Gold (2013)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Die Entdeckung der Langatmigkeit

Eins direkt vorneweg: Gold, der neue Film von Thomas Arslan, ist langatmig. Jedoch langatmig im besten aller Sinne: er besitzt, das Adjektiv wörtlich verstanden, einen langen Atem. Der Film bleibt lange in Erinnerung und wirkt nach. Arslan arbeitet sich mit Gold am Genrekino ab, haben wir es bei diesem Film mit seiner Version eines naturalistischen Spätwestern zu tun. Darin steht untypischerweise eine Frau, die ehemalige Hausangestellte Emily Meyer, gespielt von Nina Hoss, im Zentrum der Geschichte. Inspiriert von alten Tagebüchern und Photographien erzählt der Regisseur Folgendes:

Kanada, im Sommer 1898, zur Zeit des Klondike-Goldrauschs: Emily Meyer schließt sich einer kleinen Gruppe deutscher Amerika-Auswanderer an, die alle das Goldfieber gepackt hat, die sich alle gemeinsam auf den strapaziösen Weg begeben hinein ins Inland Westkanadas. Ihr erklärtes Ziel: Dawson, dort, wo kurz zuvor Goldfelder entdeckt wurden. Anführer der Reisegruppe ist Wilhelm Laser (Peter Kurth), der über eine Anzeige in einer deutschen Zeitung erklärt hatte, dass er den Treck von Ashcroft, der nördlichsten Bahnstation Kanadas, über Land nach Dawson führen will. Er gibt vor das Gelände gut zu kennen. Neben Emily Meyer geben sich weitere Teilnehmer in Lasers Obhut: das für die Verpflegung zuständige Ehepaar Maria (Rosa Enskat) und Otto Dietz (Wolfgang Packhäuser), der Journalist Gustav Müller (Uwe Bohm), der Handwerker Jospeh Rossmann (Lars Rudolph) und der Packer Carl Böhmer (Marko Mandic).

Äußerst gemächlich werden auf der beschwerlichen Tour die dramaturgischen Schrauben angezogen, das Erzähltempo suggeriert gefühlte Echtzeit, langsam arbeitet sich die Gruppe um die wortkarge Meyer auf ihr ersehntes Ziel zu. Die wunderbaren Bilder von Kameramann Patrick Orth erzählen dabei ohne artifizielle Patina vom weiten Raum und dessen anstrengender Überwindung. Leicht blasse, majestätische Cinemascope-Panoramen werden wiederholt mit Nahaufnahmen der einzelnen Figuren kontrastiert, wodurch die Verlorenheit, in die die Gruppe immer mehr gerät, fast erlebbar wird. In den Totalen, die eine Weite herstellen, kann es dazu kommen, dass ein ausgedehntes Freiheitsgefühl umkippt in Klaustrophobie, das man das Gefühl hat in der Weite gar nicht mehr vom Fleck zu kommen. Die Weite wendet sich gegen einen sozusagen. Durch die rhythmisch wiederkehrende optische Nähe der Kamera zu den Figuren verlieren wir diese nie aus den Augen. Dagegen werden die Charaktere vom Drehbuch mit ihren Biographien nur holzschnittartig skizziert, so dass man sich als Zuschauer ein wenig fremd im Kreis dieser Menschen fühlt, wahrscheinlich so ähnlich, wie es den Figuren im Film ergeht. Genau wie diese beobachtet man als Zuschauer alle mit genauestem Blick. Jeder fühlt sich hier fremd, jeder ist hier ein Auswanderer. In Gold sind Emigration, Fremdheit und Anpassung endlich einmal Probleme, mit denen sich auch deutsche Figuren aktiv auseinandersetzen müssen, anstatt nur als vermeintlich Leidtragende von alledem lediglich betroffen zu sein.

Nina Hoss führt souverän ein obschon des allgegenwärtigen Staubes der Prärie glänzendes Ensemble an. Die immense Physis des Spiels (vielleicht ist ja das körperliche Spiel der eigentliche Hauptdarsteller oder die Hauptnarration der Geschichte), die verschiedenen Handgriffe beim Satteln, Gurte festzurren, Pferde waschen, Kutschieren – es ist ein Genuss all das immer wieder mit anzuschauen. Arslan kehrt in seiner vorhersehbaren, doch dadurch nicht die Spannung verlierenden Geschichte immer wieder zu klassischen Westernsituationen zurück, er exerziert das Vokabular des Genres solide durch. Fast unbemerkt schickt dabei Hoss ihre Emily durch gewaltige Transformationen: von hochgeschlossener Gouvernante im Korsett hin zur immer mehr emanzipierten Frau, die sich sogar vorsichtig wieder anderen Menschen annähern kann. Neben ihr ist Uwe Bohm als Journalist Gustav Müller noch gesondert zu erwähnen: von leichter Überheblichkeit zu Beginn steigert er sich in seinem Spiel stetig in einen an der Grenze zur Lächerlichkeit liegenden Größenwahn hinein. Bei jeder Gelegenheit muss er auftrumpfend beweisen, dass er der eigentliche Anführer ist – und dabei kläglich scheitern (spätestens beim Tritt in die Bärenfalle gibt das Drehbuch den Charakter dem Lächerlichen preis).

