Exil (2004)

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Der Weg zurück

Die Handlung ist rasch skizziert: Zano (Romain Duris) und seine Freundin Naïma (Lubna Azabal), die der zweiten Generation algerischer Flüchtlinge in Paris angehören, begeben sich eines Tages auf die Reise in die unbekannte Heimat ihrer Eltern. Doch der neue Film von Tony Gatlif handelt von einem Phänomen, das in seiner Komplexität und Tragik bezeichnend für das Schicksal unzähliger Menschen des letzten Jahrhunderts ist und ebenso von brennender Aktualität: vom Zustand der Deplatziertheit, des gewaltigen Verlustes, der Entwurzelung und der Fremde – vom Exil.

„Wo auch immer ich hingehe, bin ich fremd“, beschreibt Naïma eine Empfindung, die sie ihr ganzes Leben lang begleitet. Als sie sich gemeinsam mit ihrem Freund Zano und spärlichem Gepäck auf dem Landweg über Spanien und schließlich mit dem Schiff über das Mittelmeer nach Algerien aufmacht, wählen die beiden den umgekehrten Weg, der Zanos Eltern einst nach Paris führte. Ohne Eile verweilen sie unterwegs bei Begegnungen und an Orten, die sie berühren, wobei ganz besonders Andalusien eine starke Faszination auf sie ausübt. Hier treffen die Reisenden auf Gruppen illegaler Einwanderer aus Nordafrika, die ihrem Vakuum zwischen erbärmlicher Vergangenheit und ungewisser Zukunft eine Gegenwart abtrotzen, in der ein guter Augenblick von geradezu magischer Lebendigkeit erfüllt ist, ohne in seichter Harmonisierung zu verpuffen.

Naïma und Zano sind auf ihrer Reise weniger Beobachter als Erlebende, denn sie lassen sich mit großer Sinnlichkeit von den Eindrücken um sie herum einfangen. Die Kamera konzentriert sich in einem Wechsel von Nähe und Distanz mit großer Intensität auf Details der Landschaften wie der Menschen, was jegliche Romantik oder Schönfärberei nahezu dokumentarisch relativiert.

Eine überaus bedeutsame und tragende Funktion kommt der Musik im Film zu. Sie ist einerseits die Begleiterin des jungen Paares auf seiner Reise durch die Kulturen, vom Pariser Techno über andalusische Flamenco- und Sevillana-Klänge bis zu mystischen Gesängen der nordafrikanischen Sufi-Bruderschaften. Andererseits repräsentiert sie, vor allem für Zano, ein ortloses Territorium, auf dem er sich heimisch fühlen kann- „Musik ist meine Religion“, bekennt er.

Mit Lubna Azabal, zuletzt zu sehen in 25 Grad im Winter und Viva Algeria, und Romain Duris, der uns noch aus Der wilde Schlag meines Herzens in unmittelbarer Erinnerung ist, treffen wir in Exil auf zwei Akteure von professioneller Leichtigkeit. Vor allem Duris scheint die Rolle des Zano geradezu auf den Leib geschrieben zu sein, was wenig erstaunt, denn er hat bereits 1997 in Geliebter Fremder unter der Regie von Tony Gatlif gespielt. Gatlif, der seine Filmkarriere ursprünglich als Schauspieler begann, erhielt für Exil in Cannes 2004 den Preis für die beste Regie

Vermutlich ist Exil der persönlichste der bisher 14 Spielfilme von Tony Gatlif, für den der Regisseur neben dem Drehbuch auch noch gemeinsam mit Delphine Mantoulet die Musik erstellt hat. Seine eigene Jugend im französischen Exil war geprägt von Kriminalität und Erziehungsanstalten. „Dem Film liegt nicht eine besondere Idee zugrunde, sondern mein Verlangen, meine Wunden zu betrachten. Ich habe 43 Jahre gebraucht, um zum Land meiner Kindheit, Algerien, zurückzukehren. Fast 7.000 km auf der Straße, mit dem Zug, mit dem Auto, dem Boot und zu Fuß“, so Gatlif. Und die Musik, von deren heilender Wirkung Gatlif überzeugt ist, legt sich wie Balsam über diese Wunden: „Sie ist die einzig wahre Verbindung zwischen den Lebenden und den Toten, sie vermittelt Freude, Schmerz, Melancholie und Liebe auf den Gipfeln des Gefühls.“
 

Exil (2004)

Die Handlung ist rasch skizziert: Zano (Romain Duris) und seine Freundin Naïma (Lubna Azabal), die der zweiten Generation algerischer Flüchtlinge in Paris angehören, begeben sich eines Tages auf die Reise in die unbekannte Heimat ihrer Eltern.

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Meinungen

Ouisam Elkertoubi · 27.11.2007

Erschüttert bis ins Tiefste. Ein absolutes Muss für Europäer mit Migrationshintergrund und auch allen anderen. Ein grosses Dankeschön an alle Darsteller als auch an die Regie. Besser geht nicht. Danke!!