God Bless America

Eine Filmkritik von Rochus Wolff

Platonische Massenmörder im Dienste der Zivilisation

Es gibt so viele Arschlöcher und so wenig Kugeln. Das wusste schon der Rock’n’Roll-Detective Ford Fairlane. Das gleiche Problem haben auch die Protagonisten von Bobcat Goldthwaits Satire God Bless America. Frank und Roxy, keineswegs natural born killers, aber bewaffnet und bereit, ein Zeichen zu setzen.
Frank (Joel Murray) hat einen Gehirntumor, seinen Job verloren und ist davon angewidert, was aus der menschlichen Gesellschaft geworden ist. Er tötet den Teenie-Star einer Reality-TV-Show und wird dabei von Roxy (Tara Lynne Barr) beobachtet. Das junge Mädchen überzeugt Frank später, dass er sich jetzt nicht umbringen darf. Vielmehr sollte man gemeinsam jene töten, die es verdient haben. Frank erkennt, dass Roxy Recht hat. Beide ziehen los, um in der Welt aufzuräumen.

God Bless America ist ein Film mit einer Botschaft. Keine Botschaft, die der als Zed aus den Police Academy-Filmen bekannte Goldthwait mit Zurückhaltung oder Subtilität darbieten würde. Sie kommt wie ein Hammerschlag, direkt und ohne Umschweife, voll auf die Zwölf. Und sie trifft nicht nur amerikanische Konsumenten. Das Problem, das Goldthwait in seiner Geschichte identifiziert und durch seine Protagonisten bekämpfen lässt, ist längst ein globales. Mit Abscheu blickt Goldthwaits Film auf die Auswüchse moderner Popkultur. Wie ein geübter Chirurg legt Goldthwait das Krebsgeschwür frei, das heutzutage als Unterhaltung durchgeht. Er entlarvt eine Gesellschaft, die von Narzissmus geprägt ist, die die Schwachen vorführt und sich daran ergötzt, die Empathie durch Grausamkeit ersetzt hat. God Bless America ist die grimmig witzige, tiefschwarz morbide Abrechnung mit einer Welt, die sich als Zivilisation begreift, aber in spätrömischer Dekadenz verfällt.

God Bless America ist nicht nur das Porträt einer Nation. Es wäre ein Leichtes, die angeprangerten Probleme als ein uramerikanisches Phänomen anzusehen, aber Goldthwaits Film hat Allgemeingültigkeit. Moralischer Verfall, gepaart mit medienzelebriertem Narzissmus, ist keine amerikanische Erscheinung. Es geschieht überall. Hier, heute, jetzt. „Für denkende Menschen ist die Welt eine Komödie, für fühlende Menschen ist sie eine Tragödie“, sagte der britische Schriftsteller Horace Walpole. God Bless America ist eine Komödie, die ein großes Publikum verdient hat. Aber dieses Publikum müsste sich aus eben jenen Menschen rekrutieren, deren Handeln der Film anprangert. Er predigt zu den Bekehrten. Jene, die es notwendig hätten, aufgerüttelt zu werden, die nicht länger denken und fühlen, werden mit diesem Film vermutlich gar nicht erst in Kontakt kommen.

(Peter Osteried)
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Der Mann, der das Recht in die eigene Hand nimmt, der vigilante, ist eine regelmäßig wiederkehrende Figur des amerikanischen Kinos, von Dirty Harry bis zu The Amazing Spider-Man. Dabei verschwindet, vor allem im Mainstreamkino, gerne einmal die finstere Seite, die diesem Topos auch innewohnt: Wer sich über das Gesetz stellt, stellt sich ja auch über die Gesellschaft, über die anderen Menschen – von der Gerechtigkeit, die gegen das Gesetz durchgesetzt werden muss, ist der Weg schnell zur Selbstgerechtigkeit gefunden.

Aber die Welt ist ja auch voller Zumutungen: Frank (Joel Murray) hat einen langweiligen Bürojob, und seine Kollegen finden kaum etwas lustiger als einen jungen Mann, der sich in der Show „American Superstarz“ kräftig blamiert hatte; die Nachbarn interessieren sich nicht für seine Migräne, sondern lassen das Baby schon mal gerne etwas länger schreien, auch wenn der Fernseher längst auf voller Lautstärke tönt. Überhaupt das Fernsehen: Da gibt es Werbung für Furzgeräusche als Klingelton, Berichte über bigotte Schwulenfeindlichkeit, und schließlich empört sich in einer Reality-TV-Sendung ein verwöhntes Mädchen darüber, dass ihre Eltern ihm das falsche Auto zum Geburtstag schenken. Dies ist es, was Frank, der gerade erfahren hat, dass er an einem Hirntumor im Endstadium leidet, von seinen Selbstmordgedanken abbringt und lieber zu einem Feldzug aufbrechen lässt: Wer hat es verdient zu sterben?

