Holidays By The Sea

Eine Filmkritik von Stephan Langer

Herzlich willkommen in den Ferien!

Den ach so herbeigesehnten Ferien, in denen die kleinen oder manchmal auch etwas größeren Fluchten aus dem Alltag noch möglich sind. Diese kleinen Paralleluniversen auf Zeit können mitunter auch so aussehen: In einem aberwitzig winzigen Goggomobil fährt ein gesetztes Ehepaar mit stattlichen Ausmaßen zum Campingplatz, nur um dann dort in einer ähnlich knappen, doch wohlüberlegt funktionalen Behausung zu übernachten, Scrabble zu spielen und abends den kleinen Fernseher durch ein Vergrößerungsglas zu genießen. Oder: Ein Mann in Lackoutfit liegt geknebelt auf dem Bett, mit Handschellen ans Gestell gefesselt, ein Rosenbouquet ragt aus seinem wunden Hintern, die anwesende Domina nimmt sich genüsslich seine Brieftasche und den Autoschlüssel und lässt ihn zurück. Außerdem gibt es noch einen zwangsneurotischen Supermarktbesitzer, der alle Scannerstrichcodes mit Edding und Lineal selbst zeichnet und ein trampendes Punkerpärchen, das am Strand nächtigt, und zwar auf einer Decke inmitten eines von ihnen gezeichneten Grundrisses „ihrer“ Sandwohnung.
Dies sind nur einige der schrulligen Charaktere in Holidays By The Sea, der lebenslustigen und besonderen Sommergroteske von Pascal Rabaté. Besonders nämlich aus zweierlei Gründen: erstens inszeniert hier der Regisseur erneut (wie in seinem Erstling Bäche und Flüsse) seine eigene Comicvorlage, zweitens kommt der Film gänzlich ohne Dialog aus. Stilistisch wie inhaltlich ist er deutlich angelehnt an Jacques Tatis Die Ferien des Monsieur Hulot von 1953, ohne allerdings eine Fortsetzung dessen sein zu wollen. Holidays By The Sea ist bunter – das ist nicht weiter schwierig, war Tatis Film doch schwarz-weiß –, schriller und wollüstiger als das Vorbild.

Rabaté lotst sein Ensemble sehr sicher durch seine szenischen Tableaus, schildert visuell einfallsreich die Untiefen der Liebe samt all ihrer absurden Aspekte und gewinnt dabei auch traurigen Episoden eine charmant-poetische Situationskomik ab. Überhaupt: die Komik im Film ist mit dem Verzicht auf Sprache sehr körperlich, sie findet in und mit den Bewegungen der Spielenden statt. Wenn etwa das oben erwähnte beleibte Paar nach einem betont schwunglosen Digestif ihre beiden üppigen Körper zum Schlafen nebeneinander in das gerade einmal bettgroße Domizil zwängen, erheitert das auf liebenswürdige Art, ohne sich dabei über die Figuren lustig zu machen.

Nicht nur anhand dieser Szene lässt sich im spielerischen Ernst des Dargestellten eine hintergründige Kritik erkennen: Zwei der Maximen in Urlaub oder Freizeit sind arbeitsfreie Entspannung und leichtes Amusement. Adorno zufolge ist jedes „Amusement die Verlängerung der Arbeit im Spätkapitalismus“, das heißt jeder Mensch hat sozusagen ein Herz mit genormtem Büroprozessor, er kommt in seinem freizeitlichen Amüsierwillen nicht von verinnerlichten Verhaltensstrukturen des Arbeitsplatzes los. So richtet sich das Ehepaar in ihrem Urlaub ein: ihr Ferienquartier ist sehr durchdacht und mit den beschrifteten Schubfächern im Boden bestens strukturiert. Auf diese Weise gewöhnen sie sich an den kleinen Lebensraum, den sie sich durchaus im doppelten Sinne eingeräumt haben. Passend machen anstatt etwas zu verändern. Dabei verbiegen sie sich wortwörtlich, ohne es überhaupt zu merken.

