Im nächsten Leben

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Wendehälse mit Lebenslügen

Als sich in der deutschen Geschichte im Jahre 1989 die so genannte Wende ereignete, bedeutete dies für etliche Menschen in der ehemaligen DDR auch eine drastische Veränderung ihrer gewohnten Lebensumstände. Diese Revolution des Alltags gestaltete sich mit unzähligen Nuancen zwischen den Extremen der Befreiung sowie der Traumatisierung. Mit seinem Spielfilm Im nächsten Leben entwirft Regisseur Marco Mittelstaedt das unaufgeregte Porträt eines in die Jahre gekommenen Mannes, der innerhalb der neuen gesellschaftlichen und beruflichen Strukturen verzweifelt um seine Position und letztlich seine Würde kämpft, als er unvermittelt mit den weniger glanzvollen Aspekten seiner glorifizierten Vergangenheit konfrontiert wird.
Im System des real existierenden Sozialismus war Wolfgang Kerber (Edgar Selge) einst als Fotograf der staatlichen Nachrichtenagentur ADN eine angesehene Persönlichkeit mit großzügigen Privilegien, zu denen auch internationale Auslandsreisen zählten. Die Wende katapultierte den Journalisten privat wie beruflich auf verlustreiches Territorium, doch nunmehr ganz auf seine vage Zukunft fokussiert kämpft er als Polizeireporter gemeinsam mit seinem Zuträger Konrad Probst (Ralf Dittrich) für die berühmt-berüchtigte Berliner Boulevardzeitung in der ostdeutschen Provinz um seine dauerhafte Etablierung in diesem Genre. Doch so recht will dieses Vorhaben im Gegenwind der modernen Zeiten nicht gelingen, denn Kerber ist trotz allen Ehrgeizes schlicht ein alter Hase, mit der Betonung auf alt, was ihm sein dynamisch orientierter Chef auch unzimperlich zu verstehen gibt.

Im Zusammenhang mit seiner Tochter Margitta (Anja Schneider), die in Wolfen an einer Schule arbeitet und mit welcher er längst nur noch einen sehr distanzierten Umgang pflegt, erfährt er von einer vermissten Schülerin. Unter dem zunehmenden Druck der Konkurrenzfähigkeit ist Kerber entschlossen, diese Information zu einer spektakulären Geschichte auszuschlachten, die seinen Ruf retten soll. Dabei stößt er einerseits an die Grenzen der journalistischen Skrupellosigkeit und gerät andererseits in eine unerwartete Konfrontation mit seiner ganz persönlichen Vergangenheit, deren Abgründe er lange zu verdrängen bemüht war…

Gäbe es ein nächstes Leben, in welcher Dimension auch immer: Würde man tatsächlich alles anders machen? Ist der Verweis auf ein ganz anderes Dasein eine Ausrede, schlicht Resignation oder wahrhaft der Wunsch, eines Tages eine zweite Chance zu erhalten? Diese philosophischen Fragestellungen flankieren die Betrachtungen eines verrohenden Mannes, der bereit ist, die Würde Anderer für die Erhaltung der eigenen ganz erheblich zu verletzen. Feinfühlig inszeniert stellt Im nächsten Leben ein persönlich motiviertes Drama über die stark ambivalent geprägte Anpassung einer beinahe tragischen Figur an die neuen Gegebenheiten dar, die Regisseur Marco Mittelstaedt streckenweise seinem eigenen Vater nachempfunden hat, für dessen entsprechende Entscheidungen er selbst lange nur wenig Verständnis aufbrachte. So repräsentiert der Film in doppelter Hinsicht eine Auseinandersetzung mit den Konsequenzen der deutschen Einheit, die nach zwanzig Jahren nur wenig an Aktualität eingebüßt haben.

Im nächsten Leben

Als sich in der deutschen Geschichte im Jahre 1989 die so genannte Wende ereignete, bedeutete dies für etliche Menschen in der ehemaligen DDR auch eine drastische Veränderung ihrer gewohnten Lebensumstände. Diese Revolution des Alltags gestaltete sich mit unzähligen Nuancen zwischen den Extremen der Befreiung sowie der Traumatisierung.
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