Gruber geht

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Sterben und leben lassen

Marie Kreutzer hat mit Die Vaterlosen vor vier Jahren ein beachtliches Langfilmdebüt vorgelegt; ein vielversprechendes Talent zeigte sich. Nun sind diese vielen Versprechen eingelöst: Denn ein Erstling kann so gut sein, wie er will, die wirklichen Qualitäten eines Filmemachers zeigen sich mit seinen Folgewerken. Gruber geht beweist deutlich, dass wir es bei Kreutzer nicht mit einem One-Hit-Wonder zu tun haben: Dieser Zweitfilm ist mit solch meisterlicher Souveränität in allen Bereichen geschrieben und inszeniert, dass die Ansicht nicht übertrieben erscheint, es hier mit einer der ganz Großen ihrer Zunft zu tun zu haben.
Gruber geht: Der Film klingt in einem Satz ausgedrückt eher abgeschmackt. Ein Mann Mitte Dreißig muss sich mit seiner Krebsdiagnose und dem möglichen nahenden Tod auseinandersetzen – wie oft hat man so etwas schon gesehen, als Kranken-Leidensmelodram, das im Zuschauer auf einfache Art großes Mitgefühl auslöst, allein schon des Themas wegen. Der Tod, der mitten im Leben angreift: Das packt das Publikum, man muss diese Vorlage nur noch verwandeln, mit den üblichen Stufen von Diagnose, Unglauben, Behandlung, Akzeptanz, Klinik und einem guten oder schlechten Ende. Marie Kreutzer macht es anders. Sie verweigert sich dem Üblichen – nein, falsch: sie verweigert sich nicht. Verweigern als Begriff bedeutet, dass es etwas gibt, was man vermeidet, dass dieses Etwas immerhin so groß und wichtig erscheint, dass es Beachtung durch Missachtung verdient hat. Kreutzer inszeniert ihre Geschichte genau so, wie die Geschichte das verlangt – und nicht irgendwelche Leidensfilmmuster. Sie ignoriert die Stereotypen nicht einmal. Sie geht an ihre Geschichte heran, als würde sie zum ersten Mal erzählt. Und so, wie Kreutzer das macht, wird sie auch zum ersten Mal erzählt.

Gruber (Manuel Rubey) ist ein Großkotz. Ein Yuppie, hätte man früher gesagt. Porsche und Zynismus sind seine Hauptanker im Leben, mit höchst charmantem Lächeln sondert er seine Sarkasmen ab – genau das hat ihn weit gebracht als hohes Tier in einer Werbeagentur; der smooth talker, der witzige Sprüche reißt, nichts ernst zu nehmen scheint, der leicht das Leben bändigt. Nun ist es aber nicht so, dass dieser Gruber unsympathisch wäre. Er ist für seine Mitmenschen beste Unterhaltung – geschickt und gewitzt kontern sie seine Oneliner mit eigenen Bonmots, Gruber spielt Ping Pong mit seinem Umfeld und dieses spielt gerne mit. Seine Schwester – man hat unterschiedliche Ansichten, man hört voneinander, aber man kommt gut miteinander aus. Der Kollege – mit dem kann man gut abhängen, reden, trinken, Fitness treiben. Wenn Gruber nach Zürich muss: Dann ist das vielleicht nervig, aber das Schimpfen über diese Stadt und die Geschäftskunden, die den Vertrag kündigen, das macht irgendwo auch Spaß. Spaß – mit dem geht er auch seinen Flirt mit Sarah (Bernadette Heerwagen) an, die er schon im Flugzeug kennengelernt hat. Man landet im Bett – und dort wird es ungeahnt intim. Weil da ein Brief auf dem Nachttisch liegt. Vom Krankenhaus. Ein Brief, der ungeöffnet Gruber begleitet, seit Wochen schon: Ein Brief, der ihm wichtig ist, als Brief, dessen Inhalt er aber nicht lesen mag. Ein Brief, den sein One-Night-Stand öffnen darf. Was Sarah zu mehr macht als eine Kurzzeitliebschaft. Weil das Wissen um ein nahendes Ende zusammenschweißt.