Für all diejenigen, denen Adorno zu düster und kulturpessimistisch anmutet, sei zusätzlich noch Folgendes erwähnt: Der Filmtitel lautet im französischen Original Ni à vendre ni à louer, was soviel bedeutet wie „Weder zu verkaufen, noch zu vermieten“. Parolenhaft ist dieser am Ende in den Sandstrand gemalt, mitten in die Grundrissskizzenwohnung der beiden Punkerinnen. Der Strand ist kein Spekulationsobjekt und soll auch in Zukunft keines werden. Verbindet man die Parole „Ni à vendre, ni à louer“ mit den an anderer Stelle aufgenommenen Closeups trister Schilder, die einem aus französischen Tourismusgebieten so geläufig sind – nämlich „À vendre“ oder „À louer“ – spricht sich der Film mit leisetreterischer Trotzigkeit gegen solch potentielle Entwicklungen aus. In denen werden Grundstücke als Spekulationsobjekte gekauft und sogleich versucht, sie an finanzkräftige, saisonale Sonnenanbeter weiterzuveräußern. Bei Erfolg wird der in der Nebensaison entvölkerte Badeort an der Loiremündung, in dem die Handlung von Holidays By The Sea angesiedelt ist, beispielhaft zur bitteren Regel. Und außerdem: wieso um alles in der Welt denn Holidays By The Sea als „deutsche“ Übersetzung des Titels? Sie steht an grotesker Absurdität einigen Szenen des Films in nichts nach. Nur ist sie nicht ansatzweise so elegant und originell. Die politische Ebene des Films wird durch diesen albernen und belanglosen Titel völlig verwischt.

Das Erstaunliche an Rabatés Figuren, an all diesen kuriosen Typen, die einen Querschnitt durch jede Gesellschaft darstellen, ist nun, dass sie sich all der theoretischen Last, die in ihre Inszenierung hineingelesen werden kann, nicht bewusst sind. Sie tänzeln spielerisch von einer Sequenz in die nächste, stolpern stellenweise aus dem Bild heraus, jagen etwas Verlorenem hinterher direkt in neue Bilder hinein. Sie verbinden ganz sanft und nahtlos eine Fülle von Handlungssträngen dieses mit 77 Minuten eher kürzeren Langfilms. Als Zuschauer verliert man dabei keineswegs den Überblick. Entspannt sitzt man im Kinosessel, beobachtet Menschen, deren stellenweise zutiefst abwegiges Verhalten einem seltsam bekannt vorkommt und schmunzelt dabei über eben jenes Leben, in dem wir uns alle – mal mehr, mal weniger – in den Sommermonaten bewegen.

Ach ja, noch ein letztes Wort: An Tatis Meisterleistung reicht Pascal Rabatés Hommage nicht heran. Das muss sie aber auch gar nicht. Ganz für sich genommen ist Holidays By The Sea ein launiges Bildvergnügen mit einem grazilen Anflug kritischen Esprits. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Holidays By The Sea

Den ach so herbeigesehnten Ferien, in denen die kleinen oder manchmal auch etwas größeren Fluchten aus dem Alltag noch möglich sind. Diese kleinen Paralleluniversen auf Zeit können mitunter auch so aussehen: In einem aberwitzig winzigen Goggomobil fährt ein gesetztes Ehepaar mit stattlichen Ausmaßen zum Campingplatz, nur um dann dort in einer ähnlich knappen, doch wohlüberlegt funktionalen Behausung zu übernachten, Scrabble zu spielen und abends den kleinen Fernseher durch ein Vergrößerungsglas zu genießen.
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Meinungen

Sterheltou Brigitte · 09.07.2012

selten sooooooooooooo gelacht, toll gemacht, hab noch lächeln mit nachhause genommen. Applaus !!!!!