Gardens of the Night

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Berlinale 2008: Wettbewerb

Nach dem sehr schrillen und sehr aufgeregten Wettbewerbsbeitrag Julia bildet Damian Harris‘ heftiger Film Gardens of the Night sozusagen die Antithese zur alkoholgeschwängerten Räuberpistole von Erick Zonca. Sehr ruhig und zurückhaltend, in vielen Momenten voller Zärtlichkeit verlässt sich Harris ganz auf die Kraft seiner Geschichte, auf sein – sicherlich sehr schwieriges – Thema und auf seine Hauptdarsteller. Der Film erzählt die Geschichte der siebenjährigen Leslie Whitehead (Ryan Simpkins), die eines Tages von zwei Männern entführt und jahrelang festgehalten wird. Zunächst wird das Mädchen mit der falschen Behauptung getröstet, die Eltern hätten dringend auf eine Reise gehen müssen, später heißt es dann, sie hätten das Kind nicht mehr gewollt. Der eine der beiden Entführer namens Alex (Tom Arnold) ist der nettere der beiden, während der jüngere Frank (Kevin Zegers) keine Gelegenheit auslässt, das Mädchen und den ebenfalls gekidnappten Donnie (Jermaine ‚Scooter‘ Smith) psychisch zu quälen. Dem Brechen des Willens der Kinder folgt der Missbrauch, zuerst sind es „nur“ pornographische Bilder, später folgt dann die „Vermietung“ an zahlende Kunden und schließlich sogar die Zusammenarbeit mit einem „Agenten“ – die Schattenwirtschaft des Kindesmissbrauchs folgt exakt den gleichen Regeln wie die kommerziellen Kanäle in anderen Bereichen. Das einzige, was dieses Leben, aus dem es kein Entrinnen gibt, erträglich macht, ist die Freundschaft, die sich zwischen Leslie und Donnie entwickelt. Einige Jahre später: Leslie (nun gespielt von Gillian Jacobs) und Donnie leben auf der Straße, zusammen mit anderen Aussteigern. Beide verkaufen ihren Körper, sind auf Droge und ohne jede Perspektive, wie es im Leben weitergehen soll. Als Leslie schließlich in eine Einrichtung für obdachlose Straßenkids gerät, stößt sie dort auf einen Sozialarbeiter (John Malkovich mit säuselnder Sozialpädagogen-Stimme), der ihre Lügen (so behauptet sie etwa, ihre Eltern seien tot) durchschaut und ihr einen Weg zeigt. Doch der Gang zurück zu ihrer Familie ist schwer, denn Leslie wurden die wichtigsten, die prägendsten Jahre ihres Lebens geraubt.
Harter Stoff ist das, was Damian Harris in seinem Film zeigt. Und er lässt keinen Zweifel daran, dass das, was Leslie zustößt, immer und überall passieren kann – der Fall Leslie ist kein Einzelfall, wie die Zahlen über sexuellen Missbrauch und Kindesentführung am Ende des Films beweisen. So verließ denn auch gestern kaum ein Journalist nach den letzten Bildern vorzeitig den Saal, alle starrten wie gebannt auf die Statistiken des Grauens. Doch trotz des bewegenden Themas, das besonders gegen Ende für einige Klöße im Hals gesorgt hat, bleiben am Ende des Films zu viele Fragen offen: So ist beispielsweise vollkommen unklar, warum Alex und Frank die Kinder einfach in die Freiheit entließen, ohne Angst davor haben zu müssen, dass diese sich an die Polizei wenden. Und wer kein Experte für Kinderpsychologie ist, fragt sich schon, warum Leslie den Beteuerungen von Alex einfach so Glauben schenkte oder nicht mehr unternahm, um sich aus ihrer peinigenden Situation zu befreien. Vielleicht haben wir aber einfach immer noch zu wenig Ahnung davon, was wirklich im Inneren von Kindern vorgeht, die dieses Schicksal erleiden. Gardens of the Night hat an diesem Unwissen nicht allzu viel geändert, er hat uns lediglich eine Ahnung davon gegeben, was mit diesen Kindern geschieht. So ergreifend manche Szenen auch waren: Unterm Strich ist Gardens of the Night ein reichlich spekulativer Film, der die schwarzen Flecken unseres Nichtwissens und Nichthinschauens nicht wesentlich aufhellen kann.

Gardens of the Night

Nach dem sehr schrillen und sehr aufgeregten Wettbewerbsbeitrag Julia bildet Damian Harris‘ heftiger Film Gardens of the Night sozusagen die Antithese zur alkoholgeschwängerten Räuberpistole von Erick Zonca.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen