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Die taffe Theaterregisseurin Mariana arbeitet an einer radikalen Performance zur Rolle Rumäniens im Holocaust. Festivalliebling Radu Jude („Scarred Hearts – Vernarbte Herzen“) legt mit „Mir ist es egal, wenn wir als Barbaren in die Geschichte eingehen“ einen der innovativsten Filme des Jahres vor.

"Mir ist es egal, wenn wir als Barbaren in die Geschichte eingehen" (2018)

Eine Filmkritik von Simon Hauck

„Spielberg geht mir am Arsch vorbei“

Was haben Napoleon Bonaparte und Leni Riefenstahl gemeinsam? Was „Schwanzlutscher“ mit „Bolschewiken“? Und „Heil Hitler!“ mit „Fick dich!“-Rufen? Warum kämpfte der österreichische Philosoph Ludwig Wittgenstein im Ersten Weltkrieg für das Deutsche Reich? Was ist überhaupt „Geschichte“, was lediglich ihre Fiktion? Und wer repräsentiert sie wie im Anschluss? Und nicht zuletzt: wie soll – und gleichzeitig wie darf – man sich im Autorenfilm der Gegenwart einem Thema wie der millionenfachen Ermordung der Juden während des Zweiten Weltkriegs formal-ästhetisch nähern?

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Der rumänische Regisseur Radu Jude (Aferim!) hat mit Mir ist es egal, wenn wir als Barbaren in die Geschichte eingehen zweifellos einen der facettenreichsten wie herausforderndsten Filme des Jahres 2018 gedreht, der nun endlich in den deutschen Kinos zu sehen ist. Mit einer Vielzahl von Handlungsebenen, Zitaten, Archivmaterialien und filmisch exquisiten Gestaltungsmitteln erzählt er die (Anti-)Geschichte einer radikal-provokativen Theaterperformance, die offen die jahrzehntelang tabuisierte Rolle Rumäniens im Holocaust thematisiert.

Der Filmtitel bezieht sich auf einen unfreiwillig berühmt gewordenen Ausspruch aus dem Ministerrat des rumänischen Diktators Ion Antonescus (1882-1946) aus dem Jahr 1941, als der systematische Mord an den Juden wie den rumänischen Sinti und Roma bereits in vollem Gange war und in harscher Weise von oben herab diktiert wurde. So war es den rumänischen Soldaten beispielweise ausdrücklich befohlen worden, so viele Juden, Sinti und Roma zu jagen und umzubringen wie nur irgend möglich.

Über die genaue Menge dieser Verbrechen, jener „Olympiade der Massaker“, wie es im Film zynisch heißt, existieren bis heute – analog zu den furchtbaren Verbrechen der Wehrmacht in der heutigen Ukraine oder in Weißrussland – unterschiedliche Zahlen. In Rumänien wurden zum Beispiel beim „ Massaker von Odessa“ in zwei Tagen alleine über 25.000 Juden erschossen, „bis die Gewehre geglüht haben“, wie es die von vielen Seiten bedrängte Regisseurin Mariana (Ioana Iacob) in Judes autoreflexiven Meta-Geschichtsfilm einmal ebenso nonchalant wie konkret-ehrlich auf den Punkt bringt.

Zwischen Komik- und Schockelementen kreist dieser formal-ästhetisch herausragende Hybrid-Film von der ersten Einstellung an. Dabei kann man Ioana Iacob wortwörtlich zusehen, wie sie in ihre Rolle als (reale) Schauspielerin wie als (fiktive) Regisseurin schlüpft. Nachdem sie sich mit ein, zwei kurzen Sätzen quasi dem Publikum vorgestellt hat, nimmt sie sich im Anschluss eines der Gewehre aus dem Militärmuseum, das nicht zufällig einem Theaterfundus gleich, und zieht damit im übertragenen Sinn selbst in den (Mediengeschichts-)Krieg, der in den folgenden zwei Stunden nicht nur sie, sondern erst recht auch den Betrachter jenes drastisch-intellektuellen (Schau-)Spiels extrem aufrütteln wird.

Im Grunde ist Radu Judes höchst innovative wie komplexe und durchgängig autoreflexive Geschichtsstunde ein brillanter Diskursfilm zur Unmöglichkeit, Historie zu erzählen bzw. geschichtliche Ereignisse überhaupt erst aufzuschreiben und damit für die Nachwelt zu dokumentieren. Denn es wird, wie seit der Antike geschehen und philosophisch erörtert, jederzeit eine Sieger- sowie eine Verlierer-Perspektive geben. Dazu natürlich auch jede Menge Kritik von Innen- wie Außenstehenden, weil keiner der Bösen ausschließlich schlecht dargestellt werden möchte genauso wie die Guten automatisch so etwas wie die moralischen Gewinner sein wollen, wofür Radu Jude mehrfach grandios mehrfachcodierte Szenen kreiert, die ihm in seiner Heimat mitunter viel Kritik eingebracht haben.

Im krassen Gegensatz zu zahlreichen Filmfestivals (von Jihlava über Toronto und die Viennale bis nach Hamburg), wo Mir ist es egal, wenn wir als Barbaren in die Geschichte eingehen trotz – oder gerade wegen seiner Bissig- wie Vieldeutigkeit ? – überwiegend enthusiastisch gefeiert wurde. „Der natürliche Stil der Geschichtsschreibung ist der ironische“, meinte einmal der scharfzüngige Philosoph und Weltzertrümmerer Arthur Schopenhauer. Exakt in jenem Geist hat Radu Jude mit diesen beiden außergewöhnlichen (Film-)Geschichtsstunden einen fulminanten Meta-Film geschaffen, der herrlich anarchisch zwischen Pogrom-, Agitprop-, Sex- und Marschszenen mäandert und souverän mit dem Mitteln des zeitgenössisch-performativen Schauspieltheaters agiert, ohne je eine Minute lang zu enervieren. Da hätten auch Brecht, Ionesco, Piscator und Schlingensief partiell sicherlich ihre Freude daran gehabt.

"Mir ist es egal, wenn wir als Barbaren in die Geschichte eingehen" (2018)

Ein junger Künstler plant die Rekonstruktion eines Ereignisses aus dem Jahre 1941, bei dem die rumänische Armee an der Ostfront eine ethnische Säuberung durchführte.

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