Frauenzimmer

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Altern mal ganz anders

Karolina ist 64 Jahre alt, gebildet und der Inbegriff einer Dame. Christel ist 59 Jahre, zierlich, brünette, lange Haare. Paula, 49 Jahre, war früher Bauarbeiterin. Die drei Damen sind jetzt Prostituierte. Keine von ihnen macht das schon ihr ganzes Leben lang. Im Gegenteil, aller haben erst im Alter damit angefangen. Warum auch nicht, immerhin verdienen sie eine Menge Geld und wie Christel so lapidar im Interview sagt: „Welche Frau in meinem Alter kriegt denn noch regelmäßig Sex?“. Frauenzimmer, das dokumentarische Erstlingswerk der jungen deutschen Regisseurin Saara Aila Waasner, gibt einen Einblick in das außergewöhnliche Leben dieser drei Berliner Frauen.
Karolina hat ihr eigenes Dominastudio und träumte schon als Jugendliche davon auszubrechen und zu tun was sie will. Das ging jedoch nicht. Lange Zeit arbeitete sie als Rentenberaterin und langweilte sich sowohl auf Arbeit, als auch in ihrer Ehe. Jetzt ist sie geschieden, die Kinder sind erwachsen und Karolina kann endlich sie selbst sein und sich ausleben. Christel hatte ihren ersten Orgasmus mit 50 Jahren. Den hat sie sich selbst besorgt, nicht ihr Mann. Auch sie lebt inzwischen getrennt und der tiefe Wunsch nach Körperlichkeit und sexuellem Verlangen, den sie all die Jahre vermisste, holt sie sich jetzt von ihren Kunden. Schlimm findet sie das nicht. Es gibt gutes Geld, sie hat Spaß und schließlich war es in der Ehe nicht anders. Aus „Dienst am Ehemann“ ist jetzt Dienst am Kunden geworden. Paula ist bisexuell und kommt aus der ehemaligen DDR. Ihre erste Liebhaberin war ihre Klavierlehrerin und als die Affäre aufflog wurde diese versetzt. Ein paar Jahre später beging sie Selbstmord. Paula wollte flüchten, wurde aber an der Grenze geschnappt und saß 9 Jahre im Gefängnis, Missbrauch und Misshandlung inklusive. Jetzt ist sie Bordellchefin in Reinickendorf und träumt davon nach Bali auszuwandern.

Saara Aila Waasner gelingt mit Frauenzimmer ein herzliches und liebevolles Portrait dieser Frauen fernab von Exhibitionismus oder Vorurteilen. Stets ein wenig im Hintergrund gehalten, beobachtet sie das Leben der drei Damen, vom Kundengespräch zum Sexakt aber auch ihr Privatleben, ihre Wünsche und Sehnsüchte, ihre Vergangenheit und ihre Zukunft. Dabei entpuppen sich alle drei schon nach kurzer Zeit als wunderbare Sympathieträger mit Berliner Schnauze. Da wird schon mal darüber philosophiert, dass man den Kunden eher am Geschlechtsteil als am Gesicht erkennt. Natürlich sind solche Einblicke in eine sonst verschlossenes Gewerbe spannend, interessanter jedoch sind die Leben dahinter. Wie absurd es erscheint, dass die Bordellchefin an Ostern Eier ins Bordellfenster stellt und vor dem nächsten Kunden noch mal durchsaugt, zeigt wie weit entfernt die Menschlichkeit im klischeehaften Bild, das die Gesellschaft über Huren hat sind. Die drei Damen beweisen jedenfalls eine Menge Herz und auch viel Mut.

Frauenzimmer ist eine Dokumentation über selbst bestimmtes Altern und zeigt ganz eindeutig, dass Emanzipation nicht nur etwas für junge Frauen ist.

Frauenzimmer

Karolina ist 64 Jahre alt, gebildet und der Inbegriff einer Dame. Christel ist 59 Jahre, zierlich, brünette, lange Haare. Paula, 49 Jahre, war früher Bauarbeiterin. Die drei Damen sind jetzt Prostituierte. Keine von ihnen macht das schon ihr ganzes Leben lang.
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Meinungen

N.Buchheister · 16.02.2010

Ein sehr mutiger, offener und respektvoller Film.