Man sollte die schleppende Geschwindigkeit, die angesprochene Langatmigkeit von Gold unter den Umständen, die Arslan uns filmisch bietet, ernst nehmen und zu schätzen wissen anstatt sich ungeduldig im Kinosessel zu winden. Hier hat sich ein Regisseur für eine realistische Filmsprache entschieden, die versucht, dem Tempo des Erzählten gerecht zu werden. In einer Einöde, in der man sich nicht zurecht findet, in der man fast vollends auf sich selbst zurückgeworfen ist, sich fast gänzlich verliert, unter diesen Umständen wäre Schnelligkeit sicherlich ein unangebrachtes Stilmittel gewesen. Das Erzählte bzw. das Gespielte sind zum Hauptteil die alltäglichen, körperlichen Strapazen der Reise, die stete Wiederkehr des Gleichen, des immer gleich physisch Anstrengenden: Reiten, Flüsse durchqueren, Zelte errichten, Feuerstelle bauen, Pferdepflege, Essen, kurze Ruhephase, Schlafen, Lager abbauen, Aufbrechen, Reiten und so fort.

Zum Durchhalten befähigt alle der Traum, dem sie erlegen sind, dem sie jeder für sich unerbittlich folgen, dem lange gehegten Traum von Wohlstand, Glück und einer neuen Heimat, vom anderen, besseren Leben. Dieser schiebt sie langsam voran, gegen jeden vielleicht im Laufe der Zeit größer werdenden Zweifel. Alle sind auf der Flucht vor dem eigenen, alten Leben, ohne dass viele von ihnen die Möglichkeit bekommen, das erträumte bessere Leben überhaupt zu erreichen. In Gold geht es um zweierlei Grenzerfahrungen: erstens um den Zustand des Ausgelieferten inmitten scheinbarer räumlicher Freiheit und Weite der Natur, zweitens um eine individuelle Grenzerfahrung im eigenen Bewusstsein. Am Ende ist der Film nichts weniger als eine eindrückliche Allegorie auf das Scheitern von menschlichem Streben. Ja, man muss sich auf den Film einlassen. Wenn man das allerdings tut, erlebt man beim Schauen fast physisch, was die Unbedingtheit mancher Träume alles ausrichten kann.

(Stephan Langer)
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Britisch Columbia am Ende des 19. Jahrhunderts: Seit 1896 zieht der Klondike-Goldrausch Abenteurer aus ganz Nordamerika an, die auf der Suche nach dem schnellen Glück unglaubliche Strapazen auf sich nehmen. In Gold schildert Thomas Arslan mit nüchtern-realistischem Blick solch eine Expedition einer deutschstämmigen Gruppe, die im Sommer 1898 unter der Führung des zwielichtigen Wilhelm Laser (Peter Kurth) den Weg durch die Wildnis Kanadas wagt.

Zu der Gruppe gehören unter anderem der aus New York stammende Rossmann (Lars Rudolph), der Journalist Gustav Müller (Uwe Bohm), der eigentlich nur über die Reise berichten will, das Ehepaar Maria und Otto Dietz (Rosa Enskat und Wolfgang Packhäuser), die als Köche fungieren und der Packer Carl Boehmer (Marko Mandic). Vollständig ist die Gruppe aber erst, als schließlich Emily Meyer (Nina Hoss) hinzustößt, die einzige allein reisende Frau der Gruppe, die — gerade frisch geschieden — nichts mehr hat, was sie in ihrer Heimat Chicago zurückhält.

Schnell stellt sich heraus, dass Laser nicht über die genauen Ortskenntnisse verfügt, die es zur Leitung einer solch gefährlichen Reise benötigt. Und auch Carl Boehmer trägt ein Geheimnis mit sich herum — er hat vor zwei Jahren einen Mann erschossen und wird nun von dessen Brüdern erbarmungslos gejagt. Je tiefer die Truppe nach Norden vordringt, umso mehr häufen sich die Gefahren: Zunächst ist es ein Planwagen, der zurückgelassen werden muss, dann ein erschöpftes Pferd und spätestens hier wird klar, dass bald auch Mitglieder der Expedition auf dem Weg zurückgelassen werden, weil sie den Strapazen nicht gewachsen sind.

Ein Western aus Deutschland — das hat es lange nicht mehr gegeben. Seit den Karl-May Verfilmungen der 1960er Jahre und späteren Einzelwerken wie Peter Schamonis Potato Fritz aus dem Jahre 1975 (mit Paul Breitner in einer Nebenrolle!) ist das Genre hierzulande ein wenig aus der Mode gekommen. Umso beachtlicher ist nun also dieser Versuch eines Neo-Western, wobei man im Falle von Thomas Arslans Gold viel eher von einer Western-Dekonstruktion sprechen muss. Allerdings stellt sich die Frage, ob von einer Dekonstruktion die Rede sein kann, wenn all die bekannten Motive und Formeln des Western mit absoluter Vorhersehbarkeit auftauchen und der einzige Unterschied darin besteht, dass den Schießereien beispielsweise jede Form der Dynamik fehlt.

