Log Line

Anatol Schuster porträtiert in „Frau Stern“ mit der kürzlich verstorbenen Ahuva Sommerfeld in der Hauptrolle eine 90-Jährige in Berlin, die ihr Leben beenden will. Ein Film voller Witz und Würde.

Frau Stern (2019)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Eine Überlebende in Neukölln

„Ich will sterben“, so lauten die ersten Worte in Anatol Schusters zweitem Langfilm „Frau Stern“ – hervorgebracht mit tiefer, rauer Stimme von der titelgebenden Protagonistin (Ahuva Sommerfeld), die mit finsterer Miene ihr Gegenüber anvisiert. Bei diesem handelt es sich um ihren Arzt, der ihr versichert, sie sei vital. Das sei in ihrem Alter – 90 Jahre – doch ein Geschenk. Genießen solle sie es!

Also holt Frau Stern erst einmal die Zigaretten hervor. „Wenn Sie mir nicht helfen, dann helf’ ich mir selber!“, entgegnet sie auf den ärztlichen Einwand, das Rauchen lieber zu lassen. Viele weitere denkwürdige one-liner werden folgen, stets pendelnd zwischen Sarkasmus und Lebensklugheit. Schuster und seiner inzwischen verstorbenen Hauptdarstellerin, der das Werk gewidmet ist, gelingt hier etwas, was sonst zumeist nur in skandinavischen und britischen Produktionen zu finden ist: ein stimmiger Mix aus Realitätsnähe, schwarzem Humor und Absurdität. Frau Stern ist nicht nur ein exzeptionelles Charakterstück, sondern auch eine treffende Milieustudie. Die Kiez-Bilder, die Schuster und sein Kameramann Adrian Campean einfangen, sind zugleich stilbewusst und unverstellt; die Grenzen zwischen Fiktion und Dokumentarfilm erscheinen fließend. Wenn Frau Stern in ihrer verqualmten Stammkneipe oder in ihrer Wohnung sitzt, wenn sie sich durch die Neuköllner Straßen bewegt und im Späti Zigarettennachschub besorgt, gehören diese Aufnahmen fraglos zum Aufrichtigsten, das man seit Langem im Kino von der deutschen Hauptstadt gesehen hat.

Und das wohl Bemerkenswerteste ist, wie der Film mit dem Todeswunsch seiner Heldin umgeht. Frau Stern ist kein Tränenzieher – obwohl es Anlass genug gäbe, uns als Zuschauer_innen auf hochtrabend-melodramatische Pfade zu (ent-)führen: Die Titelfigur hat als einziges Mitglied ihrer Familie den Holocaust überlebt; inzwischen hat sie auch ihren geliebten Ehemann verloren. Ebenso wenig ist Frau Stern – aller Skurrilität zum Trotz – jemals albern. Egal, wie aberwitzig die Situationen auch werden; niemals verraten Schusters Skript und Inszenierung die Protagonistin für einen billigen Scherz. Der Humor im Zusammenhang mit dem ernsten Thema des Films ergibt sich vielmehr aus der Lakonie der Hauptfigur, die von der Laiendarstellerin Ahuva Sommerfeld perfekt verkörpert wird. In lapidar kurzen Aussagen lässt Frau Stern ihr Umfeld wissen, dass sie eine Knarre erwerben möchte, um sich damit zu erschießen. Doch niemand will ihr eine Schusswaffe verkaufen. Als sie sich an einem entlegenen Ort auf die Gleise legt und auf einen Zug wartet, ist „leider“ rasch ein freundlicher Hundebesitzer zur Stelle, um ihr hochzuhelfen. Was soll man da machen …

Frau Stern erzählt vom Wunsch nach Selbstbestimmung; er setzt sich mit Trauma und Trauer auseinander, zeigt Familienkonflikte und gelebtes Leben. Man spürt, dass Sommerfeld hier auch die eigene Biografie in ihre Interpretation einfließen ließ. Und man erkennt die Bewunderung, die Schuster ihr als Drehbuchautor und Regisseur entgegenbringt. Der Film ist frei von Verbitterung und frei von Kalendersprüchen, stattdessen voller Momente, in denen Frau Stern mit ihren Mitmenschen interagiert und auf ihre ganz eigene, ruppige Art Nähe aufbaut – sei es zu ihrer Enkelin Elli (Kara Schröder) oder zu ihrem Haus-Friseur (Murat Seven). Zudem gibt es Gesangseinlagen, surreal anmutende Passagen – nichts folgt einer Formel. Frau Stern ist ein mutiges, sehr lebendiges Stück Kino.

Frau Stern (2019)

Frau Stern will sterben. Doch das Leben lässt sie nicht los.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Martina B. · 06.10.2019

Mit meinen 76 Jahren bin ich sehr berührt, wie offen und humorvoll der Film mit dem Thema Tod/Sterben umgeht.
Die Haltung der Frau Stern ist bewundernswert und ermutigend.
Ist es nicht tröstlich, dass wir alle alt werden? Ein weiser Film.

Elena · 08.09.2019

Ich fand den Film sehr deprimierend. Wozu soll man alt werden wollen?
Sich umzubringen ist nicht einfach, lernt man hier. Und: Alle sind weggestorben, die Gleicges erlebt haben. Man gehört mit seinen Erlebnissen und Erinnerungen einer aussterbenden Generation an. Wird auch manchmal vorgeführt und/oder als senil/debil eingeschätzt.

Und mit dem quälenden Bedürfnis nach Zärtlichkeit und Sexualität bleibt man auch allein. Keiner will damit zu tun haben. Man / frau wird sogar verlacht, wenn man davon spricht. Alte Menschen haben keine Sexualität mehr zu haben, nicht wahr? Bis man dann selber dran ist mit der Einsamkeit, Angst, Sehnsucht. Wohin mit all den Gefühlen, bis endlich Schluss ist?

Im Kino sassen viele alte Leute. Schweigend gingen wir alle bedrückt beim Filmende raus.
Wozu ist also ein hohes Alter erstrebenswert?? Wohl nur für erfolgsheischende Mediziner.
Nein, der Film ist nicht lustig. Wir haben ein anwachsendes Problem.