Gandu - Wichser (DVD - Limited Edition)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Vergesst Bollywood!

„Dummkopf“, „Arsch“, „Loser“, „Idiot“ – dies alles und noch viel mehr steckt in dem indischen Wörtchen Gandu, das zumindest erfahren wir am Anfang. Man könnte es aber auch prosaischer und wesentlich direkter ausdrückent: Gandu bedeutet schlicht „Wichser“ – und genau das trifft den Nagel dieses herrlich unkorrekten, wilden und obszönen Independent-Films aus Indien auf den Kopf, der der überwiegend schöngefärbten Bollywood-Welt mir rotziger Punk-Attitüde in den Allerwertesten tritt. Gandu war erst im letzten Jahr in der Panorama-Sektion der Berlinale zu sehen und sorgte dort ebenso wie auf verschiedenen anderen Festivals für erhebliche Skandale. In der sehr fein kuratierten Veröffentlichungsgeschichte des Bildstörung-Labels stellt der Film nun insofern ein Novum dar, da er zum ersten Mal ein aktuelles Werk herausbringt – der nächste Schritt wäre dann eigentlich die behutsame Expansion aus dem DVD-Bereich ins anspruchsvolle und wilde Arthouse-Kino.
Kein Geld, kein Sex und keine Ahnung, wie es weitergeht: Gandu (Anubrata) ist ein Jugendlicher aus Kalkutta, der zusammen mit seiner Mutter in einer heruntergekommenen Wohnung haust. Um sich diese bescheidene Bleibe überhaupt leisten zu können, schläft sie mit dem üblen Café-Besitzer Dasbabu (Shilajit), der so cool ist, dass er selbst beim Sex mit verbundenen Augen die Sonnenbrille nicht ablegt. Gandu rächt sich auf seine Weise für die Abhängigkeiten, die Machtverhältnisse zementieren, indem er Dasbabu bestiehlt. Der einzige Ausweg, der ihm bleibt, ist es, endlich einmal in der Lotterie zu gewinnen, bei der er tagtäglich spielt oder ein Rap-Star zu werden. Doch bis es soweit ist, muss er erstmal die Tage rum bringen. Als Gandu den Rikschafahrer Rickshaw (Joyraj) kennenlernt, hat er, der Ausgestoßene, zumindest mal einen Kumpel, mit dem er sich halluzinogene Drogen reinpfeifen und vom künftigen Ruhm träumen kann.

Eines steht fest: Wer Bollywood-Kino mag, der wird von diesem Film mehr als verstört sein, denn mit den Großproduktionen vom Subkontinent hat dieser Film außer dem Handlungsort und gelegentlichen Musikeinlagen nichts gemeinsam. Statt Romantik und Abenteuer geht es hier um die knallharte und ungeschminkte Realität des Lebens in Indien.

Armut, Pornographie, Drogen und Rap – das sind die vier Grundpfeiler, die das Leben von Gandu fest im Griff haben. So dünn die Plotline auch ist – genauer gesagt besteht Gandu vor allem aus deskriptiven Momenten und kaum aus etwas, das man nach dramaturgischen Kriterien als Story beschreiben könnte –, der Film packt einen aufgrund seiner Unverblümtheit und seines rauen Charmes von der ersten Minute an und lässt einen bis zum Ende nicht mehr los. Experimentell ist dabei nicht nur die Handlung, sondern auch der impulsive Stil, den Kaushik Mukherjee alias Q hier zeigt: Überwiegend in Schwarzweiß gedreht (nur wenn Gandu endlich durch die Prostituierte Rii entjungfert wird, wechselt der Film kurz ins Grellbunte), ist die Handkamera ständig auf Achse, springt, rennt und sucht die Nähe zu ihrem Protagonisten so sehr, dass dessen rohe Energie mehr als nur einmal die vierte Wand überwindet und den Zuschauer direkt attackiert. Außerdem hat Gandu eine halbe Stunde vor Ende des Films eine leibhaftige Begegnung mit Q, der gerade einen Film über ihn dreht, was zum Anlass dafür genommen wird, die Credits schon mal durchs Bild laufen zu lassen – ein ziemlich verrückter Einfall, der aber zum experimentellen Punk-Stil des Filmes hervorragend passt.

Ebenso beachtlich wie das expressive und freie Spiel mit den formalen und inhaltlichen Möglichkeiten ist auch die Entstehungsgeschichte des Films: Q drehte den Film mit einer Handvoll Menschen und sehr wenig Geld und wartet immer noch auf eine Freigabe von Gandu in seiner Heimat Indien, wo die drakonischen Zensurgesetze den Kinostart bis zum heutigen Tage verhinderten. Und das, obwohl der Film dank des Internet Millionen von Fans weltweit hat.

Was bleibt, ist große Freude über wildes Kino, das man trotz vieler Freiheiten in dieser Ungeschminktheit auch in Europa selten bis gar nicht zu sehen bekommt. Zudem bleibt auch die Erkenntnis, dass dieser Film nicht zum Skandal taugt, sondern eher als Anregung und Vorbild verstanden werden sollte: Für ein neues, ein anderes Kino, das statt ausgefeilter (und überkonstruierter) Storylines viel lieber auf Kraft (manchmal auch Brutalität und expliziter Bilder), auf die selbstverständliche Integration des Sexuellen in die Handlung und auf kinematographischen Wagemut und schrankenlose Experimentierfreude setzt. Wow!

Gandu - Wichser (DVD - Limited Edition)

„Dummkopf“, „Arsch“, „Loser“, „Idiot“ – dies alles und noch viel mehr steckt in dem indischen Wörtchen „Gandu“, das zumindest erfahren wir am Anfang. Man könnte es aber auch prosaischer und wesentlich direkter ausdrücken: „Gandu“ bedeutet schlicht „Wichser“ – und genau das trifft den Nagel dieses herrlich unkorrekten, wilden und obszönen Independent-Films aus Indien auf den Kopf, der der überwiegend schöngefärbten Bollywood-Welt mir rotziger Punk-Attitüde in den Allerwertesten tritt.
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