Howl - Das Geheul (2010)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

The Beat(en) Generation

Sein Gedicht „Howl“ war so etwas wie ein Weckruf für die erwachende Beat-Literatur in den USA mitten in den stockkonservativen 1950er Jahren und machte deutlich, dass nicht alle Menschen in den USA dem American Dream verfallen waren. Allen Ginsbergs Gedicht war aber nicht nur ein deutliches Signal dafür, dass viele junge Männer, die im Zweiten Weltkrieg gewesen waren, ihre Mühe hatten, das Erlebte zu verarbeiten und sich wieder nahtlos in die Gesellschaft einzufügen. Es sorgte zudem 1957 für einen handfesten Skandal und für einen der Aufsehen erregendsten Prozesse in der Geschichte der amerikanischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Vor Gericht stand allerdings nicht der junge Dichter selbst, der bis zu diesem Zeitpunkt ein völlig Unbekannter war, sondern sein Verleger Lawrence Ferlinghetti und dessen Verlag City Lights. Der Vorwurf lautete auf Obszönität und wurde zu einem erbitterten Gefecht um Meinungsfreiheit und die Freiheit der Kunst, die schließlich nach langem zähem Ringen obsiegte.

Doch Rob Epsteins und Jeffrey Friedmans Spielfilm, der den Titel von Ginsbergs wohl bekanntestem Poem trägt, dreht sich nicht allein um jenen spektakulären Schauprozess, sondern versucht sich dem Werk auf verschiedene Weisen und Ebenen zu nähern. Neben den teilweise absurden Passagen vor Gericht, in denen Literaturexperten darüber streiten, wie der Wert, vor allem der künstlerische, von Literatur zu bemessen sei, sehen wir Ginsberg (James Franco) beim Rezitieren seines Gedichtes in einer Kellerspelunke, wo sein Vortrag immer wieder von lautstarken Meinungsäußerungen der Zuhörer unterbrochen wird. Zumeist direkt daran anschließend entführen expressive Animationssequenzen direkt in den Textkorpus des Gedichts, sie interpretieren und illustrieren das Werk gleichermaßen. Und zuletzt wird dieser multiple Blick auf eine Zeit voller Widersprüche durch nachgestellte Interviewpassagen ergänzt, in denen Ginsberg im Jahre 1957 Einblicke in sein Denken und Fühlen, in seine persönliche und künstlerische Entwicklung, seine Homosexualität und über die Traumata und Verletzungen gibt, die ihn zu einem Sprachrohr seiner Generation machten.

Epstein, der sich mit seinem Dokumentarfilm The Times of Harvey Milk bereits einem anderen Außenseiter der amerikanischen Gegenkultur zuwandte, arbeitet in diesem Film nach den gleichen Prinzipien, nach denen auch ein dokumentarisches Werk zu diesem Thema hätte entstehen können – was gleich am Anfang des Films darin deutlich wird, dass er wie ein Dokumentarist seine Quellen (nämlich die Gerichtsakten der Verhandlung sowie Interviews mit Ginsberg) nennt. Quasidokumentarisches Reenactment und Gerichtsdrama, Zeitporträt und Gedichtinterpretation, Biopic und eine scharfsinnige Reflexion über die Freiheit der Kunst: Howl — Das Geheul versucht vieles unter einen Hut zu bringen und wirkt dadurch mitunter zerrissen, sprunghaft und wie ein Flickenteppich. Andererseits passt genau dies bestens zum Lebensgefühl der Beatniks, ohne deren Wirken Protestkulturen wie die Hippies und Punks späterer Dekaden schlichtweg nicht denkbar gewesen wären. Die Animationssequenzen illustrieren die gewaltige Wirkung des Gedichts eindrucksvoll, sind aber sicherlich nicht jedermanns Geschmack. Und James Francos Spiel wirkt vor allem bei den Szenen, die ihn beim Rezitieren zeigen, etwas steif und hölzern. Angesichts des gewaltigen und kühnen Unternehmens der beiden Regisseure, einen Film rund um ein Gedicht und seine Auswirkung zu gruppieren, sind dies aber eher lässliche Sünden. Vielleicht muss man diesen Film einfach zwei-, drei- oder viermal sehen, um ihn zur Gänze schätzen zu können.
 

Howl - Das Geheul (2010)

Sein Gedicht „Howl“ war so etwas wie ein Weckruf für die erwachende Beat-Literatur in den USA mitten in den stockkonservativen 1950er Jahren und machte deutlich, dass nicht alle Menschen in den USA dem American Dream verfallen waren.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen