Hunger auf Leben

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Die Schriftstellerin Brigitte Reimann und ihre Zeit

Der biographische Spielfilm von Markus Imboden über Brigitte Reimann basiert auf den ausführlichen Tagebüchern der DDR-Schriftstellerin, die diese zwischen 1955 und 1970 verfasste. Hunger auf Leben schildert das Schicksal der jungen Lehrerin, die mit Anfang zwanzig ihre große Liebe zum Schreiben entdeckt, der sie bis zu ihrem frühen Tod mit 39 Jahren treu bleiben wird – im Gegensatz zu den Männern in ihrem Leben, denn die lebenshungrige Frau verliebt sich ebenso häufig wie heftig. Sehr gelungen werden die unterschiedlichen Facetten der Schriftstellerin und ihres Werkes transportiert, aus dem immer wieder Sequenzen zu hören sind, die die Gedanken und das Wesen Brigitte Reimanns einfangen und den Kontext zwischen ihrer Arbeit und ihrem Lebensweg veranschaulichen, wobei die politische Komponente ihrer Position in der DDR ganz besonders differenziert dargestellt wird. Martina Gedeck, die in dieser Rolle wahrhaft überzeugt, erhielt für die Verkörperung der Brigitte Reimann den Deutschen Fernsehpreis in der Kategorie Beste Schauspielerin, doch auch die Leistungen ihrer überwiegend männlichen Kollegen können sich sehen lassen – die Stimmigkeit des Ensembles ist sicherlich die wichtigste Qualität dieses Films.
Die junge Lehrerin Brigitte Reimann (Martina Gedeck) lebt mit ihren Eltern (Jutta Wachowiak, Günter Junghans) und ihrem Bruder Lutz (Uwe Bohm), mit dem sie eine sehr innige Beziehung verbindet, sowie ihrem Mann Günter (Heinrich Schmieder) in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts in dem kleinen Städtchen Burg in der DDR. Brigitte entdeckt ihr Bedürfnis und ihr Talent zu schreiben und findet recht rasch Beachtung und Zutritt zu Schriftstellerkreisen, in denen sie als lebenslustige, attraktive Frau eine schillernde Ausnahmeerscheinung darstellt, zumal ihre Fähigkeiten sowohl Kollegen als auch Lektoren und Funktionäre überzeugen. Dies führt allerdings zu heftigen Schwierigkeiten mit ihrem Mann, denn Günter gefällt ihre permanente Schreiberei so wenig wie ihre zunehmende Abwesenheit und ihre neuen Kontakte, zumal Brigitte mit manch männlichem Wesen nur allzu gern und schnell auf Tuchfühlung und darüber hinaus geht. Als Günter schließlich ausrastet, zieht das seine längere Inhaftierung nach sich, während Brigitte bald darauf eine Fehlgeburt zu verkraften hat und einen Suizidversuch unternimmt. Kurz nach seiner Entlassung trennt sich Brigitte von Günter, die längst gänzlich auf literarischen Pfaden mit ebensolchen Bekanntschaften wandelt.

Brigitte, die von den Werten einer sozialistischen Gesellschaft überzeugt ist, eckt dennoch bald mit der Stasi an, deren Praktiken sie unverblümt ablehnt, doch ihr drohender Ausschluss aus dem Schriftstellerverband scheitert an ihrem wachsenden Einfluss und an wohl gesinnten Fürsprechern. Anfang der sechziger Jahre zieht Brigitte mit ihrem Lebens- und Arbeitsgefährten Siegfried Pitschmann (Kai Wiesinger) in die dort entstehende Neubausiedlung nach Hoyerswerda, um in einem Kombinat zu arbeiten und in direktem Kontakt mit dem werktätigen Volk konkrete Erfahrungen für ihre Autorentätigkeit zu sammeln, die sich in diesen Zeiten erfolgreicher denn je entwickelt – Brigitte wird 1965 mit dem Heinrich-Mann-Preis ausgezeichnet. Pitschmann jedoch leidet unter einer anhaltenden Schaffenskrise, während seine Gefährtin nun zunehmend offen Gefallen an dem undurchsichtigen Zyniker Jon findet, ohne zu ahnen, dass dieser von der Stasi auf sie angesetzt wurde. Ihr Bruder Lutz orientiert sich derweil frustriert von seinen Lebensumständen in den Westen, was zu einem heftigen Konflikt mit seiner Schwester führt, die ihn zunächst als Verräter empfindet. Nach der unvermeidlichen Trennung von Pitschmann ist es noch ein ganz anderes, existentielles Problem, mit dem Brigitte schließlich ihren letzten Kampf ficht: Bei ihr wird Krebs in fortgeschrittenem Stadium diagnostiziert.

Hunger auf Leben ist ein stimmiges, sorgfältig inszeniertes Bio-Pic, das die damaligen bewegten Zeiten in Autorenkreisen auf vielschichtige Weise repräsentiert, wobei auch die Ausstattung mit liebevollen Details wie heute nostalgisch anmutenden Fahrzeugen oder der Mode für eine authentische Atmosphäre sorgt. Für die Leserschaft von Brigitte Reimann, aber auch für allgemein literarisch oder politisch einschlägig Interessierte ist dieser Film über ein ungewöhnliches Schriftstellerdasein in der DDR ein allemal empfehlenswertes Kleinod.

Hunger auf Leben

Der biographische Spielfilm von Markus Imboden über Brigitte Reimann basiert auf den ausführlichen Tagebüchern der DDR-Schriftstellerin, die diese zwischen 1955 und 1970 verfasste.
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