A History of Violence

Großes Kino

Constantin wütet durch die Stadt der Engel, Batman erinnert sich seiner Anfänge als schwarzer Ritter, die Fantastic Four demonstrieren, dass man auch im Rampenlicht stehen und dennoch erfolgreich als Superheld seine Arbeit machen kann. Und dank Bluthochzeit hat es sogar die Adaption einer belgischen Vorlage, mit deutscher Starbesetzung, auf die Leinwand geschafft: Comic-Verfilmungen erfreuen sich 2005 einmal mehr großer Beliebtheit im Kino. Nicht zu vergessen das aller Orten für Furore sorgende, neueste Meisterwerk von Robert Rodriguez – Sin City. Im Oktober kommt nun mit A History of Violence eine weiterere Comic-Adaption in die Kinos.
Anders als der Titel vermuten lässt, beginnt der Film so süßlich harmonisch, dass man nach nur wenigen Minuten inständig hofft, es möge sich schnellstmöglich etwas ändern. Die vierköpfige Familie Stall lebt in einer fast schon erdrückenden Bilderbuchidylle in der Kleinstadt Millbrook im Bundesstaat Indiana. Selbst nach zwanzig Jahren Ehe lodert zwischen dem Coffeeshopbesitzer Tom Stall (Viggo Mortensen), und der Kleinstadtanwältin Edie (Maria Bello) noch das Feuer der Liebe und Leidenschaft. Die Kinder Jack (Asthon Holmes) und Sarah (Heidi Hayes) sind wohlerzogen. Bei Tisch unterhält man sich fröhlich, ist höflich und stets gesittet. Kaum noch zu ertragen ist diese Harmonie, wenn sich die gesamte Familie zu mitternächtlicher Stunde am Bett der jüngsten Tochter versammelt, nur weil das Kind einen Alptraum hatte. Die Stalls leben in einer derart übertriebenen Glückseligkeit, die jeden nur etwas gehässig veranlagten Menschen darauf hoffen lässt: Mögen doch die Monster aus Sarahs Traum schnell zu Leben erwachen und einen Riss in diese kitschige Idylle reißen.

Doch kein Glück hat dauernden Bestand, wusste schon Seneca. Und so schlägt das Schicksal mit eiserner Faust zu und bringt Unordnung in die Kleinstadtharmonie, als eines Abends Toms Diner von zwei skrupellosen Verbrechern überfallen wird. Statt sich dem Schicksal zu ergeben und verängstigt vor der rohen Brutalität der zwei Ganoven zu kuschen, reagiert Tom mit erstaunlicher Souveränität. Zur großen Überraschung aller Anwesenden und wohl zur größten Überraschung für sich selbst, wird aus dem ruhigen, zurückhaltenden und friedliebenden Tom von einer Sekunde auf die andere eine unerschrockene Kampfmaschine. Weil er so nicht nur sein eigenes, sondern vor allem auch das Leben seiner Angestellten und Gäste rettet, wird aus Tom schlagartig ein von der Stadt und den Medien gefeierter Held. Wie bei jeder Sensation setzt sich die landesweite Medienmaschinerie in Windeseile in Gang. TV-Sender reißen sich um exklusive Aufnahmen, Sensations-Reporter bemühen sich um Interviews mit den Opfern, den Freunden der Betroffenen und vor allem um eine Aussage des Helden höchst persönlich. Sie belagern das Stallsche Anwesen, stürmen das Cafè, das – dank der ach so menschlichen Sensationsgier – von einem Tag auf den anderen zu einem der meist frequentierten Läden der gesamten Umgebung wird. Dieser Rummel um seine Person verstört den introvertierten Familienvater. Will er doch nichts mehr, als schnellstmöglich zur gewohnten Normalität zurückkehren. Der Schrecken hat jedoch gerade erst begonnen und setzt sich fort, als eine Gruppe Furchteinflößender Gestalten, angeführt vom fürchterlich vernarbten Fogarty (Ed Harris in einer Paraderolle), in Millbrook auftaucht und ein mysteriöses Interesse an Toms Vergangenheit zeigt. Ganz allmählich bröckelt auch das letzte Stückchen Heile Welt der glücklichen Familie. Ihnen wird bewusst: Der Überfall hat alles verändert. Nichts wird mehr so sein, wie es einst war.

In weiten Teilen erinnert A History of Violence an einen guten alten Hitchcock Streifen. Anders als im modernen Actionkino, mit seinen vielen schnellen Schnitten und Bildfolgen, hält David Cronenberg die Kameras stets sehr lange auf seine Darsteller, fängt so ihre Emotionen, die Atmosphäre ein. Ganz allmählich verdichtet sich die Spannung. Das Grauen nimmt nach und nach Besitz von den Familienmitgliedern. Der Fröhlichkeit folgt Beklemmung. Das Vertrauen in Tom wird, angesichts der vielen unbeantworteten Fragen einer Zerreißprobe unterzogen. Immer lauter wird die Forderung nach Antworten: Ist Toms eiskalte Brutalität wirklich reiner Überlebensinstinkt? Und wieso kann er so gut schießen, Menschen so gezielt die Knochen brechen und sie schließlich brutal töten. Mit Schrecken fühlt Tom, wie er sich zunehmend in einen anderen Menschen zu verwandeln droht. Die ohnmächtige Familie steht ihm verstört gegenüber, hin und her gerissen zwischen Liebe und Entsetzen. Denn obgleich Tom nur aktiv wird, um seine Familie zu schützen, ändert dies nichts an der Tatsache, dass er gleichzeitig vor ihren Augen zu einem Killer mutiert.

