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Wie könnte man den Fußball besser machen? Revolutionieren! Laurentiu Ginghină denkt über diese Frage seit mehr als 20 Jahren nach. Corneliu Porumboiu hat darüber einen Film gedreht und stößt dabei auf so manch andere kuriose Geschichte.

Fotbal infinit (2018)

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

Die Träume eines kleinen Beamten

Corneliu Porumboiu ist ein gern gesehener Gast auf den Festivals der Welt: Mit seinem Debüt „12:08 East of Bucharest“ (2006) prägte er die Neue Rumänische Welle entscheidend mit, erzählte vom Stillstand der rumänischen Verhältnisse und gleichzeitig vom Umbruch und einer jüngeren Generation, die es anders machen will als ihre Väter.

Seither feiern seine Filme Premiere in Cannes oder Berlin, zuletzt zeigte er The Second Game im Forum der Berlinale 2014. Ins Forum hat er es auch in diesem Jahr mit Fotbal infinit geschafft — einem skurrilen Film über den Bruder seines Freundes, der den internationalen Fußball revolutionieren will.

1986 hat sich Laurentiu Ginghină auf dem Fußballfeld verletzt. Zunächst erschien es keine dramatische Verletzung zu sein, eine Prellung, ein Bluterguss, weiter nichts. Dass das Wadenbein gebrochen war, stellt zunächst niemand fest, und dann reihte sich eine Fehlentwicklung an die nächste. Es wurde operiert, die Knochen wuchsen falsch zusammen, ein Jahr später brach er sich das Schienbein. Damit hatte der kleine Zusammenprall für Ginghină eine große Wirkung: Seine Karriere als Profisportler war vorbei, bevor sie begonnen hatte.

Dem trauert der Mann – nun in seinen Fünfzigern – immer noch nach. Das merkt man, wenn man ihm zuhört. Er hat sich sein Leben anders vorgestellt, ist dann aber doch Beamter in der Stadtverwaltung geworden. Ein paar Jahre lang wollte er noch auswandern, in die USA, Amerika kennenlernen, aber diese Versuche sind auch gescheitert, und so hat er irgendwann festgestellt, dass es für ihn doch besser ist, hier in Vaslui, in Rumänien zu bleiben.

Corneliu Porumboiu erzählt in Fotbal infinit vom Scheitern. Und gleichzeitig ist es eine Heldengeschichte, wie man sie gerne findet im aktuellen rumänischen Film (bei Porumboiu z.B. auch in Police, Adjective): Eine Geschichte, die stille, unscheinbare Menschen in den Vordergrund stellt, ihnen in ihrer täglichen Routine zuschaut und das Kleine betont – Alltagshelden portraitiert. Laurentiu Ginghină ist ein solcher kleiner Held, auch wenn er sich gerne mit Superman oder Spiderman vergleicht. Wie diese habe auch er einen langweiligen Job, aber ein großes Abenteuer vor sich: das Fußballspiel zu revolutionieren.

Wie das funktionieren soll, erklärt Ginghină im Detail: Um den Fußball schneller zu gestalten und dem Ball mehr (Bewegungs-) Freiheit zu geben, sollten sich die Spieler weniger bewegen. Dazu werden sie in seiner Version des Fußballs aufgeteilt: Fünf Spieler bewegen sich in der einen Hälfte, fünf in der anderen Hälfte des Feldes – Angreifer und Verteidiger werden sauber voneinander getrennt und dürfen die Mittellinie nicht mehr übertreten. Das ist aber nur die erste Veränderung, die Ginghină vornehmen möchte. In seinen Überlegungen geht die Aufteilung des Spielfeldes und des Teams noch weiter, das Spielfeld soll abgerundet werden, die Regeln werden mehr – immer mit dem Ziel, den Bewegungsraum der Spieler einzuschränken, um dem Ball, so Ginghină, mehr Dynamik zu geben.

Man merkt schnell, dass Ginghină für seine Idee lebt, sich immer wieder auch verrennt, aber weiter macht, weil das seine Leidenschaft ist. Das ist einerseits irgendwie bewundernswert, aber auch natürlich ein wenig seltsam, bisweilen hat man gar Mitleid mit dem Mann, der im Film an manchen Stellen fast vorgeführt wird. Porumboiu, dessen Vater lange Zeit Profifußballer und dann Schiedsrichter war, ist als Filmemacher und Interviewer selbst auf der Leinwand präsent: Er zeichnet in Fotbal infinit die langen Gesprächen zwischen ihm und Ginghină auf, stellt unbequeme Fragen, die Ginghină aber gelassen bis unnachgiebig beantwortet. Ginghină ist überzeugt davon, dass die Welt eine neue Version des Fußballspiels brauchen könnte – wenn nicht als Ersatz, so doch als Alternative oder Konkurrenz des bisherigen Spiels. Und diese Überzeugung lässt ihn am Ende doch eben wie einen kleinen Helden wirken, der erhaben ist über die Argumente und den Spott den anderen, weil sein Traum das ist, was ihn am Leben hält, was ihn die Eintönigkeit seines Lebens ertragen lässt und ihm einen Sinn gibt.

Und noch ein Aspekt ist spannend an Fotbal infinit: Das sind die kleinen, spontanen Momente, die Porumboiu während des Drehs seines Dialogfilms überraschen, die er dann aber Teil des Films werden lässt – wohl gerade weil sie mehr über die Realität des Landes erzählen, als es so manch gute Geschichte kann. Wenn Ginghină in seinem Büro sitzt und über seine Arbeit spricht und dann eine 92-jährige Frau eintritt und erklärt, dass sie nun endlich gerne ihr Grundstück zurückerhalten möchte, dann sind das wertvolle Einsichten in einen gruselig-kafkaesken Verwaltungsapparat. Und man wird sich bewusst: Das ist keine Geschichte aus den Zeiten Ceaucescus, die Porumboiu in Fotbal infinit erzählt, das ist die Realität für viele Menschen in Rumänien. Wenn Ginghinăs Vater ein Gemälde beschreibt und plötzlich ganz politisch wird, dann wird deutlich, wie stark der Einfluss der Verhältnisse eines Landes doch die Menschen prägt.

Fotbal infinit (2018)

Sie sprechen über die Schönheit des Spiels, aber Laurențiu Ginghină will mehr. Fußball soll anders, anmutiger und freier werden, durch abgerundete Ecken, Spielerzonen, Unterteams und revidierte Standards. Dass es neue Regeln braucht, ging ihm auf, als er in jungen Jahren bei einem Spiel zu Fall gebracht wurde. Während der Sommerferien war das, auf einem jetzt schneebedeckten Spielfeld in Vaslui statt Bukarest. Damals brach er sich das Wadenbein. Ein Jahr später, Silvester 1987, folgte das Schienbein. Er musste allein im Schnee nach Hause gehen, niemand stützte ihn. Inzwischen arbeitet er für die Stadt und sein Posten ist eintönig. Kein Wunder, dass er lieber mit seinem Freund, dem Regisseur Porumboiu, über Fußball spricht … 

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