muss — auch und gerade, weil heute alles so vermeintlich offen und frei ist und sich Sexualität als Füllstoff einer innerlich leeren oder vielleicht auch nur einer suchenden Seele von allen Seiten als Ersatz anbietet.

Jung und schön

Sie sei doch jung und schön, so versucht es ihr Stiefvater an einer Stelle des Films zu erklären, da könne man schon erwarten, dass sie Angebote von Männern bekomme. Was Väter eben so sagen, wenn sie mit den Launen pubertierender Töchter nicht mehr klarkommen.
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Meinungen

Bernd Dötzer · 28.11.2013

Zweifellos ein französischer Film, der aufgrund des Themas und der Freizügigkeit auch für ein größeres deutsches "erwachsenes" Publikum geeignet ist. Die etwas rauhe deutsche Synchronstimme der weiblichen Hauptfigur ist von Vorteil und gibt der 17-Jährigen Persönlichkeit, die ich gerne auch durch etwas mehr Dialoge und Interaktion mit anderen Figuren vertieft gesehen hätte. Beim Schauen hat mich der Film sehr an "Belle de jour" erinnert, ebenso in einigen Szenen und aufgrund des Aussehens der Hauptdarstellerin an "Christiane F. - Wir Kinder vom Bahnhof Zoo". Mir gefiel die kurze Homage (zumindest ich empfand es so) des Regisseurs an Claude Pinoteaus "La Boum - Die Fete": das gleiche Gymnasium und eine ähnliche Szene mit den zwei Mädels auf dem Heimweg. Dennoch ist der Ton des Films ein ganz anderer. Ganz besonders mochte ich den Schluß des Films - eine tolle Szene, die den Film trotz einiger Fragen abrundet. Also ruhig reingehen, man kommt nicht aus dem Kino und denkt, das war verschenkte Zeit... sondern hat Lust auf noch mehr.

Francesco · 27.11.2013

Ich habe den Film damals nicht gesehen, aber so eine ähnliche Geschichte gab's doch schon mal in Julia Leigh's Film "Sleeping Beauty", oder?

"Jung und Schön" ist dank Marine Vacth zwar nett anzuschau'n, aber die Rolle ist Isabelle war mir doch etwas zu emotionslos angelegt. Von allen Ozob-Filmen, die ich kenne, ist "Unter dem Sand" nach wie vor mein persönlicher Favorit. ;-)