Herzensbrecher (2010)

Eine Filmkritik von Lena Kettner

Donnerstag, 27. September 2012, WDR, 23:15 Uhr

Francis scheint am Ziel seiner Träume angelangt, als Nicolas ihn beim Versteckspiel im Wald aufspürt und sich über ihn beugt. Einen weißen Hasen will Francis erblickt haben, doch von dem Tier ist keine Spur sehen, als Nicolas auftaucht. Endlich kommt es zu dem ersehnten, intimen Moment mit dem Angebeteten voll erotischer Spannung, der jedoch von Nicolas jäh unterbrochen wird. Denn eine dritte Person wartet im Wald auf sie, Francis’ beste Freundin Mary.

Die Freundschaft von Francis und Mary wird auf eine harte Probe gestellt, als sie den blondgelockten Beau Nicolas zum ersten Mal sehen. Viel mehr, als dass er Literatur an der McGill University in Montreal studiert und neu in der Stadt ist, erfährt man nicht über ihn. Viel mehr wollen Francis und Mary aber auch nicht wissen, sind sie doch eher verliebt in die oberflächliche Vision der Liebe als in den Menschen selbst. Herzensbrecher (Les amours imaginaires), der zweite Film des 21-jährigen kanadischen Regie-Wunderkinds Xavier Dolan, wurde zuletzt bei den Filmfestspielen in Cannes mit dem Prix regards jeunes in der Reihe Un certain regard ausgezeichnet. Zwei Jahre nach seinem weit beachteten Spielfilmdebut I Killed My Mother erzählt Dolan in seinem neuen Film mit ästhetischer Wucht von der „eingebildeten Liebe“, wie die wörtliche und wesentlich treffendere deutsche Übersetzung des französischen Originaltitels lautet. Herzensbrecher handelt von der Kunst der Verführung, die das Herz leicht und beschwingt macht. Die Protagonisten befinden sich in einer Art Paralleluniversum, in dem sie die Eroberung Nicolas als einzigen Lebensinhalt ansehen. Dabei geht es Mary und Francis weniger darum, für den Aufwand, den sie betreiben, entlohnt zu werden. Denn keiner von ihnen wagt es, Nicolas anzufassen oder ihn gar zu küssen, wenn sich die Gelegenheit ergibt. Vielmehr möchten sie ihn bewundern, um die Vorstellung, die sie sich von ihm machen, nicht zerstört zu sehen.

Ähnlich wie in I Killed My Mother hat Dolan auch in Herzensbrecher wieder eine der Hauptrollen übernommen. Sein Francis ist in diesem Film ein Möchtegern-James-Dean mit Schmalztolle, aber ohne Sexappeal, Monia Chokris Mary wirkt mit ihrer eng geschnittenen Retro-Kleidung und ihrer strengen Hochsteckfriseur eher wie eine gealterte Barbiepuppe als die von Nicolas bewunderte Audrey Hepburn. Das Objekt der Begierde selbst hält sich lange Zeit bedeckt, was seine sexuelle Identität anbetrifft. Auch charakterlich bleibt er schwer fassbar, ist mal naiv, mal berechnend. Ein eiskalter Engel, der es genießt, seine Opfer zu manipulieren und sie leiden zu sehen.

Dolans versteht seine komplizierte Liebeskonstellation nicht als utopische Harmonie einer Dreiecksbeziehung wie Tom Tykwer in Drei oder als Experiment wie Rudolf Thome in Das Rote Zimmer. Nie drücken Francis und Mary in Herzensbrecher ihren Schmerz über die verzweifelte Liebe zu Nicolas durch Worte aus, vielmehr gelingt es dem Regisseur, ihr Seelenleben durch filmische und musikalische Mittel transparent zu machen. Dabei scheut sich der Kanadier nicht davor zurück, die Idealisierung des blondgelockten Beaus in knallbuntem Kitsch zu inszenieren. Denn allein der Gedanke an ihn löst im liebeskranken Hirn von Mary und Francis ein bizarres Kopfkino aus. In ihrer Phantasie ist er einmal ein Engel im Marshmellow-Regen und erinnert an ein Porträt des schwulen Künstlerpaares Pierre et Gilles. Ein anderes Mal weckt der Anblick des tanzenden Nicolas auf einer Party die Assoziation an Michelangelos David und an erotische Zeichnungen aus Jean Cocteaus Le livre blanc. Jump Cuts und schnelle Kameraschwenks vermitteln ein Gefühl für die innere Unruhe der Protagonisten und alternieren mit Szenen, in denen die Kamera stoisch auf den Gesichtern und Hinterköpfen der Protagonisten ruht oder in denen sie ihnen in Zeitlupe durch Montréal folgt. Die Sängerin und Schwulenikone Dalida liefert dazu mit ihrem herzzerreißenden Lied Bang Bang den passenden Sound.

Man erkennt in Herzensbrecher Anklänge an die Nouvelle Vague, an die Kameraführung von Christopher Doyle und an die Farbstilisierungen von Pedro Almodóvar. Dolan gelingt es, aus diesen Codes und Referenzen der Filmgeschichte seinen ganz eigenen Stil zu entwickeln. Großen Wert legt er auf seine ästhetische, in Teilen ästhetisierende Form, die den Inhalt bald vollkommen überlagert. Herzensbrecher leidet aber noch an einem anderen Problem: Die pseudo-dokumentarischen Interviewszenen mit ihren harten Zooms, in denen Männer und Frauen mit verbitterten Gesichtsausdruck über die Liebe und den Schmerz des Verlassenwerdens philosophieren, wirken seltsam aufgesetzt und deplatziert. Denn die allgemeine Reflektion über das schönste Gefühl der Welt und das Chaos, das dadurch verursacht werden kann, will sich nicht recht in die Ästhetik eines Films fügen, in dem die Sprache der Liebe nicht durch Worte, sondern durch Musik und Bilder transportiert wird.
 

Herzensbrecher (2010)

Francis scheint am Ziel seiner Träume angelangt, als Nicolas ihn beim Versteckspiel im Wald aufspürt und sich über ihn beugt. Einen weißen Hasen will Francis erblickt haben, doch von dem Tier ist keine Spur sehen, als Nicolas auftaucht. Endlich kommt es zu dem ersehnten, intimen Moment mit dem Angebeteten voll erotischer Spannung, der jedoch von Nicolas jäh unterbrochen wird.

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Meinungen

ksinbln · 18.07.2011

Schöner Film, Anschauen lohnenswert.

Hatte aber Längen, beispielsweise die vielen Szenen, in denen die Protagonisten in Zeitlupe von hinten zu sehen waren. Das mag OK sein, um dem Zuschauer Gelegenheit zu geben, zuvor Gesehenes in Ruhe verdauen zu können. Wenn aber sowieso schon minutenlang nichts passiert ist...?

Überhaupt nichts anfangen konnte ich mit den Interviewszenen mitten im Film. Ehrlich gesagt war ich gar nicht so recht in der Lage, diese zuzuordnen und habe als Reaktion darauf eher abgeschaltet. Auch auffallend (aber eher nicht positiv) fand ich das gelegentliche 2-sekündige Hin- und Herzoomen während dieser Interviews. Naja, es fällt zumindest auf. Wenn das der Sinn ist ...

Selten wirkten manche Szenen etwas spröde gespielt - aber möglicherweise liegt das auch an einer etwas unglücklichen Synchronisierug.

Dass ich hier so viele Nebensächlich kritisiere, hat nur einen Grund:

Alles in allem fand ich den Film nämlich bemerkenswert gut. Sonst wären mir diese kleinen Kritikpunkte gar nicht der Rede wert gewesen.

Hartmut · 13.07.2011

Wunderbar !

Regttöb · 22.11.2010

Ein Schauspieler und Regisseur der alles zu haben scheint, was einen guten Film ausmacht. Mit seinem ersten Film bewies er bereits, dass er ein unglaubliches Talent besitz, jetzt ein Jahr später hat er es mit diesem Film ausbauen können. Sein Film ist ein spannender Mix aus Interview-artigen Szenen junger Menschen, die von ihrer ersten großen, mißlungenen Liebe berichten, und einer tubulenten Dreiecksbeziehung zwischen Marie (in Audrey Hepburn manier), ihrem schwulen Freund Francis (Xavier Dolan im James Dean Look) und dem gold gelockten Nicolas, in den sich Marie und Francis Hals über Kopf verlieben. Xavier Dolan schuf einen Film, der einen an die eigene Jugend erinnern lässt, einem ans Herz geht und dennoch nie in das kitschige abdriftet. Seine Kammeraführung und Lichteinstellungen waren für mich absolut beeindruckend, nicht zu vergessen der grandiose Soundtrack, der den Film zu einem kleinen Meisterwerk abrundet. Ich habe den Film ein Leipzig zu den französischen Filmtagen gesehen und war begeistert. Mann sollte den Film aber unbedingt in Orginalsprache ansehen, sonst gehen sicherlich einige Lacher aber auch ergreifende Szenen verlohren.

chris dean · 19.11.2010

absolut sehenswert° schoene szenenbilder, licht, dialoge und vorallem die thematik

Frederik · 16.10.2010

Das beste was ich seit langem gesehen habe, dieser Film regt zum denken an etwas völlig anderes als die flachen oft übertriebenen Hollywood Blockbuster. Xavier Dolans Werk kann sich wirklich sehen lassen es ist schade, dass so gute Filme wie Les amours Imaginaires nicht schneller auch in die Deutschen Kinos kommen. Es ist ein Film der das Herz öffnet und die Seele berührt, er hat einfach alles mit Ausnahme eines Happy End. Ich sage dazu auch noch das dieser Film einfach Unsynchronisierbar ist, ich habe ihn auf Französisch mit Deutschem Untertitel gesehen (Filmfest HH) der Quebec Dialekt im Französischen ist nicht zu ersetzen auf deutsch könnten viele Facetten des Films nicht richtig rüberkommen. Eine Dreierbeziehung ein heikles Thema doch für eine Welt von Heute und nahezu alle Altersklassen ist dieser Film ein wahres Ereignis. 100 %ig sehenswert