Jeder schweigt von etwas anderem

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Die DDR, jenseits von Drama und Volksbelustigung

Vier Menschen, drei Familien, ein Schicksal, das gleichermaßen verbindet wie trennt: Das ist die Geschichte des bewegenden Dokumentarfilmes Jeder schweigt von etwas anderem von Marc Bauder und Dörte Franke. Jeder schweigt von etwas anderem ist ein Film über die jüngste deutsche Vergangenheit, über die viele Menschen aus der früheren DDR immer noch nicht reden können. Ähnlich wie in der westdeutschen Nachkriegszeit wird geschwiegen, beschönigt, schön geredet und relativiert. Nur sehr langsam brechen die Mauern des Schweigens auf, und jeder Versuch einer Aufarbeitung ist von heftigen, teilweise sehr emotional geführten Auseinandersetzungen begleitet, wie auch die Diskussionen um Florian Henckel von Donnersmarcks Stasi-Drama Das Leben der Anderen beweisen. Jeder schweigt von etwas anderem widmet sich den Opfern eines totalitären Regimes, die exemplarisch für rund eine Viertelmillion Menschen stehen, die zu den Zeiten der DDR als politische Häftlinge in Bautzen und anderswo inhaftiert waren. Das Thema ist übrigens auch Teil der persönlichen Geschichte der Filmemacherin Dörte Franke, deren Eltern drei Jahre im Gefängnis waren, bevor sie wie viele andere auch von der Bundesrepublik freigekauft wurden.
Im Mittelpunkt des Films stehen Anne, Utz, Matthias und Tine, die wie viele andere auch in der DDR nicht mehr schweigen wollten und die dafür ins Gefängnis gehen mussten. Selbst heute, sechzehn Jahre nach dem Ende der DDR ist diese Erfahrung ständig präsent. Anne Gollin ist Schriftstellerin und hat ihre Empfindungen aufgeschrieben, zumeist in Gedichtform. Nebenbei arbeitet Anne Gollin als Führerin durch das Bundeskanzleramt in Berlin und in der ehemaligen Stasi-Zentrale. Auch Utz Rachowski, der bereits als Sechzehnjähriger ins Visier des Staatssicherheitsdienstes geriet und der schließlich wegen der Verbreitung von Schriften namhafter Dissidenten wie Wolf Biermann inhaftiert wurde, hat sich dem Schreiben zugewandt. Und auch Matthias Storck, der gemeinsam mit seiner Frau Tine verhaftet wurde, hat seine Erfahrungen niedergeschrieben. Biographien, die – so hat es den Anschein – durchaus bewusst und offensiv mit ihrer Vergangenheit umgehen. Doch Marc Bauder und Dörte Franke machen schnell klar, dass dies nur eine Seite der Wahrheit ist. Denn innerhalb der Familien der Porträtierten herrscht nach wie vor Schweigen und Tabuisierung vor, quer durch alle Generationen. Die Wunden, die das traumatische Erlebnis der Inhaftierung hinterlassen hat, sind tief. So weiß Matthias Storck beispielsweise nicht, ob seine eigenen Kinder seine Bücher überhaupt gelesen haben. Utz Rachowskis Kinder trauen sich nicht, den eigenen Vater auf dessen Vergangenheit anzusprechen, und das, obwohl dieser quer durch Deutschland reist, um seine Erfahrungen mit Schülern zu teilen. Schicksale in einem Deutschland zwischen Erinnerungs- und Verdrängungskultur.

Das Reden ist schwer geworden, zumal in einer Zeit, die durch Plaudereien und belanglosen Small-Talk geprägt ist, Doch gerade im Bezug auf die eigene Vergangenheit – sowohl die private wie auch die gesellschaftliche – ist Reden die einzige Chance, um Erfahrungen weiterzugeben. Nur wenn wir diese Fähigkeit und das Vermögen, zuhören zu können bewahren, war die Vergangenheit – so schmerzhaft sie auch gewesen sein mag — nicht umsonst. Marc Bauders und Dörte Frankes Film ist der erste Schritt in die richtige Richtung, er respektiert die Würde und die Scheu der Opfer und ermutigt diese, sich der Vergangenheit zu stellen und aufzuklären. Denn das ist nach wie vor dringend nötig.

Jeder schweigt von etwas anderem

Vier Menschen, drei Familien, ein Schicksal, das gleichermaßen verbindet wie trennt: Das ist die Geschichte des bewegenden Dokumentarfilmes Jeder schweigt von etwas anderem von Marc Bauder und Dörte Franke.
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