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Elizabeth Chai Vasarhelyi und Jimmy Chin haben Extrembergsteiger Alex Honnold bei einem Weltrekordversuch begleitet. Aber Vorsicht! Ihr oscarprämierter Dokumentarfilm ist nur etwas für Schwindelfreie und Nervenstarke.

Free Solo (2018)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Schwindelerregende Spannung

Gibt es Perfektion? Für Profibergsteiger Alex Honnold kommt seine Art zu klettern, das Free Solo, der Perfektion so nah wie möglich. Im Alleingang, ohne Sicherung und ohne technische Hilfsmittel bedeutet jeder Fehlgriff den Tod. Während dem Kinopublikum wiederholt der Atem stockt, hat Honnold stets die Ruhe weg.  

Der 1985 geborene Schlaks ist überhaupt ziemlich tiefenentspannt, ob während seines Kleinbuslebens, zu dem seit Kurzem Freundin Sanni zählt, oder eben ganz allein an einer Steilwand in luftigen Höhen. Das kommt nicht nur seinen Kletterkollegen, sondern irgendwann auch dem Protagonisten seltsam vor. Ein Scan seines Gehirns bringt Klarheit. Honnolds Amygdala reagiert auf Reize, die andere sofort auf die Palme brächten, so gut wie gar nicht. Ein kleiner, ebenso aufschlussreicher wie amüsanter Seitenweg dieses oscarprämierten Dokumentarfilms, der ansonsten den vertrauten Pfaden aus Interviews, Archivmaterial-Montagen und schwindelerregenden Einstellungen folgt.

Wie so viele Geschichten übers Bergsteigen handelt auch Free Solo von einem Rekord. Schon seit Jahren hat Honnold den El Capitan im Visier. Der Felsvorsprung im Yosemite-Nationalpark mit seinen bis zu 1000 Meter hohen, teilweise senkrecht abfallenden Flanken ist immer wieder für Rekorde gut. In Am Limit (2007) erklommen die Brüder Alexander und Thomas Huber in nur wenigen Stunden die Route The Nose, in Durch die Wand (2017) hingen Tommy Caldwell und sein Partner Kevin Jorgeson 19 Tage in den Seilen, um die bis dahin für unbezwingbar gehaltene Dawn Wall zu meistern.

Caldwell spielt auch in Free Solo einen wichtigen Part. Die Klettercommunity kennt sich, greift einander unter die Arme. Und keiner hat den El Capitan so verinnerlicht wie der 1978 geborene Caldwell, der dort schon seit 20 Jahren kraxelt, das aber niemals ohne Seil wagen würde. Eine gesunde Angst, die Honnolds Hirn offensichtlich abgeht. Wiederholt gibt Caldwell die Stimme der Vernunft. Er beschreibt den süchtig machenden Rausch, den er verspüre, wenn er gemeinsam mit seinem Kumpel Alex klettere. Und er weist auf all die verstorbenen Freikletterer hin, die das Regieduo mit einer kurzen Sequenz würdigt. Honnold quittiert das, wie anscheinend alles in seinem Leben, mit einem Lächeln und einem Achselzucken.

Filmemacherin Elizabeth Chai Vasarhelyi und ihr Ehemann, Koregisseur und Kameramann Jimmy Chin sind nicht neu im Geschäft. Chin ist selbst professioneller Bergsteiger und hat mit seiner Lebens- und Arbeitspartnerin bereits die Bergsteigerdoku Meru (2016) gedreht, bei der er vor und hinter der Kamera agierte. Auch in Free Solo tritt er mit seinem Kamerateam vors Objektiv, wägt das Risiko ab, diskutiert ihre Verantwortung. Auf keinen Fall wollen sie Honnold durch ihre Anwesenheit gefährden oder zu etwas Unüberlegtem drängen. Wie zu erwarten, ist ihm aber auch das ziemlich schnuppe.

Wie dieser relaxte Typ wurde, wer er ist, das deutet Free Solo allenfalls an. Sein Vater starb, als er noch ein Kind war, seine Mutter gibt wenig preis. Honnold selbst beschreibt sich als melancholischen Außenseiter, was seine Freundin zu spüren bekommt. Den Berg würde er ihr jederzeit vorziehen. Ein vertrautes Phänomen unter Adrenalinjunkies, das auch Caldwell kennt. Und doch scheint die Beziehung Honnold zu verändern. Immerhin kauft er mit Sanni ein Haus. Sein erster fester Wohnsitz nach mehr als einer Dekade.

Nach intensiven Vorbereitungen und einem abgebrochenen Versuch wagt er am 3. Juni 2017 den Aufstieg. Die Kameras sind verflucht dicht dran und liefern spektakuläre Bilder. Das Objekt ihrer Begierde hat selbstredend die Ruhe weg, sie beim Passieren zu grüßen. Die Zuschauer*innen hält es da längst nicht mehr auf den Sitzen.

Chin und Vasarhelyi ist das Porträt eines sympathischen bis befremdlichen Spitzensportlers geglückt. Man muss diesen Eigenbrötler und seine Philosophie über das Bergsteigen, die er mit der eines Kriegers vergleicht, nicht mögen, um von seiner Leistung angetan, ja begeistert zu sein. Dass er diese nicht wegen des Ruhms und Geldes erbringt, ist offensichtlich. Was ihn stattdessen treibt, woher diese Besessenheit rührt, die ihn selbst mit Verletzungen zurück zum Berg zieht, kann auch dieser Dokumentarfilm nicht abschließend beantworten. Von der Perfektion ist das ein paar Seillängen entfernt.

Free Solo (2018)

„Free Solo“ begleitet den Freikletterer Alex Honnold bei seinen Vorbereitungen zur Bezwingung  der furchteinflößenden „El Capitan“ im Yosemite National Park — und zwar ohne Seil und andere technische Hilfsmittel.

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Meinungen

Patrick · 12.08.2019

Eine Idee davon gibt der Film schon. Da ist die Szene, in der Alex davon spricht, dass in seiner Familie das ‚L’ -Wort nie gefallen ist. Noch wichtiger ist ein Satz seiner Mutter, der Alex noch immer in Erinnerung ist, übersetzt mit ‚Fast zählt nicht‘ oder ‚Gut genug reicht nicht‘. Ein Satz, der für Alex zum Glaubenssatz wurde, der sein Streben nach Perfektion nachvollziehbar macht.

kasi · 31.12.2020

und davon mal abgesehen ist es mmn nicht aufgabe einer dokumentation, fragen zu beantworten, sondern ganz im gegenteil möglichst ohne irgendeine wertung etwas einzufangen, wie es ist: "Film mit Dokumentaraufnahmen, der Begebenheiten und Verhältnisse möglichst genau, den Tatsachen entsprechend zu schildern versucht". also anders als moore es macht, dessen dokus quasi nur zur untermauerung der eigenen ansichten dient und entsprechend gelenkt sind.