The Human Scale

Eine Filmkritik von Gregor Torinus

Städtebau im menschlichen Maßstab

In dem Dokumentarfilm The Human Scale widmet sich der dänische Filmemacher Andreas M. Dalsgaard den Fragen, was Städte lebenswert macht und wie sich die Lebensqualität unserer Städte verbessern lässt. Im Zentrum seiner Beobachtungen steht die Arbeit seines Landsmanns Jan Gehl, eines Städteplaners, der sich der Wiederbelebung öffentlicher Räume verschrieben hat.
The Human Scale beginnt mit einer Gegenüberstellung des rein mechanischen Verständnisses der Stadt der klassischen Moderne und den humanistischen Überlegungen Jan Gehls. Der Pionier der Moderne Le Corbusier verstand Häuser als reine Wohnmaschinen und Städte als gigantische Apparate, die am besten funktionieren, wenn man ihre unterschiedlichen Funktionsbereiche möglichst sauber trennt. Dies hat zu städtebaulichen Fehlentwicklungen wie den weitverbreiteten toten Büro- und Innenstädten geführt. Als Gegenmodell hat Jan Gehl die historische italienische Stadt mit ihrem auf Fußgänger ausgelegten Maßstab mit zahlreichen pittoresken Piazzas und anderen öffentlichen Räumen (wieder-)entdeckt. Nach diesem Vorbild hat der Städteplaner die Wiederbelebung der zuvor rein auf den Automobilverkehr ausgelegten Kopenhagener Innenstadt in die Wege geleitet, welche heute die längste Fußgängerzone Europas besitzt.

Beachtliche Erfolge konnte das Studio auch in den als europäisch geprägt geltenden Städten Melbourne und New York verzeichnen. In dem nach einem verheerenden Erdbeben großflächig zerstörten Christchurch in Neuseeland erbrachte eine Bevölkerungsumfrage ebenfalls, dass man sich einen Wiederaufbau nach europäischem Vorbild wünschte. So wurde die maximale Bauhöhe auf sieben Geschosse begrenzt. Dies passt zu dem Filmtitel The Human Scale, bezieht sich dieser doch scheinbar auf die bekannte Diskussion, ob die traditionelle europäische Stadt aufgrund ihres menschlichen Maßstabs nicht lebenswerter, als jedwede amerikanisch geprägte Hochhausstadt sei.

Nur befasst sich der größte Teil der Dokumentation gar nicht mit der Veränderung des konkreten Maßstabs einer Stadt, sondern mit der Schaffung bzw. Verbesserung öffentlicher Räume. Explizit sagt der Städteplaner Jan Gehl, dass ihn mehr der Raum zwischen den Gebäuden, als die Architektur an sich interessiere. The Human Scale wischt über solche für eine ernsthafte Diskussion notwendigen Differenzierungen jedoch weitestgehend hinweg. So entsteht der Eindruck, dass sich der Filmemacher Andreas M. Dalsgaard nicht eingehend genug mit der von ihm behandelten Materie befasst hat. Darüber hinaus ist von der formalen Seite her zu sagen, dass The Human Scale insgesamt ein recht brav abgefilmter Dokumentarfilm ist, in dem möglichst unaufgeregt die wechselnden städtischen Panoramen und die unterschiedlichen Experten möglichst dezent ins Bild gesetzt werden. Wenn der Pressetext den Film dann als „ein ästhetisches Experiment“ verkaufen möchte, fragt man sich schon, was damit eigentlich konkret gemeint sein soll.

Das Hauptproblem von The Human Scale liegt jedoch darin, dass der Film suggeriert, dass ein Bauen nach dem Vorbild der europäischen Stadt ein Allheilmittel für alle Städte auf der ganzen Welt darstellt. Doch zeigt das Beispiel der chinesischen Megastadt Chongqing, dass es damit recht schwierig wird, wenn in China Millionenstädte in wenigen Jahren wie Pilze aus dem Boden schießen. Die Städtebauer vor Ort sehen das Problem interessanterweise gerade in einer unreflektierten Nachahmung westlicher Vorbilder und suchen jetzt nach einem genuin chinesischen Weg um ihre rasant wachsenden Städte lebenswerter zu gestalten. Immerhin verfügen die Chinesen inzwischen über die notwendigen ökonomischen Ressourcen, um sich solche Fragen überhaupt erlauben zu können. Ganz anders sieht dies in Dhaka, der Hauptstadt Bangladeschs, aus. Mit 500.000 neuen Einwohnern pro Jahr ist Dhaka die am schnellsten wachsende Stadt der Welt und aufgrund der prekären wirtschaftlichen Lage gleicht dieses Wachstums zur Zeit einem einzigen Tanz am Abgrund.

In extrem schnell wachsenden Regionen ist eine gewisse städtische Verdichtung wahrscheinlich angebrachter, als ein Bauen „im menschlichen Maßstab“. Das zeigen gesichtslose Flächenstädte wie Los Angeles, die sich wie gigantische Krebsgeschwüre immer weiter in die sie umgebende Landschaft fressen und diese verschlucken, bis keine Umgebung mehr übrig ist. Zu solchen wirklich dringenden Thematiken hat The Human Scale jedoch nicht viel zu sagen. Der Film funktioniert trotzdem gut als ein erster Einstieg in die generelle Problematik.

The Human Scale

In dem Dokumentarfilm „The Human Scale“ widmet sich der dänische Filmemacher Andreas M. Dalsgaard den Fragen, was Städte lebenswert macht und wie sich die Lebensqualität unserer Städte verbessern lässt. Im Zentrum seiner Beobachtungen steht die Arbeit seines Landsmanns Jan Gehl, eines Städteplaners, der sich der Wiederbelebung öffentlicher Räume verschrieben hat.
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