Überhaupt ist der Mangel an Dynamik ein Kennzeichen des Films — und sollte dies beabsichtigt sein, um die Zähigkeit der Reise erlebbar zu machen, dann ist dies durchaus gelungen. Wenn man nicht gerade Fan einer eher spröden Filmsprache ist, wird Gold zum Höllenritt, bei dem allein die seltsam gestelzten Dialoge, Lars Rudolphs Darstellung eines armen Würstchens an der Grenze zum Knallchargentum und eine ekelerregende Amputationsszene für etwas Amüsement und Regung beim Publikum sorgen. Beachtlich ist neben all dem auch, wie es Nina Hoss mit nahezu unbewegter Miene schafft, den gesamten Rest der Reisegesellschaft blass und an etlichen Stellen lächerlich aussehen zu lassen.

Unfreiwillig dürfte auch noch etwas anderes sein: Beinahe zwangsläufig erinnert Gold an Kelly Reichardts ähnlich angelegten Film Meek’s Cutoff und daran, wie gut dieses Werk im Vergleich zu seinem deutschen Pendant war. Aber das werden die Apologeten der Berliner Schule sicher wieder ganz anders sehen.
 

Gold (2013)

Eins direkt vorneweg: „Gold“, der neue Film von Thomas Arslan, ist langatmig. Jedoch langatmig im besten aller Sinne: er besitzt, das Adjektiv wörtlich verstanden, einen langen Atem. Der Film bleibt lange in Erinnerung und wirkt nach.

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Meinungen

Dalibor Perisa · 22.03.2016

Habe den film spaet nachts im ersten gesehen.Fuer mich persoenlich hat es sich gelohnt so spaet auf zu bleiben obwohl ich zwischendurch einen augenblick eingenickt bin.Enttaeuscht bin ich hauptsaechlich vom ende des films da es kein happyend gibt und man auch nicht erfaehrt ob die einzig verbliebene es am ende bis nach Dawson schafft oder nicht.Aber wer den film sah und ich gehoere dazu wuerde meinen das sich diese frage gar nicht stellt.Der wortkarge dialog isst passend zu dieser zeit,man sprach weniger und fuehlte mehr damals,was heute leider umgekehrt der fall ist.Auserdem sind die meisten filme und vor allem western die zu dieser zeit spielen wortkarg,genau das macht auch diese filme beziehungsweise diese epoche aus.P.S.ich wuerde auch nur allzu gern in so einem spielfilm oder aehnlichem mitwirken.DANKE und gruesse aus dem sonnigem GRAN CANARIA.

John Wayne · 30.08.2013

Das Erzähltempo ist wirklich wohltuend gemächlich! Gelangweilt habe ich mich nicht.

Und auch da stimme ich dem 1. Kommentar zu: Der Film wirkt sehr künstlich; die Dialoge hätten phasenweise eher in eine Geschichte aus der Gegenwart gepasst; die Figuren sind dermassen emotionsfrei gespielt, dass man einen Goldrausch kaum spürt; die Darstellung der Schießerei hat fast schon "dokumentarische" Züge. Mein Fazit: Als "Western" ist der Film gescheitert; vielleicht hätte es dem Film besser getan, wenn Thomas Arslan eine "Auswanderergeschichte" aus dem Stoff gemacht und auf die aufgesetzt wirkenden Wetsern-Elemente verzichtet hätte.

wignanek-hp · 19.08.2013

Der Film wirkt schon in den ersten Minuten verstörend auf mich. Was ist da falsch? frage ich mich. Ich glaube, da kann es nur Annäherungen geben. Die Langsamkeit ist es sicherlich nicht, die ist wohltunend. Auch die Landschaft, die die Unmöglichkeit des menschlichen Unterfangens unterstreicht, ist nicht der Grund. Es ist die Atmosphäre, die fehlt. Obwohl an Originalschauplätzen gedreht, hat man nur in wenigen Momenten das Gefühl, dass da reale Menschen auf einem Treck ins „Goldland“ sind. Die Dialoge sind hölzern und wenn man die Schauspieler nicht aus anderen Produktionen kennen würde, würde man sagen, es mangele dem ein oder anderen an Talent. Für mich sind Uwe Bohm und Lars Rudolph glatte Fehlbesetzungen. Rudolphs Figur wirkt wenig glaubhaft, ja sogar lächerlich. Und Uwe Bohm wirkt hölzern, wie aus einem billigen Deutsch-Western entsprungen. Auf die Western-Klischees hätte man auch gerne verzichten können, da es daneben durchaus starke Bilder gibt. Insgesamt wirkt der Film, als sei hier die Vision eines Westerns nicht zu Ende gedacht worden, zumindest nicht in seiner filmerischen Konsequenz. Warum müssen z. B. Dialoge her, wenn man mit filmischen Mitteln dasselbe viel besser und glaubhafter ausdrücken könnte? Und dann der Rock von Nina Hoss: Von der ersten bis zur letzten Sekunden des Filmes tadellos in seiner Bläue. Vielleicht zeigt das am besten, woran es hier gemangelt hat. Schade eigentlich!