In vollem Ernst wäre ein solcher Gestus kaum zu ertragen, und so kommt God Bless America als extrem schwarze Komödie daher, die freilich die traurigsten Momente der zeitgenössischen Fernsehunterhaltung kaum (falls überhaupt) zuspitzen muss, und deshalb in seinen Anfangsminuten getrost als bissige, aber realistische Bestandsaufnahme dessen durchgeht, was als amerikanischer „common sense“ gelten könnte. (Aber täuschen wir uns nicht, God Bless America könnte so ähnlich auch in jedem anderen durchtelevisierten Land der Gegenwart spielen.)

Regisseur und Drehbuchautor Bobcat Goldthwait, ein amerikanischer Schauspieler, Regisseur und Komiker, der hierzulande wohl vor allem als Regisseur von World’s Greatest Dad mit Robin Williams aufgefallen war, legt seine Hauptfigur natürlich nicht als bedingungslosen Amokläufer an. Er lässt Frank sinnieren, wer es ‚wirklich‘ verdient habe zu sterben – und gibt der eher lethargischen Figur zu diesem Zwecke einen quirligeren Gegenpart, die gerade einmal 16-jährige Roxy (Tara Lynne Barr), die Zeuge von Franks erstem Mord wird (an der oben genannten verwöhnten Tochter aus gutem Hause, einer verhassten Schulkameradin von Roxy).

Das spiegelt in jeder Hinsicht die Figurenkonstellation aus Super – Shut up, crime!, James Gunns Abgesang auf den Superheldenfilm: Auch dort finden sich ein frustrierter, alternder Mann und eine tatendurstige junge Frau zusammen, um gegen das Böse zu kämpfen. Nur ist bei Gunn das Böse sehr konkret in althergebrachten moralischen Kodizes gefasst (auch wenn, und das macht den bösen Charme des Films aus, sich der Antiheld natürlich rasch moralisch verirrt), während es in God Bless America doch eine Frage der persönlichen Vorlieben zu sein scheint, welches Verhalten schlimm genug ist, um Frank und Roxy zu einem Todesurteil zu bewegen.

Aber man macht es sich zu leicht, wenn man God Bless America als deutlich misanthropische Variante von Super lesen möchte – dafür sind die beiden Protagonisten immer wieder zu nett – oder versuchen wenigstens, nett zu sein. Im Kino erschießen sie wirklich nur die anderen Besucher, die ihr Handy tatsächlich nicht ausgeschaltet hatten. Und sie geben sich einander als Korrektiv, wenn etwa Roxy mit ihrer jugendlichen Wahrnehmung sich über Franks Abneigung gegenüber Twitter und Handys lustig macht.

Wenn es Goldthwait zunächst vor allem darum zu gehen scheint, dass die Menschen schlicht nicht mehr normal und angemessen miteinander umzugehen bereit seien („Why do we have a civilization if we are no longer interested in being civilized?“), so steckt doch in allem stets die Kritik an der medialen Aufbereitung und Vermehrung solchen Verhaltens; praktisch alles, worauf Frank und Roxy reagieren, wurde zuvor im Fernsehen ausgebreitet – oder stellt sich als gestörter Medienkonsum (etwa im Kino) dar. Insofern ist God Bless America weniger eine Gesellschaftssatire, als handfeste Kritik am realen Zustand der amerikanischen Medien – aber einen richtigen Ausweg findet auch der Film nicht.

Am Ende sind die beiden selbsternannten Helden der moralischen Aufrichtigkeit eher zu Outlaws à la Bonnie and Clyde geworden; dann stehen sie selbst vor Fernsehkameras und richten ihre Botschaft in die Welt. Genau damit aber sind sie vielleicht auch wieder nur Teil der Show – sehen wir nicht deshalb überhaupt diesen Film? – und deshalb eben auch ein weiteres, schwarzes Rädchen in der Maschinerie des Unterhaltungsindustriekomplexes. Und sage niemand, wir seien nicht frühzeitig gewarnt worden – es gibt womöglich eben doch kein richtiges Leben im falschen.

God Bless America

Es gibt so viele Arschlöcher und so wenig Kugeln. Das wusste schon der Rock’n’Roll-Detective Ford Fairlane. Das gleiche Problem haben auch die Protagonisten von Bobcat Goldthwaits Satire „God Bless America“. Frank und Roxy, keineswegs „natural born killers“, aber bewaffnet und bereit, ein Zeichen zu setzen.
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