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„Was soll ich tun? Ich reise nicht, ich gehe nicht ins Museum, ins Kino oder ins Theater.“ Federico Fellini fand im Kinomachen seine Erfüllung. Neun (Blu-ray) bzw. zehn (DVD) seiner digital restaurierten Filmklassiker sind nun in einer Best-of-Box erschienen. Was bleibt vom Werk des italienischen Maestro? 

Federico Fellini Edition (2019)

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Asa Nisi Masa

„Wenn man einen Film dreht, dann fühlt man sich jedes Mal wie Christoph Kolumbus, der seine Meute antreiben muss, die eigentlich ständig umkehren will“, lautet ein bekanntes Bonmot von Federico Fellini (1920-1993). Filmemachen bedeutete ihm alles – und dafür setzte er in seiner italienischen Heimat und in den damals noch florierenden Cinecittà-Studios fünf Jahrzehnte lange alle Hebel in Bewegung. Höchst persönlich kümmerte er sich um jedes Szenenbild. Seine mit zahlreichen Traumzeichnungen durchzogenen Drehbücher sind heute legendär und wurden schon oft in Ausstellungen gezeigt. Und wirklich jeden Part, auch wenn es nur die dritte Statistenrolle von hinten links im Bild war, besetzte Fellini der Legende nach und bis ins hohe Alter hinein selbstverständlich selbst. 

Dabei verquickte sich der traumwandlerisch-jungenhafte Blick jenes Regisseurs, der zweifelsohne zu den Titanen und meistprämierten innerhalb der Filmgeschichte zählt, quasi mit jedem neuen Filmprojekt noch weiter mit seiner persönlichen Privatmythologie, die beim geschulten Fellini-Kenner sofort mannigfaltige Assoziationen weckt. Hier ziehen sie augenblicklich wieder vor dem inneren Auge vorbei: all die wahlweise barbusig-dicklichen oder kerzengeraden Frauengestalten, dieses wilde Figurenkarussell aus Artisten und Lügnern, Aufschneidern oder Armen, Kriminellen, Charmeuren und Zirkusdirektoren, die sein Œuvre wie kein zweites in der Geschichte des Films durchziehen. 

Dabei hatte der ebenso vitale wie introvertierte Mann seine wortwörtliche Fabelkarriere (u.a. vier Oscars, eine Goldene Palme, ein Goldener Ehrenlöwe, ein Ehren-Oscar) eigentlich als Mitinitiator des italienischen Neorealismo begonnen, was viele heute gar nicht mehr wissen. Als wichtiger Mitarbeiter des Junggenies Roberto Rossellini schrieb Fellini nach ersten Stationen als Zeichner, Grafiker, Rundfunkdramaturg und Zeitungsreporter zwei der wichtigsten Drehbücher (zu Rom – offene Stadt und Paisà) jener alles umwälzenden Kinobewegung, nach der das europäische Nachkriegskino irreversibel anders geworden war. Zum Dank erhielt er 1950 nach zwei Oscar-Nominierungen viele weitere Drehbuchaufträge sowie das Angebot, zum ersten Mal selbst Regie zu führen: Bei Lichter des Varieté (zusammen mit Alberto Lattuada), einem prototypischen Fellini-Titel, wenngleich das filmische Resultat zurecht vergessen ist. 

Das änderte sich allerdings kurze Zeit darauf, als der angeblich „in einem Eisenbahnwaggon zwischen Viserba und Riccione, eigentlich genau in Rimini“ (Fellini-Biograf Tullio Kezich) geborene Nachwuchsregisseur bereits mit seinem dritten (Die Müßiggänger) und fünften (La strada) Film weltweite Aufmerksamkeit errang. Beide Fellini-Meilensteine, so unterschiedlich sie auch thematisch wie inszenatorisch in unvergleichliche Kinobilder umgesetzt wurden, haben auch bei einer Neusichtung nach vielen Jahrzehnten prinzipiell nichts von ihrer Wirkungsmächtigkeit verloren. Gleichsam anrührend wie verzückend inszeniert, melancholisch-spielerisch im Tonfall und emotional im Zugang bilden diese beiden Welterfolge nach wie vor zwei essentielle Grundpfeiler im insgesamt wenig angestaubten Gesamtwerk des Italieners. 

 

Kein Wunder, dass der junge Fellini, der angeblich mit sieben Jahren das erste Mal von Hause ausgebrochen sein soll, in Kindertagen als Berufswunsch regelmäßig Zirkusartist und Puppenspieler angab. Vieler seiner einprägsamen Protagonisten sind bereits hier als Traumwandler, Suchende, Reise, Flirtende, Spinner, Betrüger, Aufschneider oder schlichtweg besonders schräge Vögel auf der Leinwand unterwegs: Sie wollen ewig unangepasst sein – und nehmen es daher billigend in Kauf, mit ihrer eigenen Existenz zu hadern und eben nicht zwingend alleine auf der Sonnenseite des Lebens zu stehen, was einen auch heute noch in den besten Szenen zu Tränen rührt. 

