God's Own Country (2017)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Wenn der Frühling kommt

„Was wäre wenn?“ ist eine Frage, die wir uns alle von Zeit zu Zeit in Bezug auf die unterschiedlichsten Dinge stellen. In seinem Langfilmdebüt „God’s Own Country“ fragt sich der Drehbuchautor und Regisseur Francis Lee, was wohl passiert wäre, wenn er nicht einst seinen Heimatort verlassen hätte, um in „die große Stadt“, nach London, zu gehen. Lee wuchs in der nordenglischen ehemaligen Grafschaft Yorkshire auf – und lässt genau dort seine Geschichte spielen. Gewiss gibt es schon unzählige Coming-of-Age- und Coming-out-Erzählungen und gewiss sind etliche von diesen ebenfalls autobiografisch; die Rauheit und der Realismus der Bilder verleihen diesem Film jedoch etwas ganz Eigenes und Besonderes.

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Im Mittelpunkt von God’s Own Country steht der 24-jährige Johnny (Josh O’Connor), der mit seinem kranken Vater Martin (Ian Hart) und seiner Großmutter Deidre (Gemma Jones) auf einer abgelegenen Farm in besagter Region lebt. Um der Eintönigkeit seines Alltags zu entfliehen, betrinkt sich Johnny an den Abenden im Pub; gelegentlich lässt er sich auf schnellen, emotionslosen Sex mit jüngeren Männern ein. Als der Rumäne Gheorghe (Alec Secareanu) auftaucht, um während der Lamm-Saison auf dem Hof der Familie auszuhelfen, verhält sich Johnny zunächst extrem schroff gegenüber dem Fremden. Bald entwickeln sich zwischen den beiden Männern allerdings Gefühle – und zum ersten Mal glaubt Johnny, eine hoffnungsvolle Perspektive für sich zu erkennen.

Jede Einstellung in God’s Own Country zeugt davon, wie wichtig es Francis Lee war, sein Werk so authentisch wie möglich zu schildern. So wurde komplett on location gedreht; Set-Gestaltung und Kostüme wirken glaubwürdig – und im Spiel der beiden Hauptdarsteller ist eine intensive Vorbereitung auf die körperlich äußerst herausfordernden Tätigkeiten auf der Farm zu erkennen. Die Aufnahmen des Kameramanns Joshua James Richards überzeugen in den vielen naturalistischen Momenten des Films; ebenso eindrücklich sind sie jedoch, wenn plötzlich die überraschende Schönheit in dieser unwirtlichen Gegend sichtbar wird. Wenn auf den Winter der Frühling und auf die Grobheit die Zärtlichkeit folgt und sich etwa durch die Lichtsetzung die Atmosphäre merklich wandelt, geschieht dies erfreulich unsentimental. Liebe als Rettung – dieser Topos wird hier ohne Kitsch, aber wunderbarerweise mit Patrick Wolfs Song The Days als Abschluss erzählt. Mit Ang Lees Brokeback Mountain (2005) verbindet God’s Own Country neben der Gefühlserweckung in der ländlichen Abgeschiedenheit nicht zuletzt die karge verbale Kommunikation zwischen den verschlossenen, zunächst völlig isolierten Figuren.

Der Brite Josh O’Connor, der schon im Adoleszenzdrama Dorf der verlorenen Jugend einen tiefen Eindruck zu hinterlassen vermochte, vermittelt Johnnys Bedrängnis sehr eindringlich. Es wird deutlich, dass sich der junge Mann dazu verpflichtet sieht, die Farm seines Vaters weiterzuführen – auch auf Kosten des eigenen Glücks. Alec Secareanu ist dabei als Gheorghe nicht nur die Verkörperung dieses potenziellen Glücks; anhand der Figur und deren Hintergrund wird zugleich klug die schwierige Situation eines Saisonarbeiters beleuchtet. Da auch die Rollen von Ian Hart und Gemma Jones im Laufe der Handlung an Tiefe gewinnen, entsteht ein rundum gelungenes, komplexes Porträt einer Region, das von einer mitreißenden Emanzipierungs- und Liebesgeschichte ummantelt wird.

God's Own Country (2017)

„Was wäre wenn?“ ist eine Frage, die wir uns alle von Zeit zu Zeit in Bezug auf die unterschiedlichsten Dinge stellen. In seinem Langfilmdebüt „God’s Own Country“ fragt sich der Drehbuchautor und Regisseur Francis Lee, was wohl passiert wäre, wenn er nicht einst seinen Heimatort verlassen hätte, um in „die große Stadt“, nach London, zu gehen.

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