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Ein Mädchen zwischen zwei Frauen, zwei Müttern: Ihre leibliche hat keinen Halt im Leben und muss Sardinien bald verlassen, die andere, die sie großzog, hat Angst, dass Blut eben doch dicker sein könnte. Es beginnt ein Kampf um Liebe um Zuneigung – und um die Frage, was eine Mutter ausmacht.

Meine Tochter - Figlia mia (2018)

Ein Kind zwischen zwei Müttern

Der rote Haarschopf der kleinen Vittoria (Sara Casu) ist schon ziemlich auffällig – vor allem in der ländlichen Gegend Sardiniens, wo das Mädchen aufwächst. Und: Sind nicht beide Eltern dunkelhaarig? Und wer ist die junge blonde Frau (Alba Rohrwacher), der Vittoria bei einer Party am Strand begegnet, in einer eindeutigen Situation, die das zehnjährige Mädchen nicht versteht? Schnell eilt sie zu ihrer Mutter Tina (Valeria Golino), die sie an sich zieht und herzt – und schon ist der irritierende Moment, den Vittoria gerade mitansehen musste, wieder vorbei.

Dies ist der Auftakt zu Laura Bispuris zweitem Spielfilm Figlia Mia (nach ihrem ersten Sworn Virgin, der bei der Berlinale 2015 ebenfalls im Wettbewerb zu sehen war) – und bereits hier findet sich die Grundkonstellation wieder, von der der Film in den kommenden 96 Minuten erzählen wird. Denn bald stellt sich heraus, dass die Frau, die sie am Strand sah, Angelia ist – ihre leibliche Mutter, der wegen ihrer enormen Schulden wieder einmal zu entgleiten scheint. 

28.733 Euro und 14 Cent ist die Summe, die sie aufbringen müsste, um ihr verkommenes Anwesen auf dem Berg behalten zu können – aber woher soll sie das Geld nur nehmen? Also muss sie, die haltlose Trinkerin ohne Einkünfte, die sich für einen Kurzen in der Bar von Giacomino von jedem Kerl flachlegen lässt, ausziehen und die Insel verlassen. Und ehrlich gesagt ist Tina darüber ziemlich froh. Allerdings will Angelica noch möglichst viel Zeit mit „ihrer“ Kleinen verbringen. Und das führt zu genau jenen Schwierigkeiten, die Tina eigentlich um jeden Preis vermeiden wollte. Denn bald schon sitzt die schüchterne Vittoria, die durch Angelicas haltlose Ausgelassenheit zumindest ein klein wenig aufblüht, völlig zwischen den Stühlen. Tina versucht zumindest etwas Geld aufzutreiben, um die Konkurrentin um die Gunst „ihrer“ Tochter loszuwerden. Die aber hat andere, ganz eigenen Pläne, um sich doch noch einmal aus dem Schlamassel zu ziehen. Und in diesen Plänen spielt Vittoria eine wichtige Rolle.

Vladan Radovics Kamera fängt die Hitze und Staubigkeit der sommerlichen Insel mit realistischer Präzision ein – statt südlichem Sommerglück atmen die Bilder Entbehrungsreichtum, Schmutz, Schweiß und Alkohol, es riecht förmlich von der Leinwand nach Tierexkrementen und Fisch, der ein klein wenig zu lang der Sonne ausgesetzt war. Die Menschen hier, das macht Laura Bispuri mit präziser Beobachtungsgabe klar, haben nicht viel, sie leben von der Hand in den Mund, ihr kleines Glück besteht allenfalls in einem abendlichen Schnaps oder Bier, einen heimlichen Fick im Hinterzimmer der Dorfkneipe, einer kleinen Ablenkung von den Sorgen und Mühen eines tristen Alltags. Und vielleicht in den Kindern, die es einmal besser haben sollen als ihren Eltern.

Diese Hoffnungen drücken sich vor allem in Tina aus, deren Liebe und Fürsorge bei genauerer Betrachtung vielleicht doch ein wenig übertrieben erscheint: Obgleich Vittoria bereits zehn Jahre alt ist, schläft sie immer noch bei Tina im Bett. Gut möglich, dass sich hierin die Angst vor dem Verlust des Kindes ausdrückt, das ja gar nicht ihr eigenes ist. Angelica hingegen ist das genaue Gegenteil – ohne jeden Sinn für Verantwortung lässt sie sich durchs Leben treiben, setzt ihren Körper und schließlich sogar ihr Kind ein, um das zu erreichen, was sie will, schwört in einem Moment mütterliche Liebe und stößt ihre Tochter im nächsten brüsk zurück. 

Allerdings leiden unter der Zuspitzung des Konflikts auf eine klare Klimax hin ein wenig jene Fragen, die einem unweigerlich in den Sinn kommen: Eine wirklich klare Analyse der Frage nach Mütterlichkeit und vielleicht sogar ein Hinterfragen von tradierten Rollenzuschreibungen gerade in konservativen Gesellschaften wie dem Mikrokosmos eines kleinen sardischen Dorfes spielen keine wesentliche Rolle in diesem Drama. Vielmehr werden hier die beiden Mütter so scharf kontrastiert, dass für Zwischentöne und Abschattierungen allenfalls so viel Raum bleibt, wie in jenem Loch, in das Vittoria am Ende todesmutig steigen wird.

Meine Tochter - Figlia mia (2018)

Sardinien: Eine Tochter, Vittoria, zerrissen zwischen zwei Müttern: Tina, die sie mit Liebe erzogen hat und Angelica, die leibliche Mutter, die sie instinktiv zurückhaben möchte. Drei Frauen ringen mit ihren Wunden, Gefühlen und Beziehungen zueinander. Eine Geschichte über eine unvollkommene Mutterschaft und eine verirrte Kindheit.

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