Fear X - Im Angesicht der Angst

Eine Filmkritik von Lida Bach

X-Faktor

„Wer weiß, was man finden könnte, wenn man weiter sucht?“ Harry Caine weiß es nicht und das Publikum weiß es nicht. Vielleicht nicht einmal Nicolas Winding Refn. Was macht das, sind doch der von John Turturro mit konzentrierter Zurückhaltung verkörperte Hauptcharakter, der Zuschauer, dessen Blick Harry sich in beklemmender Weise bewusst scheint, und der dänische Regisseur entschlossen, es herauszufinden. Der heimliche Gegner aller ist die Furcht vor dem Namenlosen, das der eigene Spürsinn verfolgt: Fear X.
Die Suche in Refns amerikanischen Spielfilmdebüt ist ein Wechselspiel des Destillierens verräterischer Details aus dem Alltäglichen und des Trennens irreführender von wegweisenden Indizien. Auf Außenstehende wirkt sie ebenso zwanghaft wie auf den Protagonisten und wird für beide zur Passion, die nicht ohne ihren perversen Reiz ist. Dieses quälende Verlangen fesselt Harry an den Bildschirm der Überwachungskameras des Einkaufszentrums, in dem er als Sicherheitskraft arbeitet. In den schwarz-weißen Endlosschleifen sucht Harry nach dem Mann, der seine schwangere Frau Claire (Jacqueline Ramel) auf dem Parkplatz erschoss. Filtert sein übernächtigtes Auge einen Verdächtigen heraus, heftet er dessen Aufnahme an die Wand seines nunmehr einsamen Hauses, in dem Claires Präsenz noch greifbar scheint. Die Galerie grobkörniger Phantombilder ist gleichzeitig eine verstörende Collage der beständig wachsende Paranoia des von unterdrückter Anspannung getriebenen Protagonisten.

Die undurchdringliche Wand, die ihn vom letzten Anhaltspunkt seiner zwischen Kriminalistik und Kriminalität pendelnden Jagd trennt, ist die gleiche, die Fear X von dramaturgischer Vollendung trennt. Es ist Harrys Schädelwand, durch die sich die Kamera scheinbar zu bohren will, wenn sie wiederholt seinen Hinterkopf fokussiert. Dahinter liegt der Schlüssel zu dem doppelten Geheimnis des Tatmotivs und des Mörders, den Harry auf einem unscharfen Polizeiphoto identifizieren soll. Die Unmöglichkeit auf der Nahaufnahme etwas zu erkennen, wovon die Fotopixel nur eine vage Ahnung vermitteln, stellt Harry vor ein ähnliches Dilemma wie den Hauptcharakter in Michelangelo Antonionis Blow up. Je determinierter Harry seinen Anhaltspunkten folgt, desto weiter entfernt er sich von der Realität. Symbolisch für das psychische Entgleiten steht die Reise zu Kate (Deborah Kara Unger), die er von einem gefundenen Foto kennt, und deren Ehemann Peter (James Remar), der nicht nur durch die Tat mit Harry in Verbindung steht.

Fear X ist — anders als es Pusher und Bleeder waren — keinen Markstein seines Genres, weil es unmöglich ist, den Neo-Noir einem definitiven Genre zuzuordnen. Das Werk, dessen kommerzieller Misserfolg Refns Produktionsfirma ruinierte, vollführt einen schwindelerregenden Drahtseilakt auf dem filigranen Handlungsfaden. Letzten spannt Hubert Selby, Jr. in seinem Script zwischen Mystery-Thriller, Seelendrama, Krimi und cineastischem Wahnbild, dessen Adaption unterschwellig auch die Besessenheit des Regisseurs zeigt. Die ins Expressionistische tendierende Farbdramaturgie und der komplexe Symbolismus brechen mit dem harschen Realismus, mit dem sich Refn profilierte, zugunsten eines kriminologischen Subjektivismus.

Der schöpft seine Inspiration zu gleichen Teilen aus den surrealistischen Filmmaskeraden David Lynchs und den nachtschwarzen Verderbensgeschichten Edgar G. Ulmers. An dessen Detour erinnert die wie eine bizarre Umkehr von Ulmers Noir erscheinende Schlussszene. Sie ist die wohl tückischste der Fallen, die Fear X bereithält. Mit Refns Worten: „Was ist das schon, ein Ende?“

Fear X - Im Angesicht der Angst

„Wer weiß, was man finden könnte, wenn man weiter sucht?“ Harry Caine weiß es nicht und das Publikum weiß es nicht. Vielleicht nicht einmal Nicolas Winding Refn. Was macht das, sind doch der von John Turturro mit konzentrierter Zurückhaltung verkörperte Hauptcharakter, der Zuschauer, dessen Blick Harry sich in beklemmender Weise bewusst scheint, und der dänische Regisseur entschlossen, es herauszufinden.
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