Eva und der Priester (Arthaus Retrospektive 1961)

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Ein starkes Drama um Glauben und Religiösität

Ein französisches Provinzstädtchen während des Zweiten Weltkriegs: Die junge, energische Witwe Barny (Emmanuelle Riva) arbeitet in einer Fernunterrichtschule und hat ihre kleine Tochter France (Patricia Gozzi, später Marielle Gozzi) derweil bei einer Bekannten untergebracht. Die Besetzung der Region durch italienische Truppen empfindet die überzeugte Atheistin kaum als Belastung, doch als die Deutschen dort einmarschieren, lässt sie ihre Tochter, deren Vater Jude war, vorsorglich katholisch taufen. An Männern ist Barny, die ein mal gutes, dann wieder spannungsgeladenes Verhältnis zu ihren Kolleginnen unterhält, gerade gar nicht interessiert, vielmehr schwärmt sie glühend für ihre distanzierte Vorgesetzte Sabine Levy (Nicole Mirel), mit der sie hin und wieder intensive Blicke tauscht.
Eines Tages besucht Barny aus einer übermütigen Laune heraus den Beichtstuhl des jungen Priesters Léon Morin (Jean-Paul Belmondo), den sie mit provokativen, religionskritischen Parolen konfrontiert. Doch der gebildete und geradlinige Geistliche weiß ihre Attacke geschickt zu parieren, erteilt ihr die Absolution und gibt ihr eine kleine Buße auf, die Barny in ihrer Verwirrung tatsächlich akzeptiert. Dieses unerwartete religiöse Erlebnis, das ihr ein Gefühl der Leichtigkeit beschert, beseelt die leidgeprüfte Witwe, und zögerlich begibt sie sich bald darauf zu einer Verabredung mit Prêtre Morin, der anbot, ihr ein paar Bücher auszuleihen. Aus diesem ersten Treffen entwickelt sich ein regelmäßiger, durch Fachlektüre gestützter Austausch der beiden über theologische Themen, in dessen Verlauf Barny reichlich Trost erfährt, und die Sehnsucht nach dem Glauben an Gott breitet sich in ihr aus.

Während aufgrund des Machtzuwachses der Deutschen der jüdische Professor Edelman (Marco Behar) die Fernunterrichtschule und Frankreich mit gefälschten Papieren verlässt und Sabines Bruder verhaftet wird, bringt Barny auch ihre Kolleginnen zu Prêtre Morin, die ebenfalls begeistert von dem glaubensfesten Priester sind, wobei die kesse Marion (Monique Bertho) ihn sogar zu verführen trachtet. Die kleine France, die zum Erstaunen ihrer Mutter starke religiöse Neigungen zeigt, lebt mittlerweile wieder bei Barny und hat Bekanntschaft mit Morin gemacht, der einen fröhlich-vertrauten Umgang mit dem Kind pflegt. In Barny erhebt sich allmählich der Wunsch, dem Priester auch auf ganz persönlicher Ebene näher zu kommen …

Die leichtgängige, unsentimentale Atmosphäre, innerhalb welcher sich die Geschichte mit dem seltsam anmutenden deutschen Titel Eva und der Priester nach dem autobiographisch orientierten Roman Léon Morin, prêtre von Béatrix Beck ereignet, die dafür mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet wurde, bildet einen kuriosen Kontrast zu den schwerlastigen gesellschaftspolitischen Zuständen jener Zeiten, die Regisseur Jean-Pierre Melville zwar deutlich anklingen lässt, ohne ihnen allerdings die Macht zu verleihen, die persönlichen Entwicklungen seiner Protagonisten gänzlich zu überwältigen. Dieses geschickt inszenierte Spannungsfeld zwischen individueller und historischer, sozialpolitscher Situation evoziert einen dynamischen Humanismus mit dem Fokus auf das emotionale und geistige Leben von Menschen in Kriegszeiten, die tapfer den unwegsamen Zuständen trotzen und sich um eine würdige Existenz innerhalb des großen Grauens bemühen, das hier nur aus der Ferne grummelt.

Der deutsche Filmemacher Volker Schlöndorff fungierte damals als Regieassistent von Jean-Pierre Melville, dem mit Eva und der Priester ein außergewöhnliches Drama um Glauben und Religiösität von intensiver Ernsthaftigkeit und bewegender Tiefenschärfe gelungen ist, das im Rahmen der dortigen Filmfestspiele 1961 mit dem Preis der Stadt Venedig ausgezeichnet wurde und dem überzeugend charismatisch agierenden Jean-Paul Belmondo eine Nominierung als Bester ausländischer Darsteller im Rahmen der BAFTA Awards eintrug. Die theologischen Debatten ebenso wie die Dialoge auf rein menschlicher Ebene verfügen über eine anregende Substanz, die ihre Aktualität nach über fünfzig Jahren keineswegs verloren hat, und es ist eine der herausragenden Qualitäten dieses Films, dass die Beziehung zwischen der beeindruckenden Emmanuelle als Barny und dem unerschütterlichen Jean-Paul Belmondo als umschwärmter Priester nicht auf die nur leise anklingende Komponente des Begehrens im Sinne der nur karg aufgeworfenen Spekulation, ob sich da etwas anbahnt oder nicht, reduziert wird.

Eva und der Priester (Arthaus Retrospektive 1961)

Ein französisches Provinzstädtchen während des Zweiten Weltkriegs: Die junge, energische Witwe Barny (Emmanuelle Riva) arbeitet in einer Fernunterrichtschule und hat ihre kleine Tochter France (Patricia Gozzi, später Marielle Gozzi) derweil bei einer Bekannten untergebracht.
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