Giovannis Insel

Eine Filmkritik von Falk Straub

Grenzenlose Freundschaft

Dass Zeichentrickfilme auch ernste Themen kindgerecht aufbereiten können, beweisen Animes seit Jahrzehnten. Giovannis Insel erzählt eine bewegende Familiengeschichte vor der Folie eines politischen Konflikts.
Regisseur Mizuho Nishikubo hat sich viel vorgenommen. In Giovannis Insel geht es um die Begegnung zweier Kulturen in den Nachwehen des Zweiten Weltkriegs. Im Mittelpunkt der Geschichte stehen die Brüder Junpei und Kanta. Mit ihrem Vater Tatsuo und dem Großvater Genzô leben sie auf der japanischen Insel Schikotan, die im September 1945 von den Sowjets besetzt wird. Nach anfänglicher Scheu und Skepsis freunden sich die Brüder mit ihrer neuen Nachbarin Tanya, der Tochter des sowjetischen Kommandanten, an. Als das Leben auf der Insel wieder ein Normalmaß erreicht, spitzt sich die Lage schlagartig zu: Tatsuo wird von der Roten Armee verhaftet, die japanischen Bewohner werden umgesiedelt.

Giovannis Insel beruht zum Teil auf wahren Ereignissen. Der Konflikt um die Inselkette, die sich zwischen dem russischen Kamtschatka und dem japanischen Hokkaidô erstreckt, dauert bis in die Gegenwart an. Starker Tobak. Doch Regisseur Nishikubo beweist mit viel Fingerspitzengefühl, dass das Thema auch in einem Kinderfilm funktioniert. Als Leitmotiv zieht sich Kenji Miyazawas Buch Night on the Galactic Railroad durch den Anime. Miyazawas philosophisches Märchen um ein Leben nach dem Tod spiegelt die Geschichte der jungen Protagonisten und dient den Brüdern immer wieder als Antrieb und Bezugspunkt. Ihren Eltern hatte Miyazawas Buch einst so gut gefallen, dass sie Junpei und Kanta nach Miyazawas Hauptfiguren Giovanni und Campanella benannten.

Für eine gelungene Umsetzung des Stoffes betreibt Giovannis Insel großen Aufwand. Nicht nur in der Geschichte, auch bei den Zeichnungen treffen zwei Welten aufeinander. Montiel Santiago, der künstlerische Leiter des Films, vereint in den Landschaftspanoramen Techniken des japanischen Holzschnitts mit dem pastosen Farbauftrag eines Vincent van Gogh. Nicht selten stehen die verwendeten Farbtöne für die Stimmung der Figuren. Die russischen unter ihnen sind auch russisch synchronisiert, deren Lieder eigens von Moskauer Chören eingesungen. Auf Eltern, deren Kinder des Lesens der Untertitel noch nicht mächtig sind, kommt also einiges an Fleißarbeit zu.

Doch diese lohnt sich. Denn Regisseur Nishibuko erzählt die Geschichte um Familie, Freundschaft, Vertreibung, Tod und Heimkehr nicht mit übertriebener Geste, sondern leise und mit viel Feingefühl. Ein verbindendes Element zwischen Japanern und Sowjets bildet die Musik. Am Anfang und Ende des Films zeigen gemeinsamer Gesang und Tanz, dass die Differenzen der Kulturen von Erwachsenen und nicht von Kindern gemacht sind. Und so steht am Ende die Hoffnung, dass sich die Großen das Verhalten der ganz Kleinen doch häufiger zum Vorbild nehmen.

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Dass Zeichentrickfilme auch ernste Themen kindgerecht aufbereiten können, beweisen Animes seit Jahrzehnten. „Giovannis Insel“ erzählt eine bewegende Familiengeschichte vor der Folie eines politischen Konflikts.
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