 

Nach einem weiteren internationalen Hit (La dolce vita/1960) lieferte der damals künstlerisch schwer taumelnde Fellini, der sich in einer kreativen Totalkrise befand, verrückterweise gerade mit 8 ½ seinen unter Cineasten wie Starregisseuren (von Bergman und Fassbinder über Penn und Allen bis hin zu Coppola und Greenaway) meistgeachteten Film. Darin hat der Alter-ego-gleiche Regisseur Guido Anselmi (Marcello Mastroianni) zu Beginn einen gleichfalls verwirrenden wie bezaubernden (Alp-)Traum: Er steht mit seinem Wagen auf der Autobahn im Stau, scheinbar nichts geht mehr voran. Alles um ihn herum ist ganz leise. Beim Blick in die anderen Autos erblickt er eine Reihe grotesk gaffender und Grimassen schneidender Gesichter, die ihn seltsam fokussieren. Plötzlich steigt Rauch in seinem Wagen auf, die Türen sind allerdings versperrt. Guido steckt fest. Er hustet, schreit, strampelt und hämmert an die Fensterscheiben, aber keiner hört ihn oder eilt ihm zu Hilfe: Sein Ende scheint nahe. Da öffnet sich, wie durch Zauberhand, sein Autodach – und Guido fliegt dem Himmel entgegen … 

Speziell in diesem fantastischen Prolog offenbart sich auch nach über fünfzig Jahren die gesamte Meisterschaft Fellinis als genialischer Schöpfer phantasmagorischer Bilderwelten, 

die lange nachhallen und nur in seltenen Fällen zu steril-kalten Versuchsballons (wie Casanova und Teile von Satyricon) erstarrten. Seine Art des Kinomachens bestand im Kern zu allererst aus Träumen, Visionen und Obsessionen, die sich durch wirklich jede seiner Arbeiten manisch hindurchziehen. 

Wenngleich leider manche von Fellinis besten und vielschichtigsten Filmen (z.B. Intervista, Amarcord, Schiff der Träume und Ginger und Fred) in dieser gerade audiotechnisch überzeugenden Neuedition fehlen, so ist es doch in den meisten Fällen ein wahre Freude, einzelne Passagen wie beispielsweise die Modenschau der Kardinäle aus Roma oder den ersten Auftritt Claudia Cardinales in 8 ½ von Neuem zu bestaunen. Was sind das doch für goldene Kinomomente geblieben! 

In ihrer urtypisch felliniesken Neigung – für seine Art des Bildersturms musste tatsächlich ein eigenes Wort kreiert werden – zu karikaturistischer Übertreibung, clownesken Mätzchen und bizarren (Auto-)Referenzen ist seine Regiehandschrift absolut unverwechselbar geblieben. Oder wie es Alberto Moravia in seiner berühmten Kritik zu 8 ½ einmal so passgenau formulierte: „Fellinis Gestalt ist ein Erotomane, ein Sadist, ein Masochist, ein Mythomane, einer, der Angst hat vor dem Leben, der sich nach seiner Mutterbrust sehnt, ein Narr, ein Schwindler und Betrüger.“ Das alles und noch viel mehr steckt in jedem seiner solitären Filmkunstwerke. Für seine Ästhetik des Kinos hat er wie kaum ein anderer Filmemacher des 20. Jahrhunderts eine solitäre Bildsprache erfunden: Barocke Bilderbögen, manierierte Gestalten und zirzensische Inszenierungen durchziehen sein Oeuvre genauso wie magische Traumsequenzen und surreale Szenenbilder, für die ihm im mythenumwobenen Studio 5 hunderte Mitarbeiter zur Verfügung standen. 

Und so überrascht es auch nicht, dass am Ende 70.000 Trauernde am Sarg des aufgebahrten „FeFe“, wie er bis er bis heute in Italien kurzerhand genannt wird, vorbeizogen, um ihm im Oktober 1993 die letzte Ehre zu erweisen. Die hat er nämlich verdient und die wird ihm auch so schnell kein anderer streitig machen. Am Ende ist eben alles Asa Nisi Masa (wie in seinem Schlüsselwerk 8 ½)! Noch Fragen? Der Maestro hat gesprochen – und Millionen Filmfreunde danken ihm dafür, auch wenn keiner versteht, was das eigentlich heißen soll. Vielleicht bedeutet es einfach nur Kinoglück. 

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