Im Land der langen Schatten

Eine Filmkritik von Rajko Burchardt

Derangiertes Autorenkino

Das Regiewerk von Nicholas Ray (1911-1979) ist schwerlich auf einen Nenner zu bringen. Viele seiner Filme widersprechen sich ästhetisch und intellektuell, die Suche nach konkreten Motivkonstanten verläuft zunächst ins Leere. Er hat Meisterwerke des Film noir (Ein einsamer Ort), des Camp (Johnny Guitar), des Halbstarkenkinos (…denn sie wissen nicht, was sie tun) gedreht. Und ist zugleich künstlerisch wie kommerziell im großen Stil gescheitert – mit widerspenstigen Bibelepen (König der Könige) oder affirmativen Kolonialschinken (55 Tage in Peking), die ihn als Außenseiter Hollywoods bestätigten.

Im Land der langen Schatten fällt in diese zweite Kategorie und nimmt selbst darin noch mal eine Sonderstellung ein. Bei seiner Veröffentlichung 1960 ließ er weite Teile der Filmkritik ratlos zurück, manche haben ihn auch engagiert verrissen. Den Film nun viele Jahrzehnte später als übergangenes Meisterwerk zu identifizieren, mag ein cinephiles Anliegen sein, aber es dürfte weder ihm noch seinem Regisseur gerecht werden. Viel eher handelt es sich um einen Autorenfilm, der die Wiederentdeckung gerade deshalb lohnt, weil er so derangiert ist.

Im Mittelpunkt der Handlung stehen Inuk (Anthony Quinn) und dessen Suche nach einer Ehefrau, erzählen aber möchte der Film die Geschichte gleich aller Inuit. Ein betont sachlicher Voice-Over informiert daher schon zu Beginn über vermeintliche Sitten und Bräuche der „Eskimos“, um Scheindokumentarisches mit Spielszenen zu verzahnen. Die im Kolportagestil dargebotenen Behauptungen über das Leben der arktischen Inuit stammen historisch und kulturwissenschaftlich aus Absurdistan, offiziell beruft sich der Film auf den Roman Top of the World von Hans Rüesch.

Verkörpert werden die Inuit nicht von indigenen, sondern überwiegend japanischen Schauspielern. Sie sprechen infantile Dialoge und machen kindliche Gesten, der Originaltitel (Savage Innocents) ist durchweg Programm. Lückenlos also folgt das gebotene Bauerntheater einer tradierten Darstellungspraxis, die die Inuit als unbeholfen und dümmlich entwirft. Je mehr der Film und sein Voice-Over sich dabei der eigenen Akkuratesse versichern wollen, desto absonderlicher wirkt er – selbst die an Originalschauplätzen gedrehten Außenaufnahmen vermitteln den Eindruck von Studiokulissen.

Während seiner Reise zum außerhalb gelegenen Handelsposten trifft Inuk auf einen weißen Missionar, der die Polygamie des dickköpfigen Zampanos als christliche Sünde geißelt. Es kommt zu einer missverständlichen Auseinandersetzung, die den Mann das Leben kostet und Inuk zum Ziel polizeilicher Ermittlungen macht (Auftritt Peter O’Toole). Mit dickem Pinselstrich und gewiss besten Absichten zieht sich folglich eine als Zivilisationskritik getarnte Gönnerhaftigkeit durch den Plot, die um Verständnis für jene Menschen werben soll, auf deren klischierte Darstellung Nicholas Ray viel Mühe aufwendet.

Vielleicht liegt dem Film ein großes humanistisches Verständnis zugrunde. Und vielleicht ist er auch tatsächlich als aufrichtig gedachter Versuch zu deuten, das angeblich „Fremde“ gegen die Ressentiments eines Publikums zu verteidigen, für das er augenscheinlich gemacht ist. Diese Lesart aber räumt noch keine Widersprüche aus, sie schafft sogar immer mehr neue. Im Land der langen Schatten rekonstruiert das unsägliche Klischee der noble savages („Edlen Wilden“) als eine Art Rechtfertigung für seinen aufklärerischen Habitus – und bestätigt es, ob gewollt oder nicht, dadurch nur umso mehr.

Die beim sonst sehr vorbildlichen DVD-Label Pidax erschienene Neuauflage präsentiert den Film in guter und gegenüber der WGF-Fassung verbesserter Bildqualität. Der englische Originalton hat es nicht auf die DVD geschafft, dafür ergänzt seltsamerweise eine italienische Sprachfassung die deutsche Synchronisation. Das Bonusmaterial beschränkt sich auf den urigen Kinotrailer und ein Booklet mit Nachdruck der alten Illustrierten Film-Bühne. Im Vergleich zur mittlerweile vergriffenen britischen DVD von Eureka ist das leider keine Referenzveröffentlichung des Films.
 

Im Land der langen Schatten

Das Regiewerk von Nicholas Ray (1911-1979) ist schwerlich auf einen Nenner zu bringen. Viele seiner Filme widersprechen sich ästhetisch und intellektuell, die Suche nach konkreten Motivkonstanten verläuft zunächst ins Leere.

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