David Cronenberg ist ein fantastischer Psychothriller gelungen, der sich den Abgründen der menschlichen Natur widmet. Und der zentralen Frage: Kennen wir einen Menschen jemals wirklich – egal wie lange wir mit ihm zusammen leben? Und wer ist dieser Tom Stall wirklich? Wie Gift, das sich ganz langsam im Körper verteilt, breitet sich innerhalb der Familie die Furcht vor dem vermeintlich so vertrauten Menschen aus. Geschürt wird diese Angst von dem allgegenwärtig erscheinenden Fogarty.

A History of Violence ist ein Film, der zwar ab und an in regelrechte Gewaltorgien abgleitet, doch diese zu keinem Zeitpunkt verherrlicht. Statt choreographierter Martial Arts Ästhetik zeigt der Regisseur die nackte Gewalt in Form von rohen und brutalen Kampfszenen. Schonungslos wird die Kamera drauf gehalten, die den Protagonisten auch bis in die tiefsten Abgründe folgt. Dabei lässt David Cronenberg seinen Schauspielern viel Raum sich und ihre Beziehungen unter einander zu entwickeln. Nur so ist das wirklich intensive Zusammenspiel der durchweg hervorragenden Schauspieler zu erklären. Viggo Mortensen, der als Aragon in der Herr der Ringe-Trilogie auch bei einem breiteren Publikum bekannt wurde, demonstriert eindrucksvoll den verzweifelten Kampf des liebevollen Familienvaters nicht zu der Person zu werden, vor der er sich selbst zu fürchten beginnt. Maria Bello überzeugt als Kleinstadtschönheit, die sich und ihre Ehe mit neuen Augen zu sehen lernt. Besonders betonen sollte man aber das gelungene Leinwanddebüt von Ashton Holmes alias Jack Stall. Der Youngster lässt sich zu keinem Zeitpunkt von seinen erfahrenen Schauspielkollegen in die Ecke drängen. Selbstbewusst und sehr authentisch mimt er den Außenseiter, den Querdenker und skizziert eindringlich den schmalen Grad zwischen Bewunderung und Abscheu für seinen Vater, dass es einem schier das Herz zerreißen möchte. Auch Ed Harris beweist einmal mehr, warum er in Hollywood zu den wirklich Guten der Branche gezählt wird. Ganz zu schweigen von einem entzückenden und in seiner Grausamkeit so humorvollen William Hurt. Sein Auftritt gehört eindeutig zu den Highlights im gesamten Film. Mit unbeschreiblicher Leichtigkeit mischt er ein klein bisschen Vito Corleone (Marlon Brandon als der Pate) mit ganz viel William Hurt und erweckt dabei eine Figur zum Leben, die einem das Lachen mitunter im Halse stecken lässt. Dabei sind es sind nicht die Dialoge, die den Witz tragen, es sind die Gesten, die Mimik, die Körpersprache. Und wer beherrscht dieses Kunststück besser, als William Hurt. Gerade diese wohldosierte Mischung aus abgründiger Handlung, eindringlicher Darstellung und schwarzem Humor machen aus A History of Violence kurz und knapp auf den Punkt gebracht: Großes Kino.

A History of Violence

Constantin wütet durch die Stadt der Engel, Batman erinnert sich seiner Anfänge als schwarzer Ritter, die Fantastic Four demonstrieren, dass man auch im Rampenlicht stehen und dennoch erfolgreich als Superheld seine Arbeit machen kann.
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Meinungen

Martin Zopick · 22.10.2022

Der Film ist nichts für Zart-besaitete. Es könnte fast eine biblisch-philosophische Parabel über die Zwangsläufigkeit von Gewalt sein. Bei ersten sinnlosen Morden sieht man nur das Endergebnis. Eine bedrohliche Atmosphäre baut sich auf, die Spannung steigt. Als dann der brave Daddy (Vicco–HerrderRinge–Mortensen) von der Vergangenheit eingeholt wird, fließt jede Menge Blut. Ein Teufelskreis, dem Mortensen anscheinend nur durch weitere Morde entkommen kann, bis er am gemeinsamen Familientisch wieder Platz nehmen darf. Auch der Sohn hat inzwischen ganz unerwartet ein Alphatier krankenhausreif geschlagen, von dem er mehrfach in die Enge getrieben worden war. Der Sex der Ehepartner auf der Treppe ist eine Mischung aus Vergewaltigung und Sado-Maso Praktik.
Alle hier gezeigten Aktivitäten haben offensichtlich eine Vorgeschichte, die diese endlose Kette von Brutalität und Mord nach sich zieht. Der Höhepunkt der Auseinandersetzung ist die Umkehr der Kain-und-Abel Geschichte. Hier tötet der Gute den Bösen. Als besonders diabolisch und unheimlich furchterregend sei noch William Hurt erwähnt, in der Rolle des bösen Bruders. Alle Charaktere werden unschuldig schuldig und meinen, sich nur mit dem Colt ihr Recht verschaffen zu können. Eine amerikanische Lösung also(?!).

Unkas · 03.11.2007

Verpufft, sozusagen :(

www.jeichi.com · 01.09.2006

leider noch nicht gesehen, aber schon alleine auf grund von viggo (aragorn) werde ich mir den film mal ansehen ...

Malone · 31.08.2006

Durchwachsener Film, interessant zwar, aber auch nichts was einen vom Hocker reißt, weder optisch noch intellektuell. Als der Film aus war, schoß mir zuerst durch den Kopf: "Wie, das war's jetzt?"

Miry · 25.04.2006

Super spannend und tragisch :)

· 24.11.2005

Der dargestellte amerikanische Familienkitsch ist unerträglich, auch wenn hier und da Qualität aufblitzt macht, dies alles zunichte.