Fenster zum Sommer (2011)

Eine Filmkritik von Lida Bach

Die Zukunft wiederholt sich

„Haben wir Winter?“ Fuhr Juliane nicht erst gestern mit ihrem Freund August (Mark Waschke) entlang der finnischen Wälder in eine Sommernacht? Lagen sie nicht gemeinsam am Ufer eines Waldsees? Und vor dem Einschlafen fragte Juliane (Nina Hoss) August, was gewesen wäre wenn. Wenn sie sich damals nicht mit Emily (Fritzi Haberlandt) verabredet hätte, wenn sie auf dem Weg nicht August begegnet wäre und Emily nicht durch einen Autounfall umgekommen? Hendrik Handloegten macht die Protagonisten und Zuschauer seines atmosphärischen Mystery-Films zu Figuren des reizvollen Gedankenspiels. Der inszenatorische Blick durch das Fenster zum Sommer forscht nach der Bedeutung von Zufall und Schicksal im Zwielicht von Liebe und Verlust.

„Welchen Tag haben wir heute?“, fragt Juliane auf dem Arbeitsweg durch das verschneite Berlin. Mehr als die Antwort verwirrt die finnischstämmige Dolmetscherin, dass ihre Freundin Emily sie gibt. Emily, die schon seit Wochen tot war und nun redet, wie sie damals im Februar zu Juliane gesprochen hatte. Februar. Draußen und für alle anderen ist es der erste Februar in diesem Jahr, nur für Juliane ist es der zweite. Ein gespenstisches Déjà-vu, aus dem es keinen Ausweg und keine Rückkehr in die Zukunft gibt, die für die verstörte Protagonistin in einer zerfallenden Beziehung schon Gegenwart war. Sie muss sich erinnern an all die nichtigen Details und Kleinigkeiten: welches Menü sie in der Mensa bestellt hat, welchen Fuß sie zuerst vor die Tür gesetzt hat. Um alles wieder genauso zu machen, damit sie wieder neben August einschlafen kann, in einer Sommernacht auf dem Weg nach Finnland.

„Ein schüchterner Mann bekommt keine schöne Frau“, flüstert Juliane August bei einer Begegnung zu, die sie in der wiederholten Vergangenheit zum ersten Mal erlebt. Dass August ihr den Satz auf Finnisch sagt, ohne seine Bedeutung zu kennen, deutet auf dessen allegorischen Sinn. Aus ihm spricht Julianes Gefühl, auf das zu hören sie Emilys Sohn (Lasse Stadelmann), rät. Sie könne alles anders machen, sagt er, als Juliane ihm ein ähnliches Erlebnis aus ihrer Kindheit erzählt. Nur im entscheidenden Moment müsse sie gleich handeln. Doch woher wissen, dass der besondere Augenblick eintreten wird? Wenn man ihn sich verwehrt, weil man in den Lauf des Schicksals eingreift durch eine unbedachte Tat – oder eine gezielte Handlung, das Verhindern eines schrecklichen Ereignisses wie Emilys Tod… Auch wenn sie August nicht zufällig begegnet, könnte Juliane ihn einfach ansprechen, wie es Emily bei einem Kollegen (Christoph Bach) tut, für den sie schwärmt: „Vielleicht kennen wir uns ja doch: aus einer anderen Zeit oder von einem anderen Ort.“ Die Worte ihres Schwarms bewertet Emily als Kitsch – das Gegenteil des düster-symbolischen Beziehungsdramas, welches das routinierte Ensemble kreiert.

