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Wie sähe die Welt aus, wenn plötzlich alle Menschen aus ihr verschwunden wären? Ulrich Köhler schickt in seinem neuen Film einen Mann in eine Welt ohne Mitmenschen – bis er feststellt, dass es da noch eine Frau gibt.

In My Room (2018)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Niemand, nirgends

Das Leben von Armin (Hans Löw) ist aus dem Fokus geraten: Der TV-Journalist, der in Berlin lebt, hat einen wichtigen Auftrag vermasselt und alle Interviews, die er führen sollte, nicht aufgezeichnet. Und auch sonst läuft es bei ihm nicht gerade so, wie er sich das vorgestellt hat. Doch kann man noch einmal ganz von vorne anfangen, das Leben auf null drehen und von Neuem beginnen, als sei nie etwas anderes gewesen?

Unverhofft ergibt sich für ihn eines Tages genau diese Gelegenheit. Nachdem er einige Tage in einem Ort weilte, um seinen getrenntlebenden Vater (Michael Wittenborn) dabei zu unterstützen, die im Sterben liegende Großmutter zu pflegen, erwacht er am Tag nach deren Tod in einer Welt, der die Menschen abhandengekommen sind. Zuerst versteht Armin überhaupt nicht, was ihm und der Welt da widerfahren ist. Überall stehen oder liegen Fahrzeuge herum, stehen Läden und Tankstellen auf und sind doch menschenleer. Und dann geht ihm langsam auf, was für eine Chance in diesem Unglück liegt: Wie Adam, der erste Mann, hat er die Welt ganz für sich alleine und kann sich frei entscheiden, wie er leben möchte. Dann aber, nach einiger Zeit, in der er sich so eingerichtet hat, wie er es möchte, als er seine Form des Lebens, sein Paradies gefunden und für sich eingerichtet hat, steht plötzlich Kirsi (Elena Radonicich) vor ihm – und damit ändert sich alles.

Nichts deutet anfangs darauf hin, welche entscheidende surreale Wendung Ulrich Köhlers nunmehr vierter Spielfilm nach Bungalow (2002), Montag kommen die Fenster (2006) und Schlafkrankheit (2011) nimmt. Das Unerwartete, das Unvorhersehbare kündigt sich nicht an, es wird nicht von dramatischer Musik, Blitz und Donner begleitet, sondern es kommt einfach und wie selbstverständlich über Nacht und stellt Armin vor vollendete Tatsachen. Ein mysteriöses Ereignis, das an die Begebenheiten in Marlen Haushofers Die Wand erinnert: hier wie dort geht es nicht um Kausalitäten, Gründe und Erklärungen, sondern darum, was aus dieser neuen Situation folgt, wie der Mensch damit umgeht, wenn er ganz auf sich alleine zurückgeworfen ist.

Armin tut diese neue Situation sichtlich gut: Nach einem harten Schnitt, der einen unbestimmten, aber nicht geringen Zeitraum überbrückt, sehen wir ihn schlanker, der blasse Körper ist muskulöser geworden, gebräunter auch. Aus dem unglücklichen Stadtbewohner ist nun ein Jäger und Sammler geworden, ein Tüftler und Züchter, ein Landwirt, der vollkommen autark lebt und es sich gut in seiner Welt eingerichtet hat. Bis sich mit Kirsi (Elena Radonicich) für Armin die Chance ergibt, vielleicht doch noch die Liebe zu finden, was ihm bisher verwehrt geblieben war. Doch ist man wirklich füreinander bestimmt, wenn man der einzige Mann und die einzige Frau auf der Welt ist? Oder gibt es nicht vielleicht noch etwas anderes?

In My Room ist ein Film mit vielen Gesichtern: Ein realistischer Film über das Fantastische, eine philosophische Studie über Liebe, Einsamkeit und die Frage, wie man seinen Platz in der Welt findet; eine dystopische Utopie, ein leiser Thriller über das Ende der Welt und ihren Anfang. Ein Film, um zu staunen und sich selbst Fragen zu stellen: Wo wäre in diesem unwahrscheinlichen Falle, in einer ähnlichen Situation denn mein Platz in der Welt? Und: Muss ich wirklich darauf warten, dass so etwas geschieht? Oder beginne ich nicht lieber schon heute damit – auch mit dem Risiko zu scheitern?

In My Room (2018)

Armin wird langsam zu alt für das Nachtleben und die Frauen, die er mag. Er ist nicht glücklich mit seinem Leben, kann sich aber kein anderes vorstellen. Als er eines Morgens aufwacht, ist es totenstill: Die Welt sieht aus wie immer, aber die Menschheit ist verschwunden. — Ein Film über das beängstigende Geschenk maximaler Freiheit. (Text: Pandora Filmproduktion)

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Meinungen

Cinematik · 22.05.2023

Irgendwie erinnert mich das alles sehr an "Quiet Earth - Das letzte Experiment".

