Holunderblüte

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Geschichten aus Ostpreußen

Mit seinem neuen Film Holunderblüte bringt der Dokumentarfilmer Volker Koepp seinen Filmzyklus zu Ende, den er in den Neunzigern begann und der sich dem Thema Ostpreußen verschrieben hat. In seinen vorherigen Werken Kalte Heimat (1995), Fremde Ufer (1996), Die Gilge (1998) und Kurische Nehrung (2001) hatte er sich vor allem den historischen und politischen Aspekten der Kulturlandschaft gewidmet, in Holunderblüte geht es nun – logisch für den Abschlussfilm eines Zyklus – um die Zukunft, sprich: die Kinder. Die sind vom schleichenden und teilweise bewusst in Kauf genommenen oder herbeigeführten Verfall der Gegend am meisten betroffen, kaum eines der Kinder, die der Film zeigt, sieht hier noch eine Perspektive, alle wollen sie weg.
Der Regisseur hat Kinder aus der Gegend um Kaliningrad, dem ehemaligen Königsberg, ein Jahr lang begleitet und lässt sie einfach erzählen. Und was man da zu hören bekommt, ist erschütternd und gibt einen Einblick in die ganze Hoffnungslosigkeit, die die Familien erfasst hat. Neben den ganz alltäglichen Phänomenen wie Freundschaft und Liebe klingt immer wieder an, wie sehr Gewalt und vor allem der allgegenwärtige Alkoholismus die kindlichen Lebenswelten prägen. Doch die Kids haben sich eine Gegenwelt geschaffen zum Elend der Erwachsenen, die in diesem Film kaum eine leibhaftige Rolle spielen. Sie sorgen füreinander, sind sich Halt und Trost, funktionieren beinahe so und oftmals besser, als wir uns das von einer „echten“, intakten Familie vorstellen können. Versehen nur mit äußerst sparsamen Kommentaren des Regisseurs und ganz und gar lyrischen Landschaftsaufnahmen atmet der Film eine Freiheit und Luftigkeit, die immer wieder vergessen lässt, wie ernst der Hintergrund des Films eigentlich ist. Kinderleben zwischen Abenteuer und bedrückender Armut und Lethargie – all dies fängt Koepp mit großer Würde und Erhabenheit ein.

Die Kinder und ihre Schicksale, sie lassen den Zuschauer nicht mehr los. Und sie sind ein eindrücklicher Beweis dafür, dass Stille, eine grandiose Landschaft und wunderbare Miniaturen sowie ein unverstellter, aber dennoch zärtlicher Blick auf die tristen Realitäten manchmal alles sind, was man für einen guten Dokumentarfilm braucht, der lange nachwirkt. Volker Koepp ist ohne Zweifel einer der Meister dieser leider viel zu selten gewordenen Kunst des Erzählens.

Holunderblüte

Mit seinem neuen Film Holunderblüte bringt der Dokumentarfilmer Volker Koepp seinen Filmzyklus zu Ende, den er in den Neunzigern begann und der sich dem Thema Ostpreußen verschrieben hat.
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Meinungen

s.lehmann · 27.08.2012

schade das dieser film so spät im fernsehen lief. sollte man früher senden, damit ihn viele menschen sehen können, um zu sehen wie gut es ihnen geht und alles viel positiver annehmen.

Franziska · 05.05.2008

Ein berührender Film über lebenslustige Kinder, die nichts und wieder nichts haben und dennoch das Beste aus diesem Nichts machen. Herrlich. Ein Film zum Nachdenken, was wir alles haben und was wir alles bräuchten. Wir sind verstrahlt von der Technik. Man könnte mit so wenig glücklich sein und versucht es mit so viel...

reiner nimz · 26.03.2008

sehr beschaulich, eindrucksvoll aber auch bedrückend

Kristine Ollanketo · 03.02.2008

ein wunderbarer Film