Gruber ist kein oberflächlicher Mensch. Er hadert mit seiner Familie, mehr, als er es sich in seinen flotten Stunden zugesteht, aber auch nicht ins Unbewusste verdrängt. Er ist Cineast, eingefleischt, ganz beiläufig erwähnt er Michel Piccoli in Les Choses de la Vie, als würde (oder sollte) jeder andere diesen Film kennen. Und er hört Bob Dylan. Nicht aus Gründen der Markendistinktion seiner Person, sondern aus eigenem Bedürfnis. Gegenüber Sarah öffnet er sich in diesen Hinsichten, ganz nebenbei, keine große Sache. Und klar: Gruber wohnt in Wien, Sarah in Berlin, wenn man sich wiedertrifft, schön. Aber vergessen kann er sie nicht. Sie ihn auch nicht. Aus der Ferne liebt man sich, eine Liebe entsteht, die vielleicht ohnehin nur so, auf Distanz, hat entstehen können. Eine zarte Liebe, voller Zweifel, voller innerer Widerstände, gegen jede Chance auch. Eine Liebe, die den Film aber so ganz und gar nicht bestimmt … Weil sich Gruber angesichts einer Überlebenswahrscheinlichkeit von immerhin 70 Prozent („Mädchenkrebs“, wie der Kollege meint) ändert, warum auch nicht – aber er ändert sich nicht mit plakativer Offensichtlichkeit, der Film trägt die Figurenentwicklung nicht stolz vor sich her. Gruber macht einfach mal seinem Schwager ein ganz unironisches Kompliment. Mäht den Rasen, passt auf die Nichten auf. Er meldet sich bei Sarah. Er lässt sich homoerotisch anflirten – und geht auf diesen Flirt ein.

Ganz zart, ganz en passant geschieht alles in diesem Film; und Kreutzer erweist sich nicht nur als höchst subtile und emotional ganz bewusste Regisseurin, sondern auch als wunderbare Dialogautorin. Diese Begegnung zweier Männer im Fitnessstudio, die – englischsprachige – Bemerkung über Grubers rasierte Beine, dessen lakonische Erwiderung: „Ich habe Krebs“, später die seinerseitige Annäherung: Er habe zwar Krebs, seine Beine sind trotzdem rasiert, er wollte das nicht erwähnen, „I thought it was too gay“ … Es ist kaum zu beschreiben, wie genau auf den Punkt Kreutzer in allem kommt, was diesen Film ausmacht. Auch dann, wenn sich die Handlung forciert (und nicht forciert wird); wenn Sarah ein süßes Geheimnis verbirgt, wenn Gruber deshalb mit sich kämpft. Und wenn sie sich dann wieder begegnen, inmitten des Krankheitselends ein ganz anderes Drama, das mit Liebe zu tun hat, mit Gefühl. Mit etwas, das Gruber sonst zumindest in der Öffentlichkeit, in der Begegnung mit Mitmenschen vermieden hat. Etwas, das nun in ihm entfacht ist. Ein kleines Feuerchen nur. Aber die Funken springen über, auf das, was er in seinem Leben noch anfasst.

Gruber geht

Marie Kreutzer hat mit „Die Vaterlosen“ vor vier Jahren ein beachtliches Langfilmdebüt vorgelegt; ein vielversprechendes Talent zeigte sich. Nun sind diese vielen Versprechen eingelöst: Denn ein Erstling kann so gut sein, wie er will, die wirklichen Qualitäten eines Filmemachers zeigen sich mit seinen Folgewerken. „Gruber geht“ beweist deutlich, dass wir es bei Kreutzer nicht mit einem One-Hit-Wonder zu tun haben: Dieser Zweitfilm ist mit solch meisterlicher Souveränität in allen Bereichen geschrieben und inszeniert, dass die Ansicht nicht übertrieben erscheint, es hier mit einer der ganz Großen ihrer Zunft zu tun zu haben.
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