Log Line

Warum werden für Quartalsgewinne ganze Naturlandschaften zerstört? Wieso erkranken viele Arbeitnehmer zunehmend an Stresssymptomen oder werden depressiv? Der Dokumentarfilmer Nino Jacusso zeigt in Fair Traders, dass es ökonomisch auch anders gehen könnte: grün, nachhaltig und sozialverträglich. 

Fair Traders (2018)

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Muss nur noch kurz die Welt retten

„Ich will mir nicht alles leisten können“, erklärt die Schweizerin Claudia Zimmermann gleich zu Beginn von Nino Jacussos sehenswertem Dokumentarfilm Fair Traders. Die ehemalige Kindergärtnerin hat zusammen mit ihrem Mann Matthias, der als Ingenieur arbeitete, 2006 damit begonnen, einen konventionellen Landwirtschaftsbetrieb in einen nachhaltigen Biobauernhof zu transformieren. In erster Linie will sie zusammen mit ihrer Familie einen ebenso schönen wie sinnhaften Alltag erleben – weniger geht es ihr um einen unglaublich hohen Gewinn. Die überzeugte „Food Waste“-Aktivistin steht dafür mehrfach in der Woche selbst in ihrem Ökodorfladen, um beispielsweise Kartoffeln, Kuchen, Getreide oder Mehl aus eigener Produktion zu vertreiben: selbstverständlich direkt, ohne Zwischenhändler oder die Beteiligung riesiger Lebensmittelkonzerne. 

Selbst wenn die Ernte ihrer gut 50 Tonnen Kartoffelproduktion im Jahr schlecht ausfällt und sie mit ihrer Familie das eigene Geld zusammenhalten muss, veranstaltet sie regelmäßige Kartoffelaktionen, weil sie nicht möchte, dass alleine in der Schweiz weiterhin ungefähr ein Drittel aller Lebensmittel in der Mülltonne landet. Und so bietet Claudia Zimmermann dann zum Beispiel einen Sack Kartoffeln für einen Franken an, damit die Lebensmittelkette voll ausgeschöpft und nichts unnötig weggeschmissen wird. Erst in dieser neuen Aufgabe als landwirtschaftliche Quereinsteigerin hat die sympathische Schweizerin nach Jahren der Sinnsuche und manchen Therapiesitzungen ihre wahre Berufung gefunden, wofür Daniel Leippert eine mehrheitlich überzeugende Bildsprache gefunden hat, die nur selten in öde Imagefilmwelten abdriftet. 

Dass ökologischeres, sozialeres und vor allem auch nachhaltigeres Wirtschaften nicht nur im Mikrokosmos eines Biobauernhofes in Küttigkofen möglich ist, zeigt sich auch im radikalen Lebenswandel der Augsburger Mittelständlerin Sina Trinkwalder, der stärksten Protagonistin in Jacussos aktivistischem Dokumentarfilm. Nach erfolgreichen Jahren als Werberin mit eigener Agentur und hohen Einkünften krempelte die gleichermaßen resolute wie humorvolle Schwäbin mit Anfang dreißig noch einmal alles um: Sie investierte ihr vollständiges Vermögen von rund zwei Millionen Euro in eine anfangs mit lediglich drei Personen geführte Textilproduktion, die gegenwärtig 150 Mitarbeiterinnen unbefristet beschäftigt. Nach dem historischen Vorbild der Fugger und ohne die Unterstützung von Banken ist es der 41-Jährigen mittlerweile gelungen, Großaufträge aus den Händen der Marktführer im deutschen Drogerie- und Lebensmittelhandel für ihre manomama GmbH an Land zu ziehen. „Wir sind alle gleich“ steht auf dem betriebsinternen Codex Trinkwalders an erster Stelle, der überall am Firmensitz aushängt. Und daher ist es für die Firmengründerin weiterhin selbstverständlich, dass sie jeden Tag selbst in der Produktion arbeitet und jeden Lieferanten persönlich kennt. 

„Es kann nicht sein, dass man heute einen doppelten Doktor haben muss, um Arbeit zu finden“, erläutert Sina Trinkwalder ihre eigene Motivation als „Social Entrepreneur“. Aus diesem Grund beschäftigt die Augsburgerin mehrheitlich Frauen, die langzeitarbeitslos oder drogenabhängig waren, geflüchtet sind oder einen Migrationshintergrund haben und im regulären Arbeitsmarkt in der Regel als „nicht (mehr) vermittelbar“ gelten, was Trinkwalder bereits das Bundesverdienstkreuz eingebracht hat. „Die einzige Aufgabe eines Unternehmens heute ist die Maximierung der Menschlichkeit – nicht die Steigerung des monetären Gewinns“, lautet dementsprechend ihre Maxime. 

Nino Jacusso hat sie für Fair Traders über ein Jahr lang dokumentarisch begleitet. Ihr (Karriere-)Weg steht wie der des dritten Protagonisten Patrick Hohmann (Remei AG), der seit den frühen 1980ern als Pionier den Biobaumwollanbau in Tansania und Indien initiierte und damit inzwischen den Schweizer Handelsgiganten Coop beliefert, vorbildlich für das volkswirtschaftliche Konzept einer „Postwachstumsökonomie“, das von deutschen Professoren wie Niko Paech (Universität Siegen) seit Jahren gelehrt wird. 

Alle drei porträtierten Unternehmer, vom Kleinbetrieb bis zur internationalen AG, übernehmen durch ihr wirtschaftliches, soziales und umweltverträgliches Handeln eine bedeutende Verantwortung: für sich und ihre Mitarbeiter, ebenso für die Weltgemeinschaft und alle nachfolgenden Generationen, was Nino Jacusso in Fair Traders zwar en gros relativ konventionell in Szene setzt, aber anhand facettenreicher Protagonisten sowie einer eleganten Montagetechnik angenehm kurzweilig gestaltet. 

„Für mich sind die Freude und Zuversicht, die der Film auslöst, die notwendige Kraft, um aus der lähmenden Lethargie aufzuwachen, in der wir gefangen sind. Durch die neue Sichtweise auf unsere Welt regt der Film zum Nachdenken an, fordert zur Stellungnahme auf und animiert zum Handeln“, begründet der Filmemacher seine dokumentarische Herangehensweise. Oder um es in den klugen Worten Patrick Hohmanns zusammenzufassen: „In Afrika hat niemand Burn-out“. Die Menschen vor Ort wissen dort, dass sie die Welt (noch) verändern können! Davon sollten sich die saturierten Wohlstandseuropäer gerne die ein oder andere Scheibe abschneiden. Es ist schließlich nie zu spät für die Weltrettung. 

Fair Traders (2018)

Drei Akteure der freien Marktwirtschaft übernehmen Verantwortung für die Gesellschaft und nachfolgende Generationen: sie wirtschaften nachhaltig. Der Film blickt auf Karrieren von erfolgreichen Unternehmerinnen und Unternehmern in unterschiedlichen Stadien, die lokal, national und international agieren und Nachhaltigkeit als Versprechen für die Zukunft einlösen.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen