Herr von Bohlen (2015)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Der reichste Frührentner Deutschlands

Um Missverständnissen vorzubeugen: Es geht in Herr von Bohlen nicht um einen ironisch geadelten Dieter Bohlen. Sondern um Arndt von Bohlen und Halbach: Kein Pop-Proll, sondern im Gegenteil stets den höchsten Weihen der Schönheit und Anmut zugetan und überhaupt nicht populär. Vielmehr war er „der reichste Frührentner Deutschlands“, der eine Menge Neid und homophoben Hass aus diversen Boulevardblättern – aber auch aus der seriösen Presse – auf sich zog. Lidschatten, Wimperntusche, viel Schmuck und natürlich Luxus – er verfügte über 2 Millionen DM im Jahr, diverse Resorts in Marrakesch, auf Sylt, in Palm Beach und der zweitgrößte Privatbesitz Österreichs waren sein, das Schloss Blühnbach mit 72 Zimmern.

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Das ist aber eigentlich nichts gegen die Villa Hügel in Essen. Arndt von Bohlen und Halbach war der einzige Sohn von Alfried Felix Alwyn Krupp von Bohlen und Halbach, dem Herrscher über das Krupp-Imperium. Und eigentlich hätte Arndt die Nachfolge zugestanden. Doch 1966 verzichtete er auf sein Erbe, immerhin 3,5 Milliarden DM zuzüglich Firmenvorsitz und den – damals noch auf kaiserlichen Erlass zurückgehenden – Namenszusatz „Krupp“. Verzicht: Er bedeutete zwar immerhin die hohe Leibrente, aber er bedeutete auch Missgunst der Öffentlichkeit – und eine ständige Kränkung.

Arndt wurde von seiner Familie verstoßen, er war nicht geeignet für die Firmenführung und zudem schwul. Diese Rolle wurde ihm nicht zugetraut – also wählte er eine andere, die ihm mehr lag, eine, bei der Schminke und Schmuck eine große Rolle spielten, eine, die den Luxus lebte. Eine Rolle, die in diesem Film ausgiebig nachgespielt wird – ja, nachgespielt. Denn bei Herr von Bohlen handelt es sich nicht um einen Dokumentarfilm, wie wir einen Dokumentarfilm verstehen; und nicht um einen Spielfilm, wie wir einen Spielfilm verstehen. Das macht Regisseur André Schäfer persönlich gleich zu Anfang klar: In einer Art Making-of-Szenerie erklärt er das Prinzip des Films, vorgeblich seinen Schauspielern, zuvörderst aber uns Zuschauern: „Wir wollen am Anfang des Films klarmachen, dass wir Archivmaterial zeigen, das gar kein Archivmaterial ist“. Das Konzept: Im Jahr 1978 begleitet ein Filmjournalist Arndt von Bohlen und Halbach, der ihm Interviews gewährt – Schauspieler Arnd Klawitter stellt Arndt von Bohlen dar, und er spricht dabei in verbürgten Originalzitaten.

Damit kommen wir Arndt nahe, so nahe, wie eine Kompilation von tatsächlichen Archivaufnahmen – als Teil des deutschen Jet Sets war ihm die öffentliche Aufmerksamkeit gewiss – es denn doch nie könnte. Ergänzt wird die nachgestellte filmische Homestory durch Interviews unter anderem mit Arndts Nachlassverwalter, mit den Wirten seines Münchner Lieblingsrestaurants, der „Grünen Gans“, mit einem Boulevardjournalisten, mit einem Maler, der für Arndt arbeitete… Es ist also kein ausgewogenes Porträt, sondern durchaus offen bewegt sich Schäfer auf Seiten des armen reichen Arndts: Einem Millionärs-Underdog, einer, der verzichtete für Geld, aber ohne Dank, ein Unverstandener, einer, der aus der Rolle fällt. Natürlich gibt es Eindrücke von seinen Schattenseiten – Eitelkeit, Wollust, Völlerei, Faulheit, das sind immerhin eine ganze Reihe Todsünden, dazu kommt der heilige Zorn, den Nachlassverwalter Holger Lippert noch immer gegen die Verurteilungen durch die Öffentlichkeit und gegen die Machenschaften bei Krupp hegt. Doch vor allem bekommen wir Arndts Seite mit: Die desjenigen, der aus seiner Familie, aus seiner Gesellschaft ausgestoßen wurde.

So schreibt Herr von Bohlen auch ein Stück deutscher Industriegeschichte: Wirtschaftlich gesehen eine Fußnote, menschlich aber eine große Tragödie, wie der verstoßene Sohn sich neu erfindet, vielleicht auch sich selbst findet, als flamboyanter Luxusboy. Und sich genau damit gegen die Krupp-Tradition des Nüchternen, des Pragmatischen wendet: Schon Schminke war in der protestantischen Bohlen und Halbach-Familie ein No-Go.

André Schäfer gelingt so ein geradezu intimes Porträt – das nur deshalb etwas schiefhängt, weil das anfängliche Spiel um das Nachspielen, die Making-of- und Casting-Situation, in der Schäfer den Prozess des Films offen legt, nicht weiterverfolgt wird: Irgendwo steckt dadurch im ganzen Film die Frage nach Wahrheit und Authentizität, die Schäfer ignoriert – und die der Zuschauer aus eigener Kraft vergessen muss, wenn er sich ganz einlassen will.
 

Herr von Bohlen (2015)

Um Missverständnissen vorzubeugen: Es geht in „Herr von Bohlen“ nicht um einen ironisch geadelten Dieter Bohlen. Sondern um Arndt von Bohlen und Halbach: Kein Pop-Proll, sondern im Gegenteil stets den höchsten Weihen der Schönheit und Anmut zugetan und überhaupt nicht populär. Vielmehr war er „der reichste Frührentner Deutschlands“, der eine Menge Neid und homophoben Hass aus diversen Boulevardblättern – aber auch aus der seriösen Presse – auf sich zog.

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