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Eine Scheinehe: Er, Kurde in der Türkei, will raus aus dem Land. Sie, Pilotin aus Hamburg, ist krebskrank und nimmt ihn mit. Drei Jahre Ehe, dann Trennung, das ist der Deal. Doch Charaktere sind komplex, Gefühle sind komplex, und ein Vertrag über Eheschließung, über Emotion, ist niemals endgültig.

Es gilt das gesprochene Wort (2019)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Ehe zum Schein

Baran (Oğulcan Arman Uslu) ist Kurde in der Türkei. Hat, wie er sagt, den Militärdienst hinter sich, sieht für den Inhaber einer Strandbar in Marmaris eher wie ein Deserteur aus. Er lässt Baran erstmal tanzen, zum Einstellungsgespräch, obwohl es nur ums Tellerwaschen in der Küche geht. Demütigung; das Körperliche ist trotzdem wichtig: Langsam wird Baran zum Gigolo-Dasein herangeführt, um den betrunkenen und geilen Touristinnen den vollumfassenden Befriedigungsservice zu leisten.

Geschickt lenkt Regisseur Ilker Çatak dann mit einem Blick in den Himmel über zu Marion (Anne Ratte-Polle), Pilotin, voll im Berufsleben. Dann ein Arztbesuch, die Diagnose-Prozedur, ihre sachlich-pragmatische Frage: „OK, wann ist die OP?“ Marion hat sich und ihre Gefühle im Griff, meistens, sie geht die Tatsachen praktisch an, bleibt cool, wenn alles aufgewühlt ist. Und fährt mit ihrem Liebhaber – der anderweitig verheiratet ist – in die Türkei.

Eine Scheinehe zeigt Çatak, die Geschichte eines klaren Deals: Er macht keinen Ärger, sie ist dafür drei Jahre lang mit ihm verheiratet, damit er einen Pass bekommt. Warum sie das tut? Um zu helfen. Vielleicht. Untergründig, und das ist das Meisterhafte an Çataks Inszenierung, untergründig geht viel mehr vor sich. Baran ist ein Schlitzohr, der einfach durchkommen will. Marion verliert durch Brustkrebs ihre Weiblichkeit, äußerlich zumindest. Sie ist nicht mehr ganz Frau; da will sie vielleicht wenigstens ganz Ehefrau sein. Eine Ehe ohne Körperlichkeit: Baran, der mit so viel Chuzpe in Marmaris sich rangemacht hat an die Frauen, soll glücklich sein, bekommt eine kleine Wohnung, Marion ist mit ihm verheiratet, aber räumlich getrennt. Mit Gefühlen hat sie es eh nicht so, eigentlich: Raphael (Godehard Giese), den Liebhaber, lässt sie ziehen, als er vorsichtig vorschlägt, man könne ja zusammenziehen. Was so was wie ein Heiratsantrag ist. Und wie großartig die Dialoge ausgearbeitet sind, ohne Blabla, ohne zu viele Erklärungen, aber klar, präzise, im Ausdruck immer den Charakteren entsprechend: Wie Marion das Trennungsgespräch mit Raphael vorweg zitiert, genau so wird es ablaufen, da kann man es ja auch abkürzen…

Çatak kennt seine Figuren in- und auswendig, das merkt man: Er führt seine Schauspieler genau dahin, wo er sie brauchen kann; und er hat so großartige Schauspieler, dass die sich fallen lassen können in ihre Rollen, so dass nichts missstimmig ist – nicht ganz einfach, die Charaktere sind vielschichtig, komplex, auch und gerade im Ausdruck ihrer Gefühle, auch und gerade, weil diese Gefühle nur unterdrückt, oder über Bande, oder verschoben zum Ausdruck kommen.

Anne Ratte-Polle ist perfekt in ihrer Rolle. Sie zeigt etwas Jody Foster-haftes, das äußerlich Harsche und die innerliche Weichheit in genau richtigem Verhältnis, mit dem stets subtilen, ganz kleinen Ausdruck in den Augen, um den Mund, in den Bewegungen, der passt. Oğulcan Arman Uslu als Baran ganz ähnlich: mal ganz verzweifelt, dann wieder frech aktiv, hilflos einerseits, andererseits ganz auf seine Umgebung bedacht, ein Verlorener und gleichzeitig ein Hoffender.

Sie sind verheiratet, ohne Gefühle, aus sachlichen Gründen. Und weil sie verheiratet sind, sind sie zusammen. Und irgendwann beginnt Marion, ihre Anspannung zu lösen, sie lacht sogar. Und irgendwann beginnt Baran, seine Anspannung zu lösen, er bewegt sich locker, lernt deutsch, macht den Führerschein. Wird heimisch in der Fremde. Und Raphael bemerkt das. Und er reagiert, durchaus xenophob, aus Eifersucht, aus tiefsitzender Fremdenfeindlichkeit gar? Andererseits hat er ja recht: Wie würde Marion reagieren, wenn er aus dem Urlaub eine junge Thai mitbrachte?

„Es gilt das gesprochene Wort“, das ist eigentlich eine Floskel für Journalisten, bei einer vorab schriftlich verbreiteten Rede, die dann vom sagen wir Bundespräsidenten live gehalten wird: Dann gilt nicht, was vorher im Manuskript stand, dann gilt das, was gesagt wird. Im Rahmen einer standesamtlichen Eheschließung kannte ich den Ausdruck noch nicht: Doch einmal „Ja“ ist vielleicht doch für immer ein „Ja“, trotz des Vertrages, trotz der geplanten Trennung nach den drei fürs Bleiberecht obligatorischen Jahren. Doch auch dabei, bei einer Erfüllung oder Auflösung des Deals, geraten die Gefühle ins Spiel… Es sind komplexe Emotionen, die der Film darstellt, die sich im Zuschauer manifestieren: Ein Film, der einen von Anfang bis Ende mitnimmt.

Es gilt das gesprochene Wort (2019)

Gegensätzlicher könnten die Lebenswelten von Marion und Baran kaum sein, als sie sich am Strand von Marmaris zum ersten Mal begegnen: Marion, die selbstbewusste, unabhängige Pilotin aus Deutschland, trifft auf Baran, den charmanten Aufreißer wider Willen, der von einem besseren Leben jenseits des Bosporus träumt. Zielstrebig bittet er Marion, ihn mit nach Deutschland zu nehmen. Und sie lässt sich auf dieses Wagnis ein, ganz gegen ihre sonst so überlegte, reservierte Art, und schließt einen Deal mit ihm …

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Meinungen

Dirk · 05.07.2019

Ein emotional ergreifender und zugleich unterhaltsamer Film, ganz großartig erzählt!