Haywire

Eine Filmkritik von Rochus Wolff

Gina rennt

Man kann mit dem Ende anfangen: Für sein rasantes, klirrend klares Actionabenteuer Haywire hat Steven Soderbergh ein Finale ausgewählt, das genau im richtigen Moment abreißt. Kleinere Geister als er hätten hier, man sieht es in fast jedem Actionstreifen, noch eins drauf gesetzt, ein Endkampf, einen Endgegner, ganz im Sinne des immer mehr, immer lauter, immer härter. Soderbergh interessiert sich dafür nicht, er ist von Anfang an ganz bei seinem Thema, und das ist hier: Dynamik, Wucht, der Kampf als ästhetisches Abenteuer.
Man spürt das schon daran, dass der Film mit zwei krachenden physischen Auseinandersetzungen ganz unterschiedlicher Natur beginnt und dann eigentlich nur ruhiger wird, ohne dass man das so richtig merken würde, weil die Spannung stetig hoch bleibt. Aber das ist ein Film, der seine Meriten nicht als Bodycount vorgezählt bekommen möchte, sondern als Schwingen von Stillstand und Bewegung (und andersherum: Bewegung, die auf plötzlichen Stillstand zielt, und dieser kommt mit der schweren Wucht aufeinanderprallender Körperteile).

Mallory Kane (Gina Carano) ist Ex-Soldatin der Marines; für eine Privatfirma erledigt sie Geheimdienstjobs, die die amerikanische Regierung erledigt haben, aber nicht selber machen will. Während eines Auftrags in Dublin wird sie misstrauisch und sieht sich schließlich als Ziel eines Mordkomplotts, an dem offenbar nicht nur ihr Chef beteiligt ist, sondern auch dessen Hintermänner. Aber Mallory taucht nicht unter, sondern sucht die Konfrontation; sie mag, so sagt sie einmal, keine losen Enden.

Der Plot ist natürlich pure Standardware, aber Soderbergh strukturiert seine Erzählung so um, dass sie – die erste Hälfte des Films ist in Rückblenden erzählt, während Mallory verwundet mit einem jungen Mann vor ihren Gegnern flieht – jenen Wechsel zwischen Ruhe und Bewegung widerspiegelt, der auch den restlichen Film unterfüttert. Genauso sind die Themen, die leise anklingen (Familie, Treue) nur Oberflächenkonzepte, in denen allenfalls mitschwingt, dass jemand, der so direkt vorwärts geht wie Mallory, Betrug und Tricksereien nicht kennt.

Direkt: Soderbergh, der zuletzt aufsehenerregend für The Girlfriend Experience die Pornodarstellerin Sasha Grey gecastet hatte, greift nicht zufällig auf Leute zurück, die vorher außerhalb des normalen Filmstarsystems existierten. Carano trägt diverse Titel in Mixed Martial Arts, sie ist, wenn man so will, eine Kämpferin auch im realen Leben, und das macht hier den Unterschied aus, in allem. Caranos Körper ist nicht so ein ätherisch-verhungert schlankes Etwas, sondern eine kräftige, fast bullige Kraftmaschine, und das sieht man in jeder Bewegung – ob sie nur geht oder fest zuschlägt.

Und für Haywire nutzt Steven Soderbergh dieses Potential, indem er die geltenden Gesetze des Actionkinos aushebelt und seiner Protagonistin viel Ruhe verschafft. Anstelle der vielen, oft hektischen Schnitte, die vor allem die zahlreichen Epigonen der Bourne-Filme zu so anstrengendem Flackerwerk machen, setzt er auf fast schon kontinuierliche Kameraarbeit; in Wer ist Hanna? hatte man zuletzt ähnliches gesehen, hier ist es durch Caranos Präsenz noch intensiviert und verstärkt.

Wenn sie eine Straße entlangrennt, dann rennt sie wirklich; und die Kamera sieht ihr zunächst einen Moment zu, bevor sie dann selbst Fahrt aufnimmt und sie parallel begleitet – der Schnitt kommt erst, wenn sie um die Ecke eilt. Und kommt es zu direkten Auseinandersetzungen, die fast immer unmittelbar und körperlich sind – geschossen wird nur selten und kurz – , dann ist die Kamera zuweilen ganz und gar statisch: Beobachterin eines atemberaubenden, brutalen Balletts, in dem wiederum Carano in jeder Sekunde sichtbar macht, wie weit das, was sie da macht, von Standard-Hollywood-Actionware entfernt ist.

Selbst wenn der Schnitt etwas unruhiger wird, nutzt Soderbergh ihn, um die Auseinandersetzung zu betonen, in Sprüngen zwischen Totaler und Nahaufnahme; stets ist die Kamera etwas vom Zentrum weggeschoben, gelegentlich zur Seite geneigt, als stürzten die Figuren durchs Bild. Dazu blendet der großartige Soundtrack von Soderberghs langjährigem Kollaborateur David Holmes die Geräusche der Welt aus, bis selbst die Schuhe auf dem Asphalt gedämpft klingen; laut und durchdringend knacken nur noch Knochen, knallen die einzelnen Schüsse.

Carano ist in Haywire von einem A-Cast umgeben, wie ihn womöglich nur Soderbergh so zusammenrufen kann: Michael Fassbender, Ewan McGregor, Antonio Banderas und Michael Douglas; aber die Fast-Novizin auf der Leinwand hält sich wacker, und ihr Regisseur weiß ihre Stärken wie Schwächen für sich zu nutzen. Und macht sie zur stärksten Actionfigur der vergangenen Jahre. „You shouldn’t think of her as a woman“, sagt einer von Mallorys Gegnern über sie, aber das ist natürlich gefährlicher Quatsch: Mit Carano könnte es, wenn sie weiter auf Regisseure trifft, die ihr Können so zu verwenden wissen (für einen weiteren Film, In the Blood, ist sie laut The Hollywood Reporter schon engagiert), endlich jenen weiblichen Actionstar geben, auf den wir so lange warten mussten.

Haywire

Man kann mit dem Ende anfangen: Für sein rasantes, klirrend klares Actionabenteuer Haywire hat Steven Soderbergh ein Finale ausgewählt, das genau im richtigen Moment abreißt. Kleinere Geister als er hätten hier, man sieht es in fast jedem Actionstreifen, noch eins drauf gesetzt, ein Endkampf, einen Endgegner, ganz im Sinne des immer mehr, immer lauter, immer härter.
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