Großstadtklein

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Stadt, Land, Frust und Liebeslust

Ein Til-Schweiger-Film ohne Til Schweiger. Das hat es in letzter Zeit nur selten gegeben. Bei Großstadtklein beschränkt sich Deutschlands erfolgreichster Filmemacher einmal ganz auf die Tätigkeit des Produzenten. Geschrieben und inszeniert wurde die Komödie von Tobias Wiemann, einem jungen Filmschaffenden, der seit 2008 für Schweigers Produktionsfirma tätig ist und nun sein Debüt als Langfilmregisseur vorlegt. Darin geht es um die ganz großen Themen des Lebens: Liebe, Trauer, Verantwortung und nicht zuletzt, das klingt bereits im Titel an, den oft bemühten Gegensatz zwischen Stadt und Land. Recht kurzweilig geraten und mit souveräner Hand inszeniert, wirkt Großstadtklein dennoch überfrachtet und wenig originell.
Ole (Jacob Matschenz) hat sich in seinem dörflichen Leben im äußersten Zipfel von Mecklenburg-Vorpommern bequem eingerichtet. Anstatt über seine Zukunft nachzudenken, fährt er lieber Moped-Rennen mit seinen Freunden Ronny (Kostja Ullmann) und Marcel (Pit Bukowski). Eine Bitte seines Opas Karl (Heinz W. Krückeberg) stellt Oles Welt jedoch auf den Kopf. Er soll für ein Praktikum nach Berlin gehen und dort bei seinem Cousin Rokko (Klaas Heufer-Umlauf) wohnen. Was Ole nicht ahnt: Karls Wunsch ist ein ausgeklügeltes Manöver, das seine seit vielen Jahren zerstrittenen Söhne, Oles Vater Heinz (Markus Hering) und dessen Bruder Manni (Tobias Moretti), endlich wieder zusammenführen soll.

Nach anfänglichem Zögern macht sich Ole, sehr zum Missfallen seiner Freunde, schließlich auf den Weg nach Berlin, wo er von Rokko wenig herzlich empfangen wird. Als Ole in der Wohnung seines Cousins allerdings auf die unbeschwerte und gutaussehende Erzieherin Fritzi (Jytte-Merle Böhrnsen) trifft, beginnt das verunsicherte Landei langsam aufzublühen. Rokkos beste Freundin verdreht Ole sofort den Kopf, ist für ihn aber ein Buch mit sieben Siegeln. Gerade als er in Erfahrung bringen will, was sie für ihn empfindet, erreicht ihn eine Hiobsbotschaft aus der Heimat.

Zügig und ohne Umschweife steckt Tobias Wiemann die Koordinaten seiner Geschichte ab und sorgt mit einer schwungvollen Inszenierung für einen entsprechend eingängigen Auftakt. Schon die überdeutlich ablehnende Haltung von Oles Freunden, die um ihren nach Berlin aufbrechenden Kumpel besorgt sind, sich aber ebenso verraten fühlen, etabliert eine der zentralen Stoßrichtungen des Films: den Konflikt zwischen Stadt und Land. Leider verlässt sich Wiemann in diesem Zusammenhang allzu oft auf abgenutzte Vorstellungsbilder. Die Stadt als Hort von Kriminalität und ungebremster Freizügigkeit steht dem Landleben mit seiner beschaulich-naiven Aura diametral entgegen. Stellvertreter dieses Klischeedenkens sind in erster Linie Ronny und Marcel, die, bei allem Verständnis für Verdichtung in der Figurenzeichnung, doch etwas sehr eindimensional angelegt sind. Ihr weitgehend einfältiges Gebaren ist dann auch eher nervig als komisch.

Etwas stärker nimmt sich dagegen schon die mit der Stadt-Land-Problematik verbundene Liebesgeschichte zwischen Ole und Fritzi aus. Der unerfahrene junge Mann, der, wie es scheint, noch nie zuvor verliebt war, muss erkennen, dass Zuneigung oft nicht einfach zu gewinnen ist. Hält er Fritzi zunächst für eine Frau, die mit Gefühlen anderer Menschen spielt, begreift er mit der Zeit, dass sich hinter ihrer offen zur Schau gestellten Ungebundenheit eine tief sitzende Verunsicherung verbirgt. Die Motive, die das Drehbuch ihrer Figur dabei an die Hand gibt, sind recht konventionell, fallen durch das zumeist gut funktionierende Zusammenspiel von Jacob Matschenz und Jytte-Merle Böhrnsen aber nicht sonderlich negativ ins Gewicht.

Den witzigsten Teil der Komödie bietet die von Opa Karl eingeleitete Familienzusammenführung. Für absurd-komische Momente sorgt hier vor allem der von Tobias Moretti herrlich unangepasst verkörperte Manni. Fast durchweg in Jogging-Klamotten auftretend, gibt er sich vor seinem Sohn Rokko und seinem Neffen Ole als harter Mann. Einer Aufarbeitung des Bruderstreits versperrt er sich lange Zeit, da er es als seine Pflicht ansieht, Schmerzen zu ertragen. Bezeichnenderweise ist die finale Annäherung an Heinz dann auch mit einem komisch inszenierten, buchstäblichen Schmerztest verbunden.

Nimmt man all diese miteinander verwobenen Themenstränge zusammen, zeigt sich das eigentliche Problem von Großstadtklein: Alles ist irgendwie gleichbedeutend und kratzt gerade deswegen nur an der Oberfläche. Dass sich eine klare erzählerische Vision schwerlich ausmachen lässt, zeigt im Übrigen auch der Nebenstrang rund um Oles Praktikumsstelle. Der entworfene Konflikt mit dem schwulen Sohn seines Chefs erscheint gewollt komisch und wie ein beliebiges Anhängsel zur eigentlichen Geschichte. So bleibt trotz flotter Inszenierung und größtenteils spielfreudiger Darsteller die Erkenntnis, dass Wiemanns Vorlage nicht über den soliden Durchschnitt hinauskommt. Drehbücher dieser Art gibt es sicher sehr viele. Deren Autoren haben womöglich nur das Pech, nicht auf einen Mentor wie Til Schweiger verweisen zu können.

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Ein Til-Schweiger-Film ohne Til Schweiger. Das hat es in letzter Zeit nur selten gegeben. Bei „Großstadtklein“ beschränkt sich Deutschlands erfolgreichster Filmemacher einmal ganz auf die Tätigkeit des Produzenten.
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