Harlan - Im Schatten von Jud Süß

Eine Filmkritik von Silvy Pommerenke

Veit Harlan, der 1940 für die Nationalsozialisten den antisemitischen Propagandafilm Jud Süß drehte, konnte aus diesem üblen Schatten nie wieder heraustreten. Auch seine Familie kämpfte Zeit ihres Lebens gegen dieses braune Erbe an – manches Mal vergeblich. Der Dokumentarfilm zeigt, wie die Ehefrau, Kinder und Enkel sich mit der familiären nationalsozialistischen Vergangenheit auseinandersetzen.
Die Vernichtungspolitik Hitlers hatte viele Gesichter, unter anderem das von Reichspropagandaleiter Joseph Goebbels, der Veit Harlan mit den Dreharbeiten zu Jud Süß beauftragte. Bereits zuvor hatte der Regisseur Propagandafilme gedreht und machte sich einen unrühmlichen Ruf als einer der führenden Filmemacher neben Leni Riefenstahl unter den Nazis. Dabei sah seine Vergangenheit durchaus anders aus, denn 1922 heiratete er die jüdische Schauspielerin und Sängerin Dora Gerson, die 1943 in Auschwitz ermordet wurde. Die Ehe hielt allerdings nur zwei Jahre, und fünf Jahre später ehelichte er die Schauspielerin Hilde Körber, mit der er drei Kinder hatte: Thomas, Maria und Susanne. Eine dritte Ehe mit der Schwedin Kristina Söderbaum, die die weibliche Hauptrolle in Jud Süß spielte, brachte die beiden Söhne Kristian und Caspar hervor, und in den folgenden Jahren übernahm Söderbaum zahlreiche Hauptrollen in Filmen von Veit Harlan. Während seine Frau sich kaum von seiner braunen Vergangenheit distanzierte, so empfanden die Kinder die Arbeit des Vaters zum Teil als Schuld. Vor allem Thomas Harlan, selbst Regisseur, kämpfte erbittert gegen das Vermächtnis von Jud Süß und setzte sogar Kinos in Brand, die Filme seines Vaters zeigten. Zudem engagierte er sich Zeit seines Lebens gegen Diktatur und Faschismus. Diese Ablehnung des Vaters wird nicht von allen Nachkommen der Familie verstanden, löst bei einigen Unverständnis und Verbitterung aus, mit dem Argument, dass das Privatsache sei und nicht in die Öffentlichkeit gehöre. Fest steht allerdings, dass die propagandistischen Arbeiten Veit Harlans die Familie nachhaltig belastet hat und bis in die Enkel-Generation anhält. Einige änderten ihren Namen, da sie dadurch immer wieder mit „Jud Süß“ in Verbindung gebracht wurden, andere ergaben sich schicksalshaft ihren Wurzeln, oder verdrängten dieses Erbe, wenngleich sich alle vor der Kamera von diesem Film distanzieren. Auch wenn man als Zuschauer deutlich sieht, dass diese Familie eine Bürde trägt und eine Zerrissenheit zwischen Zuneigung und Ablehnung empfindet, so steht dieses Schicksal in keinem Verhältnis zu dem, was Harlan mit seinem „Jud Süß“ anrichtete. Denn er beeinflusste entscheidend die öffentliche Meinung über Juden in Deutschland, so dass dem Holocaust dadurch Vorschub geleistet wurde. Veit Harlan wurde zwar 1949 wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt, erhielt aber einige Wochen später einen Freispruch, weil er glaubhaft machte, dass er zu dieser Arbeit gezwungen worden wäre. Auch nach einem Revisionsverfahren wurde er erneut freigesprochen und das gegen ihn ausgesprochene Berufsverbot aufgehoben.

Harlan — Im Schatten von Jud Süß ist eine verwobene Familiengeschichte, die zugleich ein verstörendes Abbild deutscher Geschichte ist. Veit Harlan hat sich mitschuldig gemacht an den Gräueln der Hitler-Diktatur, auch wenn er sich gegen diesen Vorwurf verwehrte. Seine Propagandafilme, allen voran Jud Süß, haben einen Schatten über seine Familie geworfen, die auch noch die Enkelinnen von heute beschäftigen. Mit historischen Filmaufnahmen, noch nie veröffentlichten Privataufzeichnungen, Interviews und den persönlichen Eindrücken der Nachkommen, versucht sich Felix Moeller diesem Menschen anzunähern, der ein besessener Filmemacher war und „ein Spezialist für nationalen
Kitsch und Todesverklärung, ein Melodramatiker, ein ebenso verblendeter wie talentierter Vorzeige-Künstler“. Moeller kann selbstverständlich nichts gelingen, was seine Interviewpartner ihm verwehren: eine Aufarbeitung der Familiengeschichte. Man hat das Gefühl, dass die meisten Harlans in ihrer Wahrnehmung und in (V-)Erklärungsversuchen hängenbleiben, nicht weiterdenken, das Phänomen nicht lösen können oder wollen. Wahrscheinlich ist genau das das Beeindruckende an diesem Dokumentarfilm, dass darin keine allgemeingültige Wahrheit gezeigt wird. Die unterschiedlichen Generationen verarbeiten auch diese Last unterschiedlich, jedes einzelne Familienmitglied macht sich sein ganz eigenes Bild von Veit Harlan. Während es sich beispielsweise Thomas Harlan zur Lebensaufgabe gemacht hat, gegen das Vermächtnis des Vaters anzukämpfen, sah sich Maria Körber – völlig erschüttert — den Film ihres Vaters erst als Siebzigjährige an. Was für ein Versäumnis! Und während die drei Enkelinnen sehr distanziert und fast schon emotionslos auf ihre Familiengeschichte zurückblicken, wagt die Nichte Christiane Kubrick, die vierzig Jahre mit Stanley Kubrick verheiratet war, auch sehr kritische Töne. Die eigentliche Tragik der deutschen und der Harlanschen Geschichte scheint sich allerdings in Jessica Jacoby zu kulminieren, deren einer Großvater Veit Harlan und ihr anderer ein im Holocaust umgekommener jüdischer Kaufmann war.

Harlan - Im Schatten von Jud Süß

Veit Harlan, der 1940 für die Nationalsozialisten den antisemitischen Propagandafilm Jud Süß drehte, konnte aus diesem üblen Schatten nie wieder heraustreten. Auch seine Familie kämpfte Zeit ihres Lebens gegen dieses braune Erbe an – manches Mal vergeblich. Der Dokumentarfilm zeigt, wie die Ehefrau, Kinder und Enkel sich mit der familiären nationalsozialistischen Vergangenheit auseinandersetzen.
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Meinungen

AugusteB · 13.07.2009

Sehr gelungerener Film über Familie und Verantwortung. Hat mich noch lange beschäftigt

twentyone · 24.04.2009

Nojo... wieder mal sowas.