Genova

Eine Filmkritik von Katrin Knauth

Visionen in den engen Gassen von Genua

Mit dem 48-jährigen Michael Winterbottom geht es einem wie mit dem 74-jährigen Woody Allen. Man erwartet mit Spannung und voller Vorfreude jeden neuen Film, der zuverlässig jedes Jahr die Kinoleinwand erreicht. Doch während man bei Woody Allen eher auf das Vertraute hoffen kann, wird man bei Winterbottom jedes Mal aufs Neue überrascht. Ob Flüchtlingsdrama (In This World), Musikdoku (24 Hour Party People) oder Sexfilm (9 Songs) – man weiß nie, was zu erwarten ist, obwohl das was kommt, meist von hohem Niveau ist. Und es verwundert nicht, dass der hochproduktive Winterbottom inzwischen vier oder fünf weitere Filme in Arbeit hat.
Man weiß nicht, ob von Winterbottom beabsichtigt, aber ein bisschen knüpft Genova an seinen Vorgängerfilm Ein mutiger Weg mit Angelina Jolie in der Hauptrolle dennoch an. Beide Filme drehen sich um den Tod eines geliebten Menschen. Doch während die Protagonisten in dem einen Film noch um das Leben kämpfen, ist es in dem anderen Film längst verloren. Gleich am Anfang von Genova stirbt bei einem Autounfall eine Mutter (Hope Davis), die zwei Kinder und ihren Mann zurücklässt. Traumatisiert von dem tragischen Unglück werden die drei auf ganz unterschiedliche Weise damit fertig. Während die 16-jährige Kelly (Willa Holland) Zuflucht bei Männern und in Drogen sucht, wird die 10-jährige Mary (Perla Haney-Jardine) von schrecklichen Alpträumen heimgesucht.

Der Vater Joe (Colin Firth) will ein neues Leben beginnen und zieht mit seinen beiden Töchtern von Chicago in die italienische Hafenstadt Genua, wo sie herzlich von Joes früheren Studienkollegin Barbara (Catherine Keener) empfangen werden. Sie hilft, wo sie kann, findet Job, Wohnung und neue Freunde für sie. Schnell leben sich die drei in ihrer neuen Umgebung ein. Kelly entdeckt die Freuden des Dolce Vita. Vater Joe managt Haushalt und seinen Job an der Universität gleichzeitig. Nur Mary, die sich für den Tod ihrer Mutter verantwortlich fühlt, schreckt immer wieder nachts hoch und hat seltsame Visionen. Ständig begegnet ihr der Geist ihrer Mutter. Ihre Mutter nimmt sie an die Hand und gemeinsam laufen sie davon. Das führt dann immer wieder dazu, dass Mary plötzlich verschwindet und irgendwo einsam und verlassen wieder auftaucht.

Man möchte selbst die kleine Mary immer wieder an die Hand nehmen, wenn sie ganz verzweifelt durch die schmalen Gassen läuft. Aus Angst, dass sie sich verläuft oder dass eine dieser schrägen Gestalten sie womöglich entführen könnte. Genua bietet mit seinen schmalen Gassen, die Winterbottom beklemmend zu inszenieren weiß, das perfekte Set-up. Überhaupt sind raue, schwierige Locations, zu denen Genua nicht unbedingt dazu gehört, Winterbottoms Steckenpferd. Welcome to Sarajevo hat der britische Filmemacher kurz nach dem Waffenstillstand in Sarajevo gedreht und für In This World, Road To Guantanamo und Ein mutiger Weg wagte er sich zum Drehen nach Afghanistan, Pakistan und in den Iran. Obwohl die Geschichte von Genova überall spielen könnte, verleiht ihr der Ort eine spezielle mysteriöse Atmosphäre und spiegelt so fantastisch auch das verwirrte Innenleben der Figuren wieder.

Genova reiht sich ein in Filme, die uns das schwere Kapitel Trauerarbeit vor Augen führen. Fern ab von Gefühlsduselei geht es darum, den Schmerz zu überwinden und das Leben zu meistern. Oft kommt dabei auch eine übersinnliche Komponente ins Spiel. Ein wenig erinnert der Film an Nicolas Roegs Wenn die Gondeln Trauer tragen (1973). Um sich vom Tod ihrer kleinen Tochter abzulenken, reisen die Eltern nach Venedig und lernen dort zwei ältere schottische Schwestern kennen, die behaupten, mit der Seele ihrer Tochter in Verbindung zu stehen. Das geht soweit, dass der Vater glaubt seine ertrunkene Tochter lebendig wieder zu sehen. Auch der aktuelle Kinofilm Die Tür von Arno Saul lässt den Kindsvater durch eine mysteriöse Tür in sein altes Leben zurückkehren, als seine Tochter noch am Leben war.

Man kommt ein bisschen traurig und angeschlagen aus dem Kino, aber nur deshalb, weil der Film einen so wunderbar gefühlvoll einzufangen mag. Ohne großes Getöse, sondern ganz simple und einfach.

Genova

Mit dem 48-jährigen Michael Winterbottom geht es einem wie mit dem 74-jährigen Woody Allen. Man erwartet mit Spannung und voller Vorfreude jeden neuen Film, der zuverlässig jedes Jahr die Kinoleinwand erreicht. Doch während man bei Woody Allen eher auf das Vertraute hoffen kann, wird man bei Winterbottom jedes Mal aufs Neue überrascht.
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