Jean Tinguely

Eine Filmkritik von Kirsten Kieninger

Immer in Bewegung

Jean Tinguely (1925 – 1991) starb vor über 20 Jahren, seine Kunstwerke sind immer noch sehr lebendig. Sie rattern, klappern, spritzen, und quietschen. In Museen, unter freiem Himmel, in Brunnen. Räder, Riemen, Gestänge und Kleinteile, zusammengezimmert zu Maschinen, „monströs, lächerlich und sinnlos“,“dazu verdammt, in einem beschränkten Raum immer wieder die gleiche Bewegung auszuführen, ist das nicht eine verrückte Geschichte?“. Zeitlebens hat Tinguely immer wieder mit Ironie und anarchischem Esprit sein Werk öffentlich kommentiert, es gibt eine Fülle filmisches Archivmaterial über sein Schaffen. Er selbst kam im Leben genauso wenig zum Stillstand wie seine kinetischen Kunstwerke: Eine solche Künstlerbiografie bietet sich als Sujet für einen Dokumentarfilm geradezu an.
Der Schweizer Regisseur Thomas Thümena hat zugegriffen und zeichnet in Jean Tinguely den bewegten Lebensweg dieses außergewöhnlichen Künstlers nach. Von seinen Anfängen als Schaufensterdekorateur in Basel, über seine bettelarmen Jahre als Avantgardekünstler in Paris. Dann sein rasanter Aufstieg zum Star der internationalen Kunstszene, bis hin zu seiner Anerkennung auch in der Schweiz, gefeiert als Nationalheld. „König der Schweiz“ nannte ihn Niki de Saint Phalle scherzhaft. Als zweite Ehefrau Tinguelys und seine wichtigste künstlerische Weggefährtin ist die für ihre „Nana“-Figuren berühmte Künstlerin auch in Thümenas Film präsent.

In Bezug auf Niki de Saint Phalle liefert Jean Tinguely quasi eine ergänzende Perspektive zu Peter Schamonis großem Filmporträt Niki De Saint Phalle: Wer ist das Monster — du oder ich? von 1994. Bei zwei Künstlern, deren Leben und Arbeiten über weite Strecken verbunden waren, verwundert es nicht, dass beide Filme teilweise auf das selbe Archivmaterial zurückgreifen (so tauchen z.B. Szenen ihrer gemeinsamen Sprengaktion 1962 in der Wüste von Nevada in beiden Dokumentarfilmen auf).

In Thümenas an sehenswerten Dokumenten reichem Film lässt das Archivmaterial, gekoppelt mit Erzählungen von Weggefährten und Familienangehörigen, den Menschen Jeannot (wie er von seinen Freunden genannt wurde) lebendig werden. Der Fokus liegt weniger auf seinem Werk und dessen Einordnung, als auf dem stetigen, fast manischen Schaffensprozess und dem genauso rastlosen Privatleben des Künstlers. „Anarchist im Alltag“ nennt denn auch Guido Magnaguagno den Künstler. Der Kurator ist einer der Zeitzeugen, die Thümena vor der Kamera versammelt hat. Zu Wort kommt auch eine Kunsthistorikerin, doch jene Schrotthändlerin, bei der Tinguely sich mit Material versorgte, hat die mitreißenderen (und nicht minder erhellenden) Geschichten zu erzählen.

Diese privaten Geschichten und zum Teil irrwitzigen Anekdoten, die langjährige Freunde und Weggefährten, ein Schwiegersohn Saint Phalles und ihre Enkelin zu erzählen haben, tragen erheblich zum Reiz des Films bei. Der sprühende Charme dieser Erzählungen macht dabei die TV-konforme Talking-Heads-Ästhetik wett, in der die Interview-Passagen vor der Kamera präsentiert werden. Wenn beispielsweise der Künstler Daniel Spoerri von wilden Dreiecks- und Eifersuchtsgeschichten berichtet, in dessen Zentrum Eva Aeppli, Tinguelys erste Ehefrau, stand. Oder wenn Tinguelys langjähriger Assistent Seppi Imhof erzählt, dass er seinen Job nur bekommen hat, weil er außer Auto fahren und Schweißen auch noch „Jassen“ konnte – Karten spielen. Diese unterhaltsamen Anekdoten sind in Jean Tinguely nie reiner Selbstzweck, sondern entwerfen ein facettenreiches Bild eines eigenwilligen Menschen und Künstlers, der seiner Kreativität zuliebe rastlos Raubbau an Gesundheit und Privatleben betrieben hat. Eines Mannes, fasziniert von Bewegung und Geschwindigkeit, der mehrere Ferraris besaß, seine Arbeit nach dem Rennkalender der Formel 1 plante und auch nicht zurückscheute rasend schnell eine Frau für eine andere zu verlassen. War die Beziehung des Künstlerpaar Christo und Jean Claude ein Inbegriff für Beständigkeit, so sind Tinguely und Saint Phalle pure Kinetik, die „Schöne und das Biest“ (so der Schwiegersohn), die nach ihrer Amour Fou dann als verheiratetes Paar schnell getrennte Wege gingen, waren vor allem anderen immer „Fundamentalisten der Kunst“ (so die Enkelin).

Bei aller Fokussierung auf den Menschen Tinguely verliert Regisseur Thümena dessen Schaffen jedoch nie aus den Augen. Mit Hilfe eines Off-Kommentars spannt er den chronologischen Bogen über alle wichtigen Stationen von Tinguelys künstlerischer Laufbahn und präsentiert seine Hauptwerke im Rahmen ihrer Entstehungsumstände. Von den ersten, klapprigen Métamécaniques (1953), über seine sich selbst zerstörende Hommage an New York (1960), seine populären Brunnen, um die sich in den 80er Jahren die Städte rissen („Ich bin kein Brunnenfabrikant“), bis hin zu seinem größten Vermächtnis: Der Zyklop. Eine 22 Meter hohe, begehbare Skulptur aus 3000 Tonnen Eisen, mithilfe von Niki de Saint Phalle und seinen Künstler-Freunden erst 1991 fertig gestellt.

Die Fülle an faszinierendem Archiv-Material von der Entstehung und Präsentation seiner Werke; wie es rattert, klappert, spritzt und quietscht; wie Tinguely schraubt, feilt und nie um Worte verlegen Stellung bezieht; das facettenreiche Bild, das die Interviewpartner von seiner Arbeitswut und Lebensfreude zeichnen; das alles macht Jean Tinguely zu einem sehenswerten und unterhaltsamen Dokumentarfilm – sogar für Leute, die vor Künstlerbiographien sonst eher zurückschrecken: Einem derart mitreißenden, charmanten Querkopf wie Jean Tinguely kann man kaum widerstehen.

Jean Tinguely

Jean Tinguely (1925 – 1991) starb vor über 20 Jahren, seine Kunstwerke sind immer noch sehr lebendig. Sie rattern, klappern, spritzen, und quietschen. In Museen, unter freiem Himmel, in Brunnen. Räder, Riemen, Gestänge und Kleinteile, zusammengezimmert zu Maschinen, „monströs, lächerlich und sinnlos“,“dazu verdammt, in einem beschränkten Raum immer wieder die gleiche Bewegung auszuführen, ist das nicht eine verrückte Geschichte?“.
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