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Ang Lee experimentiert in seinem neuen Actionthriller abermals mit einer erhöhten Bildwiederholfrequenz und lässt Will Smith gegen eine jüngere, digital erzeugte Version seiner selbst antreten. Gehen Technik und Inhalt hier eine starke Symbiose ein?

Gemini Man (2019)

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Der doppelte Will

Schon in seiner letzten Regiearbeit, der Romanverfilmung „Die irre Heldentour des Billy Lynn“, probierte sich Ang Lee am sogenannten High-Frame-Rate-Format, bei dem deutlich mehr Einzelbilder pro Sekunde abgespielt werden als in der klassischen Kinotechnik (traditionell sind es 24 pro Sekunde). Ziel dieser Darstellungsform ist ein noch stärkeres Eintauchen des Zuschauers in die Illusionen auf der Leinwand. Auch Lees neues Werk „Gemini Man“, ein Actionthriller mit leichtem Science-Fiction-Touch, greift auf das HFR-Verfahren zurück und beschert dem Publikum in der Tat ein visuell packendes Erlebnis. Zum einen wegen der viel höheren Bildrate, die gestochen scharfe Aufnahmen liefert. Zum anderen, weil Will Smith auf einen am Computer erzeugten jüngeren Doppelgänger trifft.

Im Mittelpunkt der Handlung steht der in die Jahre gekommene, vom US-Geheimdienst DIA gesteuerte Killer Henry Brogan (Smith), der sich nach einem letzten erfolgreichen Auftrag in den Ruhestand verabschieden will, da sein blutiges Geschäft immer mehr an seinem Gewissen nagt. Ein entspannter Lebensabend ist ihm jedoch nicht vergönnt. Denn seine früheren Auftraggeber wollen ihn plötzlich tot sehen. Als Brogan einem ersten Mordanschlag entgehen kann, sendet Clay Verris (Clive Owen), der Leiter des sogenannten GEMINI-Programms, den ungemein effektiven Elitesoldaten Junior (der digitale Will Smith) aus, bei dem es sich um einen jüngeren Klon Henrys handelt. Mit der Hilfe der DIA-Agentin Danny Zakarweski (trotz aktiver Momente unterfordert: Mary Elizabeth Winstead) und seines alten Kumpels Baron (Benedict Wong) versucht der Gejagte, seine Haut zu retten.

Zweifellos braucht man anfangs etwas Zeit, um sich an die eigenwillige, durch die HFR-Technik bedingte Optik zu gewöhnen. Gemini Man sieht anders aus als „normale“ Kinofilme, lässt den Betrachter fast glauben, direkt am Geschehen teilzunehmen, mittendrin zu sein statt nur dabei. Die Tiefenschärfe ist atemberaubend und kommt noch besser zur Geltung, wenn man das Ganze – wie in der Pressevorführung geschehen – in der 3D-Version schaut. Dass die gesteigerte Bildrate die Rezeption allemal nachhaltig beeinflussen kann, beweist die erste große Actionsequenz, die Henry und Junior über die Straßen der kolumbianischen Küstenstadt Cartagena führt. Während die beiden Profikiller durch die Gegend rennen, schießen und fahren, hat man das Gefühl, unmittelbarer Augenzeuge der wilden Hatz zu sein. Auch später gelingt es Ang Lee, körperliche Auseinandersetzungen, Verfolgungen und Feuergefechte mit enormer Intensität aufzuladen.

Bemerkenswert ist in visueller Hinsicht neben den manchmal aufregenden Kameraeinstellungen freilich auch die Darstellung des Klons, den man im Grunde nicht von den realen Mimen unterscheiden kann. Ein Hauch Künstlichkeit mag in den Zügen Juniors liegen. Und doch ist es einfach nur erstaunlich, wie ausgeklügelt sich die Technik mittlerweile präsentiert. Gemini Man zeigt, was heute am Computer alles möglich ist, und wirft natürlich die Frage auf, welche Zukunft der Schauspielerei bevorsteht. Wird es irgendwann vielleicht nur noch digital erschaffene Figuren geben? Bei aller Freude über die optischen Fortschritte ist dies ein höchst verstörender Gedanke.

Formal setzt Ang Lee mit seinem neuen Film zweifellos spannende Akzente. Erzählerisch gibt sich sein Verschwörungsreißer allerdings erstaunlich unspektakulär. Altbekannte Elemente – etwa das Klischee des Killers, der unerwartet auf die Abschussliste gerät – drängen sich in einem Standardplot ohne große Überraschungen. Die rund zweistündige Laufzeit lässt sich so sicher kurzweilig füllen. Nachhaltig Eindruck macht die Geschichte aber nicht, obwohl sie einige reizvolle ethische und psychologische Aspekte streift. Henrys Schock darüber, auf einmal einem jüngeren Ebenbild gegenüberzustehen, das ihn töten will, spielt zwar eine Rolle, wird jedoch nie ernsthaft vertieft. Ähnliches gilt für Juniors aufkeimende Skrupel und seine Zweifel in Bezug auf seinen Schöpfer Verris, dem Clive Owen eine beängstigende Aura verleiht. Ob das Klonen von Menschen für bestimmte Zwecke sinnvoll sein kann, diskutiert Gemini Man im Finale arg hastig durch und unterstreicht damit noch einmal seine geringen inhaltlichen Ansprüche.

Gemini Man (2019)

Der Elite-Auftragskiller Henry Brogan (Will Smith) sieht sich plötzlich selbst im Zentrum der Verfolgung durch einen mysteriösen jungen Agenten, der scheinbar jeden einzelnen seiner Schritte vorhersehen kann. 

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