Die freie Verfilmung von Hannelore Valencaks gleichnamigem Roman taucht der Regisseur und Drehbuchautor in die kühle Farbpalette eines Film noir, dessen düsterer Fatalismus ein unheilvolles Licht auf die Romanze wirft. Sexus — Nexus — Plexus sind die Randpunkte des bestechenden Vexierbildes, das Handloegten vor dem Zuschauer entwirft. Liebe und Tod spielen einander im eleganten Halbdunkel der Nachtszenen und im frostigem Tageslicht in die Hände. Beim Versuch, die ineinander verflochtenen Fäden des Schicksals zu trennen, droht Juliane selbst ihren emotionalen Halt zu verlieren. Dabei ist es nicht der Zeitsprung, der den Konflikt in ihrem Inneren schafft, sondern das Abwägen zwischen zwei unterschiedlichen Arten des persönlichen Verlusts. Juliane versucht Trennung und Schmerz auszuweichen, nur um zu erkennen, dass sich das Schicksal nicht betrügen lässt. Ein Hauch von Final Destination legt sich über das klug durchdachte Kinokonstrukt, doch nicht der Tod fordert in Fenster zum Sommer sein Recht, sondern die Vorsehung. Auch wenn es die Wirrnisse des Handlungsnetzes nicht auflösen kann, macht ihre suggestive Kraft Handloegtens Fenster zum Sommer mehr als nur einen Blick wert.
 

Fenster zum Sommer (2011)

„Haben wir Winter?“ Fuhr Juliane nicht erst gestern mit ihrem Freund August (Mark Waschke) entlang der finnischen Wälder in eine Sommernacht? Lagen sie nicht gemeinsam am Ufer eines Waldsees? Und vor dem Einschlafen fragte Juliane (Nina Hoss) August, was gewesen wäre wenn.

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Meinungen

wignanek-hp · 05.06.2012

Wer diesen Film langweilig findet, hat keinen Sinn von Poetik!

petreb · 13.12.2011

Der Kommentar von ksinbln trifft den Nagel auf den Kopf!

Anna · 04.12.2011

Es gibt diese Art Filme nach denen einem nach dem Film schlecht ist, weil man das gesehene nicht verarbeiten kann und es gibt diese Art Filme die "sehlenheilend" sind, diese Filme verändern die eigene Denkweise, so wie Fenster zum Sommer! Ein Film dessen Sinn und Einzigartigkeit sicherlich nicht jeder versteht. Für mich jedoch ist dieser Film einer der besten Filme, die ich jeh gesehen habe.

ksinbln · 30.11.2011

96 Minuten gepflegte Langeweile

Ein Gedankenspiel, das mich während (!) der Filmvorführung beschäftigte:

Was passiert, wenn man einem Regisseur / Drehbuchautor unserer öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten den Auftrag gibt, zur Abwechslung einmal einen 'hochwertigen' Film zu produzieren?

Er lässt alle Trivialitäten, wie sie im ÖR-Fernsehen wegen der Quote gefordert werden, einfach weg und heraus kommt ein Film wie dieser.

Das Problem:

Durch die fehlenden trivialen Unterhaltungselemente wird der Film nicht besser. Denn es fehlt einfach alles in ihm:

Es fehlt eine Handlung. Es fehlen Spannungsbögen - im Langen wie im Kurzen. Emotionen werden nicht vermittelt. Es gibt keine Dialoge. Keinen Witz. Keine Originalität. Keine Gefühle. Kein Mitfühlen. Selbst der Autounfall wirkt einfach nur als Ereignis. Eigentlich geht es letztlich sogar nur ums Männer-Anbaggern. Aber noch nicht einmal das - es geht eigentlich nur um die Vorstellung davon.

Kurzfassung:

Eine Frau springt während Ihres Lebens offenbar mehrfach vom Sommer zurück in den vorangehenden Winter. Und versucht nun im Winter alles zu tun, um eine Liebschaft des zukünftigen Sommers wieder zu erlangen. Außerdem versucht sie nebenbei noch, ihre Freundin vor einem Autounfall zu retten, was aber letztlich dann doch misslingt. Über allem aber schwebt - unendlich langweilig inszeniert die Anbagger-Geschichte.

Der Film berührt nicht, regt nicht zum Nachdenken an.

Beim Verlassen des Kinos war ich einfach nur froh, dass der Film zu Ende war.

juergen04 · 22.09.2011

Schöne Idee und auch gut umgesetzt. Die Geschichte reizt zu Gedanken-Experimenten.