Log Line

Was haben der Ödipus-Mythos, Dragqueens, Animierlokale und Kifferszenen miteinander zu tun? Im ersten Moment überhaupt nichts, aber das tut hier nichts zur Sache. Denn „Funeral Parade of Roses“ atmet den Geist der 68er-Revolte: Ein metatextueller Queer-Cinema-Film mit enormer visueller Sprengkraft.

Funeral Parade of Roses (1969)

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Von Rosen und Revolten

„Es gibt keine absolute Definition des Kinos mehr. Alle Tore stehen offen“, heißt es einmal in Toshio Matsumotos visuell berauschender Queer-Cinema-Perle „Funeral Parade of Roses“ von 1969, die 2018 – restauriert in 4K und mit fast 50-jähriger Verspätung – zum ersten Mal offiziell in den deutschen Kinos anläuft. Jene Worte stammen vom litauischen Regisseur, Dichter und Kurator Jonas Mekas, dem Nestor des US-amerikanischen Underground-Kinos, und sie sind nur ein Verweis von gefühlt hunderten in diesem vor kunstgeschichtlichen Zeichen und metatextuellen Signaturen nur so strotzenden Werk, das prinzipiell nicht kategorisierbar ist und sich kaum in Worte fassen lässt.

Formuliert mit dem politischen wie ästhetischen Impetus der „Neuen Welle“ des japanischen Kinos der 1960er Jahre erzählt Toshio Matsumoto (1922–2017), den kunstbeflissene Zuschauer ebenso als international renommierten Videokünstler, Fotografen und Dokumentarfilmer kennen, die Geschichte der beiden Dragqueens Eddie und Leda, die abwechselnd den zwielichtigen Nachtclubbesitzer Gonda bezirzen, der ihr Vater sein könnte – und in einem Fall auch ist. Denn Matsumoto hat sich für diese extrem vitale und extravagant montierte Adaption des „Ödipus“-Stoffes den anarchischen Spaß erlaubt, dass an dieser Stelle der Sohn den Vater liebt und nicht die Mutter, wie es im Original bei Sophokles heißt. 

Überhaupt spielen transgressive und offen subversiv in Szene gesetzte Momente in Funeral Parade of Roses den eigentlichen Hauptpart: Tabus werden in schöner Regelmäßigkeit und ohne jegliche Schonung des Zuschauers gebrochen. So werden beispielsweise lose arrangierte Partyszenen kiffender Horden wie selbstverständlich mit reportagehaft inszenierten Frage-Antwort-Settings kombiniert oder sinnlich aufgeladene Sexzenen voller Artifizialität mit schlagerrevueartigen Groteskszenerien, an denen Rabelais oder Bachtin ihre wahre Freude gehabt hätten. 

In Funeral Parade of Roses, der der Legende nach Stanley Kubrick bei der Konzeption von A Clockwork Orange maßgeblich beeinflusst haben soll, was man unter anderem in der Verwendung von Zeitraffern und Synthesizer-Klängen seinem späteren Skandalfilm deutlich ansieht, zählt alleine das „Wie“ der Formen und Bezüge. Das narrative „Was“ tritt von Beginn an in den Hintergrund. In diesem bizarren Avantgarde-Kino-Projekt mit gefühlten hundert Ausrufezeichen im Subtext werden nicht nur lustvoll und gleich reihenweise einige Klassiker des modernen Nachkriegskinos von Resnais über Godard bis hin zu Bergman, Pasolini oder Antonioni (an-)zitiert, sondern Toshio Matsumoto widmet in all dem frivolen Treiben speziell dem Transvestiten- und „Gay-boys“-Milieu in Tokio zum ersten Mal in einem japanischen Film breiten Raum, was zur Entstehungszeit für große Aufmerksamkeit in Matsumotos Heimatland sorgte und ihn aus heutiger Sicht zusätzlich sehenswert macht. 

In Kimono- und Twiggy-Outfits, mit überzogenen Kabuki-Traditionen und assoziativen Zwischenschnitten, die Nonsens und Slapstick-Einlagen keineswegs aussparen, sowie in rasanten Duschszenen mit Rasiermessern, Rückblenden, Stop-Tricks, Jump Cuts und faszinierenden Close-ups inklusive, hat Toshio Matsumoto zusammen mit seinem vorzüglichen Kameramann Tatsuo Suzuki einen absolut wilden, durch und durch bilderstürmerischen Avantgardefilm im Sinne von Amos Vogel und dem Geist der französischen „Nouvelle Vague“ gedreht, den man in ebenso brillanten wie einprägsamen Schwarz-Weiß-Einstellungen unbedingt auf der großen Kinoleinwand sehen sollte. Amos Vogels Kernthesen, dass Film „als subversive Kunst“ möglich sei genauso wie ein „Kino wider die Tabus“, löst Funeral Parade of Roses besser ein als viele andere Filme aus den vergangenen fünf Dekaden. 

Funeral Parade of Roses (1969)

Die Dragqueens Eddie und Leda buhlen um die Gunst des Nachtclubbesitzers und Dealers Gonda, der sich schließlich für Eddie entscheidet. Leda begeht Selbstmord. Eddie sehnt sich gleichzeitig nach ihrem Vater, der früh die Familie verlassen hatte. Sie ermordet ihre Mutter und deren Liebhaber um später festzustellen, dass ihr Liebhaber Gonda ihr Vater ist, der sich als er dies herausfindet umbringt.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen