Gegenüber (2007)

Eine Filmkritik von Katrin Knauth

Montag, 13.7. 2009, DAS ERSTE, 22:45 Uhr

Mehr Schein als Sein: Hinter der Fassade einer vermeintlich glücklichen Ehe bröckelt es schon seit langem. Verbale Streitigkeiten sind längst in schwere Handgreiflichkeiten übergegangen. Doch während Gewalt in der Ehe meist die Misshandlung der Frau durch den Mann ist, beschäftigt sich das Debüt des Kölner Filmstudenten Jan Bonny genau mit dem Gegenteil und lässt eine Frau Gewalt gegenüber ihrem Mann anwenden.

Keiner ahnt von den Konflikten, die das Leben von Anne (Victoria Trauttmannsdorff) und Georg (Matthias Brandt) seit Jahren bestimmen. Keiner ahnt, dass Annes Wutausbrüche regelmäßig in harte Schläge übergehen, so intensiv bis Georg am Boden liegt – denn der Ehemann wehrt sich nicht. Georg arbeitet als Polizist, stets besonnen und ruhig, etwas zu ruhig. Denn wenn seine Frau mal wieder grundlos auf ihn einprügelt, dann möchte man einfach nur dazwischen springen, ihn an die Schultern fassen und dazu aufrütteln, sich endlich gegen seine rabiate Frau zu wehren. Anne arbeitet als Lehrerin, hat einen erstaunlich guten Draht zu den Kindern, die sie unterrichtet, zu ihren eigenen aber nicht. Eigentlich traut sich niemand in der Familie Anne gegenüber die Wahrheit zu sagen, aus Angst vor einem plötzlichen Wutausbruch, den wiederum Georg am allermeisten zu spüren bekommt. Nur Annes autoritärer Vater sagt ihr die Wahrheit ins Gesicht, aber nur vor ihm geht sie in die Knie.

Doch die vermeintlich glückliche Fassade bekommt allmählich Risse und die Spannungen dringen nach außen. Die Spuren körperlicher Gewalt zeigen sich nach und nach auch den Mitmenschen von Georg. Als Georg auf der Arbeit befördert wird, dreht sein jüngerer Partner Michael (Wotan Wilke Möhring) durch, weil er es selbst auf die Beförderung abgesehen hatte und es niemand anderem gönnt. Folglich beschließt er, sich bei Georg zu rächen, indem er mit Anne ins Bett geht – und dabei in flagranti von Georg erwischt wird. Mitten im eigenen Wohnzimmer. Und was tut Georg? Sich daneben setzen, wortlos dabei zuschauen und sich betrinken.

Das Ganze ist stellenweise so unfassbar, dass man schreien möchte. Warum lässt sich ein Mann das alles gefallen? Was ist die Frau nur für ein Mensch, die ihren gutmütigen Mann sinnlos zusammenschlägt? Die Fragen bleiben, sprachlos bleibt man auch nach dem Film zurück. Bis zum Ende folgen Schlag auf Schlag gelungene Szenen, grandios inszeniert und gespielt, mit solch einer Wucht – das muss man sich einfach ansehen. Das ist kein dusseliges Gefühlskino, hier wird knallhart auf Psychologie gesetzt.

Seine Weltpremiere feierte Gegenüber in diesem Jahr auf den Filmfestspielen von Cannes in der Sektion „Quinzaine des Réalisateurs“ (Director’s Fortnight), wo der Film mit einer Lobenden Erwähnung ausgezeichnet wurde. Die Deutschlandpremiere fand auf dem Filmfest München statt. Dort gewann der Film den Preis für das Beste Drehbuch, das Jan Bonny gemeinsam mit Christina Ebelt geschrieben hat. Mit diesem Drehbuch schloss Bonny sein Studium an der KHM Köln ab.

Der 28-jährige in Düsseldorf geborene Nachwuchsregisseur Jan Bonny geht mit einer unglaublichen Härte an seinen eigenen Stoff. Schonungslos und mit raffinierter Genauigkeit beschreibt er den Zustand einer gescheiterten Ehe. Für zarte Gemüter ist das nichts, wer aber im Kino aufgerüttelt werden will, sitzt in Gegenüber genau richtig.
 

Gegenüber (2007)

Mehr Schein als Sein: Hinter der Fassade einer vermeintlich glücklichen Ehe bröckelt es schon seit langem. Verbale Streitigkeiten sind längst in schwere Handgreiflichkeiten übergegangen.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

· 28.11.2007

Die häusliche Gewalt steht doch bei diesem Film gar nicht im Vordergrund! Das ist ja gerade das beeindruckende an diesem Film! Es geht doch vielmehr um Abhängigkeiten innerhalb der Beziehung der Figuren nach innen und nach aussen. Vergleiche mit Reality-TV sind in diesem Fall eher absurd.

Orangenhain · 15.11.2007

Der Film ist sehr voyoristisch. Meines Erachtens wird einfach nur *draufgehalten und abgefilmt*, über die psychologischen Hintergründe erfährt man nichts.
Wenn ich so etwas sehen möchte,kann ich mir auch nachmittags reality TV angucken.
Wer sich wirklich mit dem Thema häusliche Gewalt auseinandersetzen möchte, sollte sich *Öffne meine Augen* ansehen.

Snacki · 17.10.2007

Sehr eindringlich, sehr schmerzlich - ein wichtiger Film, der sich nicht scheut, Tabuthemen zu behandeln.

· 23.08.2007

Der Film ist echt erste Sahne. So eine Problematik wird selten in einem Spielfilm gezeigt!!! Daumen hoch!