Schroeder · 21.11.2022

Und die Moral von der Geschicht: bist du nicht depressiv oder willst es nicht, dann schaue solche Filme nicht.
Grau, hoffnungslos, freudlos- da ist nichts , was dafür sprechen würde, diesen Film ein zweites Mail zu schauen. Es sei denn, mal will einem Mann minutenlang beim Pinkeln und gleichzeitig Zähneputzen, bei der Nutzung von Zahnseide oder beim Verbrennen seines Vaterhauses inclusive der toten Oma zusehen. Alles wirkt stümperhaft zusammengestückelt und lustlos aneinandergereiht. Ich habe vor lauter Langeweile in der Mediathek ständig vorgespult bzw. die doppelte Geschwindigkeit eingestellt. Sterbende Menschen und Hunde, ein ausgerechnet englisch sprechender (was sollte denn das?) weilblicher Freitag, natürlich passgerecht vom Alter zum einsamen Mann…das macht den Film zu guter Letzt auch noch rührend-kitschig trotz in erotischer Hinsicht schon eher gruseligem Sex… aber Hauptsache, Sex ist dabei, geht ja immer. Selten so einen schlechten Film gesehen. Man soll Filme nicht miteinander vergleichen, aber „Die Wand“ hat dasselbe Thema und wie grandios wurde es dort umgesetzt!

Kunigunde · 17.05.2022

Warum die Menschheit plötzlich nicht mehr vorhanden ist, wird nicht thematisiert. Es könnte sich auch um einen Albtraum handeln! Warum verläßt ihn am Ende die Frau, obwohl sie mit ihm geschlafen hat und schwanger sein könnte? Wo möchte sie hin, wenn die beiden vermutlich die letzten Menschen sind?
Fragen über fragen...................................................................

baumuc · 16.05.2022

Toll, wie dieser farblose, schwabbeliche Typ zu einem „richtigen Mann“ mutiert! Eigentlich fängt es schon an, wenn er wahrhaftig wird bei der Begleitung seiner sterbenden Grossmutter. Man ist ganz nah dran bei diesem beeindruckenden Film. Danke dafür!

Heike · 03.02.2021

Das Durchhalten, den Film anzusehen, hat sich gelohnt. Die Wandlung Armins vom farblosen, etwas übergewichtigen Stadtmenschen zum durchtrainierten Landwirt mit sinnvollen Aufgaben und täglichen Herausforderung war interessant. Unnötig, die vielen Situationen auf der Toilette...
Beklemmend, die Leere in der Welt, tatsächlich hab ich auch den Vergleich zur distanzierten Welt während "Corona" gesehen. Das Ende ist offen ... schade, dass "Eva" wieder weg gegangen ist @

zuni · 02.02.2021

Keiner versteht in diesen Film was da gerade passiert ist . Wahrscheinlich sind die Menschen weg Geschlumpft XD. EIn Mensch als Frau ist auch dabei. Wie Adam und Eva . Eva geht dann . Bisschen blöd

Lea · 02.02.2021

Ein starker Film, der meine Seele berührte. Die Situation erinnert an die Pandemie , die Einsamkeit, trotz ewigem Sommer und allem Materiellen, das der Mensch zum Leben braucht .

Gusa · 02.02.2021

Unfassbar banal, an den Haaren herbeigezogenes Zeug, langweilig, ohne Tiefgang.
Was sollen diese geistlosen lächerlichen Szenen? Kein lebender Mensch, ausgerechnet 1 Frau findet ihn und
Aber der L-top funktioniert

Sonni · 01.02.2021

Schon etwas abgefahren, aber nicht uninteressant, wenn man sich drauf einlässt. Die Sterbebegleitung war stark inszeniert, auch die Fahrszenen bis zum Tunnel. Insgesamt sehr beklemmend.

Tiffany · 12.12.2018

Mein Begleiter und ich konnten die zumeist positive Kritik des Films nicht nachvollziehen. Wir fanden den Film weder tiefgründig noch anregend noch unterhaltend, sondern schlichtweg langweilig, unnötig und nichtssagend. Jedoch eine Szene riss uns beide aus dem Halbschlaf: Armins nächtlicher Tanz im Scheinwerferlicht des LKWS. Kann jemand helfen und mir den Titel dieses bekannten Techno-Songs mitteilen?

Kati · 02.02.2021

William Orbit - Barbers Adagio For Strings (wenn auch ein paar Jahre zu spät, vielleicht freut sich jemand anderes :)

Isa · 02.02.2021

Perfekt! Ich freu mich, und wie!
Hab den Film gestern Nacht gesehen und bin auch begeistert von dem Stück. Was für ein Glücksfall für mich, so schnell fündig geworden zu sein.
Danke an Leeno und Kati : ))

Den Film fand ich auch fesselnd, nur schrecklich der Gedanke an die vielen Tiere, die der plötzlichen menschlichen Entvölkerung zwangsläufig weltweit mit zum Opfer fallen... irgendwo eingesperrt, unversorgt, ohne Chance auf Befreiung und Selbsthilfe. Besonders das Winseln des sterbenden Hundes im Hausflur, den Armin nicht fertigbrachte, zu erschießen, hat mich völlig fertig gemacht.

Klaus · 12.11.2018

Der Film regt an, darüber nachzudenken, was man machen würde "wenn" - rein theoretisch. Würde man das tun, was man bisher getan hat häuslich und praktisch zu sein oder würde man sich selbst im Wege stehen und nicht mehr aus seiner Frustration herauskommen?
Gute Frage.
Die Bilder fand ich eindringlich und betörend. Insbesondere der Teil der Sterbebegleitung war sehr ergreifend. Ich war froh zu lesen, dass es eine lebendige Schauspielerin war!
Die eine oder andere Toilettenszene empfand ich als überflüssig und als "unelegante" Versuche Authentizität herzustellen.
Toll fand ich, dass der kleine Ort Vlotho, in dem zumeist gedreht worden war, mehrfach explizit genannt wurde.
Die Geschichte kommt einem damit noch näher.
Insgesamt für mich ein sehenswerter Film, der der Auseinandersetzung Wert ist.