Félicité (2017)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Eine Hymne an die Nacht

Eine Großaufnahme des Gesichts einer Frau steht am Anfang von Félicité. Sie zeigt Stärke, Stolz und einen Hauch Trotz. Es ist das Gesicht von Félicité (Vero Tshanda Beya), sie sitzt in einer Bar, um sie herum wird getrunken und laut geredet, die Gespräche lassen erahnen, dass die Handlung im Kongo spielt, von Diamantringen wird gesprochen, von Übergriffen auf Kinder.

 

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Félicité indes wirkt distanziert, nicht teilnahmslos, aber so, als würde sie nicht dazu gehören, sondern vom Rand aus alles beobachten. Dann beginnt eine Band zu spielen, sie steht am Mikrofon und fängt an zu singen. Die anderen Gäste stimmen ein, sie tanzen, es entsteht ein Moment fröhlicher Ausgelassenheit, unterschwellig durchzogen von Wut. Am nächsten Morgen ist die süße Schwere der Nacht vorbei, die Frau auf, ihr Gesicht ist gezeichnet von Müdigkeit. Aber das sind nicht nur die Nachwirkungen der Nacht, sondern ihres Lebens. Sie ist eine stolze, eine unabhängige Frau, die sich selbstbestimmt durchs Leben schlägt. Aber ihr Kühlschrank ist schon wieder kaputt, also lässt sie einen Techniker holen. Tabu (Papi Mpaka) kommt vorbei, gestern Nacht torkelte er noch betrunken durch die Bar und schlief auf der Straße ein, heute sagt er Félicité, dass ihr Kühlschrank einen neuen Lüfter braucht. Aber der kostet. Denn in Kinshasa geht es immer ums Geld, das weiß Félicité, hat sie doch erst vor kurzem für diesen Kühlschrank gezahlt. Dann erhält sie einen Anruf, ihr Sohn hatte einen Unfall und liegt im Krankenhaus. Die Handkamera, dicht bei ihr positioniert, folgt ihr durch die Straßen von Kinshasa, hin zum Krankenhaus. Dort liegt ihr Sohn blutüberströmt, sein Bein ist gebrochen, operiert wird erst, wenn sie die Behandlung bezahlt. Félicité betont, dass Geld kein Problem sei, weil sie arbeite. Aber natürlich ist die Summe zu hoch, also muss sie sich etwas einfallen lassen. Tabu organisiert eine Spendensammlung, Félicité sammelt alte Schulden ein, versucht sich das Geld zusammenzuleihen – für ihre Schuldner und Verwandten eine gute Gelegenheit, ihr ihren Stolz und ihre Unabhängigkeit vorzuwerfen – und doch verändert sich mit diesem Unfall etwas. Es ist, als habe das Leben, gegen das sie immer ankämpft hat, endgültig gewonnen. Das Geld für die Operation zu sammeln, ihrem Sohn ein gutes Zimmer zu ermöglichen und ihn zu pflegen ist zu viel für sie. Zusehends verliert sie sich in einer Niedergeschlagenheit, in ihrer Müdigkeit, fast so, als sei statt einer süßen Schwere in der Nacht nur doch das Gewicht der Lasten zu spüren, die sie bewältigen muss.

Immer wieder geht es um Geld: Félicité wird betrogen und hintergangen, sie fällt auf andere Menschen herein, fast scheint es, dass niemand mehr jemanden hilft, sondern immer nur alle auf ihren Vorteil bedacht sind. Auf den Straßen von Kinshasa zeigen sich die Folgen der Geschichte der Demokratischen Republik Kongo, sind die Spuren der Diktatur, der Ausbeutung des Landes, der Destabilisierung sämtlicher Strukturen. Hilfe von öffentlicher Hand, polizeiliche Unterstützung gibt es nur gegen Geld und zugleich aber blühen Schwarzmarkt und illegale Geschäfte. Anscheinend ist jeder nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht, sieht immer nur seine eigene Lage.

Aber Alain Gomis’ Film Félicité ist vor allem ein Film über die Stärke, mit der seine Titelfigur durch das Leben geht, der bei aller Betonung ihrer Unabhängigkeit aber auch nicht die Kosten vergisst, die ein solches Leben mit sich bringt. Félicité will nicht klein beigeben, sie will nicht nachgeben, deshalb wird ihr manche Hilfe verweigert. Aber sie ist bisher noch niemals den leichten Weg gegangen. Ruhe scheint sie einzig in der Nacht zu finden – beim Singen in der Bar und im Wald. Hier findet die eindrucksvolle Kameraarbeit Céline Bozons ganz verschiedene Stile und Bilder, dieses Leben einzufangen: Die Handkamera, die einen unmittelbar in das Geschehen in Kinshasa hineinwirft, spiegelt das Laute und Unruhige dieser Stadt wieder, was einen bisweilen zu überwältigen mag. Dem stehen leicht dunkle Bilder in der Bar gegenüber, in der Félicité singt, wobei die Kamera hier immer wieder ihr Gesicht und Tabu sucht. In der Nacht kommen dann noch Bilder aus einem Wald hinzu, es könnte ein Traum oder auch ein tatsächlicher Ort sein, hier fehlen Orientierungshinweise. Diese Nacht wirkt fast wie eine Schleuse zwischen diesen Leben, zwischen der harschen Realität am Tag und der Ruhe in der Nacht. Diese Verbindung aus sehr authentischen und sehr poetischen Bildern spiegelt sich auch in der Verwendung der Musik und den Dialogen wider: die Musik kommt sowohl von den Kasai Allstars, einem Musikerkollektiv aus fünf Bands, ursprünglich bestehend aus fünf verschiedenen Ethnien, die Musik jeweils in ihrer eigenen Sprache und ihrer eigenen Tradition machen, als auch klassische Musik eines Orchesters in Kinshasa wird verwendet. Hier findet man nach den wuseligen Straßen Kinshasas und den Bars Momente der Ruhe. Und in den Dialogen mischt sich Slang mit Zeilen aus Novalis‘ Hymnen an die Nacht.

Durch diese Verbindung ist Félicité ein sehr eigenwilliger Film mit einem ausgeprägten Stil, leider mit einigen Längen, aber auch mit einer hervorragenden Hauptdarstellerin. Vero Tshanda Beya bringt diese Mischung aus Stärke und Müdigkeit faszinierend zum Ausdruck. Man versteht, warum sich Tabu von ihr angezogen fühlt, man versteht aber ebenso, dass sie es einem im Leben nicht immer leicht macht – und dass sie eine Vergangenheit hat. Sie ist eine wundervoll komplexe Frauenfigur, die man vielleicht nicht immer nicht versteht, mit der man aber immer mitfühlt.
 

Félicité (2017)

Eine Großaufnahme des Gesichts einer Frau steht am Anfang von „Félicité“. Sie zeigt Stärke, Stolz und einen Hauch Trotz. Es ist das Gesicht von Félicité (Vero Tshanda Beya), sie sitzt in einer Bar, um sie herum wird getrunken und laut geredet, die Gespräche lassen erahnen, dass die Handlung im Kongo spielt, von Diamantringen wird gesprochen, von Übergriffen auf Kinder.

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Meinungen

roberts · 05.10.2017

Nach dieser Rezension muss ich mir den Film ja unbedingt anschauen. Produktionsland soll Senegal sein, aber Spielstätte Kinshana??
Gruß roberts