Im Nebel

Eine Filmkritik von Patrick Wellinski

Der ganz normale Alltag des Krieges

Der in Weißrussland geborene Dokumentarfilmer Sergej Loznitsa dreht nun seit geraumer Zeit Spielfilme. Nachdem er in Mein Glück die gewalttätigen Schattenseiten der modernen Ukraine skizzierte, begibt er sich mit Im Nebel zurück in die Zeit des Zweiten Weltkrieges. So verschieden die Umstände sind, in denen der Regisseur seine Filme ansiedelt, so gleichen sie sich doch thematisch. Sowohl Mein Glück als auch Im Nebel suchen nach dem Ursprung des Bösen und der Gewalt in einer moralfreien Welt.
1942 entgleist ein Zug an der sowjetischen Westfront. Die nationalsozialistischen Okkupanten verhaften eine Gruppe Saboteure und den unschuldigen Sushenya (Vladimir Svirsky) der zufälligerweise in der Nähe mit seiner Frau wohnt. Doch anstatt ihn zu hängen wird Sushenya freigelassen, nur um dann von zwei sowjetischen Partisanenkämpfern als Kollaborateur und Verräter in den Wald verschleppt zu werden. Dort wollen sie ihn umbringen, doch dazu kommt es nicht.

Im Nebel ist die Verfilmung des gleichnamigen Romans des weißrussischen Kriegsveteranen und Schriftstellers Wassil Bykau aus dem Jahre 1989. Bykaus Novellen kreisen um die moralischen Kernkonflikte gewöhnlicher Soldaten im Kriegsalltag. Wie sieht das Warten im Krieg aus? Wo beginnt der Verrat? Wer definiert Mut? Loznitsa hat aus der Vorlage sehr konzentriert die wesentlichen Konflikte herausdestilliert und sie in eine ähnliche freie Erzählstruktur überführt, die schon seinen Debütfilm charakterisierte.

Doch im Gegensatz zu Mein Glück ist nun die erbarmungslos-nervöse Handkamera einer Komposition den starren, langen Einstellungen von Kameramann Oleg Mutu gewichen. Es ist deutlich wie sehr Loznitsa versucht die Kompromisslosigkeit der Vorlage in Kinobilder zu bannen. Es gelingt ihm nicht, und das obwohl Im Nebel hervorragende Momente besitzt. Wenn die drei Männer im Wald ihre moralischen Standpunkte diskutieren und durch die Gegend ziehen, dann scheint der Krieg ganz weit weg, obwohl wir uns an der Front befinden. In diesem Wald ist es sehr still und es gefällt einem dann doch sehr, wie Loznitsa die üblichen Inszenierungsgesten einer Weltkriegsgeschichte umschifft. Interessant auch, wie frei er Rückblenden und Zeitsprünge in seine Narration einbaut, ohne Ankündigungen, ohne konventionelle Muster zu bedienen. Vielleicht war der Kriegsalltag ja wirklich so. Still und leise. Manchmal in der Ferne ein Schuss und dann das Warten, die mörderische Ungewissheit.

Aber warum kann Im Nebel letzten Endes nicht überzeugen? So talentiert Loznitsa als Regisseur ist, so fehlt es seinen Bildern an Wucht. Die langen Einstellungen suggerieren eine Tiefe, die sie nie wirklich erreichen, weil sie Bykaus Vorlage nur mäßig durchdringen. So fühlt man sich gezwungen an andere Meisterregisseure wie Theo Angelopoulos oder Bela Tarr zu denken. Gerade deren Strenge und Intensität hätte es bedurft, um der gnadenlosen Botschaft des Films und der Vorlage gerecht zu werden. Bykaus Werk hatte, ob seines Minimalismus, schon immer etwas Filmisches. Nicht umsonst gewann die Regisseurin Larissa Shepitko 1977 für die Verfilmung seiner Novelle Die Schlinge auf der Berlinale den Goldenen Bären. Das gleiche Glück wurde Loznitsa in Cannes nicht zuteil.

Im Nebel

Der in Weißrussland geborene Dokumentarfilmer Sergej Loznitsa dreht nun seit geraumer Zeit Spielfilme. Nachdem er in „Mein Glück“ die gewalttätigen Schattenseiten der modernen Ukraine skizzierte, begibt er sich mit Im Nebel zurück in die Zeit des Zweiten Weltkrieges. So verschieden die Umstände sind, in denen der Regisseur seine Filme ansiedelt, so gleichen sie sich doch thematisch. Sowohl „Mein Glück“ als auch „Im Nebel“ suchen nach dem Ursprung des Bösen und der Gewalt in einer moralfreien Welt.
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Meinungen

hallo · 18.11.2012

Eine kleine aber wichtige Korrektur:
Die Handlung des Filmes wie auch Bykaus Erzählung spielt nicht, wie vom Rezensenten behauptet, an der sowjetischen Westfront, sondern weit hinter der Frontlinie, im von den Faschisten okkupierten Belarus (in Deutschland fälschlicherweise als "Weißrussland" genannt). Deshalb hört man wenig von den Kriegshandlungen.