Éric Rohmer – Erzählungen der vier Jahreszeiten

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Das Phänomen der Liebe in Frühling, Sommer, Herbst und Winter

Es sind die thematischen, mehrteiligen Zyklen, für die der Anfang des Jahres im Alter von 89 verstorbene französische Autor, Kritiker und Regisseur Éric Rohmer bekannt ist. Nun erscheinen bei Arthaus alle vier Filme seiner Erzählungen der vier Jahreszeiten innerhalb einer Edition auf DVD, die damit bis auf Wintermärchen / Conte d’hiver erstmals in Deutschland erhältlich sind. Gibt auch der Titel bereits die Ausrichtung dieses berühmten Zyklus an, so dominiert doch auch hier wie im Grunde innerhalb des gesamten Werkes des Filmemachers das Thema der Liebe in unterschiedlichen Beziehungskonstellationen das Geschehen.

Frühlingserzählung / Conte de printemps von 1990 stellt den Auftakt der jahreszeitlich angelegten Geschichten dar, in dessen Fokus die recht unspektakulär und bodenständig erscheinende Jeanne (Anne Teyssèdre) steht, die an einem Gymnasium Philosophie unterrichtet. Ihre eigene Wohung hat sie gerade für eine Weile ihrer Cousine Gaëlle (Sophie Robin) zur Verfügung gestellt, und im Appartement ihres chaotischen Freundes Mathieu, eines Mathematikers, mag sie während seiner beruflich bedingten Abwesenheit auch nicht wohnen. Auf einer Party, wo sie lediglich widerwillig zu Gast ist und sich sichtlich unwohl fühlt, trifft sie auf die junge, eigenwillige Natacha (Florence Darel), die am Konservatorium Klavier studiert. Zwischen den extrem unterschiedlichen Frauen bahnt sich spontan eine zugeneigte Verbindung an, und Jeanne zieht vorübergehend bei Natacha ein, deren Vater Igor (Hugues Quester) gerade wieder einmal unterwegs ist. Die beiden Frauen verbringen ein paar schöne Tage miteinander, wobei sich immer stärker herauskristallisiert, dass Natacha die Absicht hegt, Jeanne mit ihrem Vater zu verkuppeln, weil sie eine offensichtliche Abneigung für dessen junge Freundin Ève (Eloïse Bennett) empfindet. Nach ein paar Begegnungen zwischen Jeanne, Natacha, Igor und Ève, die von Missstimmungen geprägt sind, kommt es letztlich doch noch zu einer Zweisamkeit von Jeanne und Igor, und die beiden kommen sich tatsächlich näher …

Wintermärchen / Conte d’hiver als chronologisch zweiter Teil des Zyklus wurde seinerzeit bei der Berlinale 1992 mit dem FIPRESCI sowie mit dem Preis der Ökumenischen Jury ausgezeichnet. Der Film erzählt die Geschichte von Félicie (Charlotte Véry), die zwischen ihren engagierten Verehrern Maxence (Michel Voletti), seines Zeichens Friseur, und dem Bibliothekar Loïc (Hervé Furic) pendelt. Ihr Herz gehört jedoch dem Koch Charles (Frédéric van den Driessche), dem Vater ihrer Tochter Elise (Ava Loraschi), der allerdings nur den Platz einer Erinnerung einnimmt, denn Félicie hat Charles nach einer einmaligen Begegnung während eines Urlaubs vor fünf Jahren nie wiedergesehen …

Der dritte Teil der Erzählungen der vier Jahreszeiten, Sommer / Conte d’été von 1996, stellt den jungen Gaspard (Melvil Poupaud) in den Fokus, der im Appartement eines Freundes den Sommer in einem kleinen Ferienort in der Bretagne verbringt. In ruhigen Bildern wird zu Beginn des Films die Zurückgezogenheit des stillen jungen Hobby-Musikers, der gerade ein Lied komponiert und offensichtlich ständig auf einen Anruf wartet, dargestellt, die er zunächst widerwillig aufgibt, als er die Bekanntschaft der Ethnologiestudentin Margot (Amanda Langlet) macht, die während der Ferien im Café ihrer Tante kellnert. Es entseht eine anfänglich zaghafte Freundschaft zwischen den beiden, und Gaspard vertraut Margot an, dass er lose mit Lena (Aurelia Nolin) verabredet ist, für die er schwärmt, die sich allerdings noch nicht bei ihm gemeldet hat. Im Verlauf des Sommers ist der unentschlossene Gaspard zwischen drei jungen Frauen hin und her gerissen, die jede für sich eine Faszination auf ihn ausüben: Da ist Margot, in dessen Gegenwart er sich im Grunde am wohlsten fühlt, die erotisch orientierte Solene (Gwenaëlle Simon), zu der er sich ebenfalls hingezogen fühlt, und schließlich seine Angebetete Lena, die doch noch auftaucht, ihn aber immer wieder auf Distanz hält …

Im Mittelpunkt der Herbstgeschichte / Conte d’automne, der bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig im Rennen um den Goldenen Löwen uraufgeführt und dort mit dem Premio Osella für das Beste Drehbuch von Éric Rohmer ausgezeichnet wurde, stehen die Erlebnisse von Charakteren der reiferen Generation, auch wenn die Jugend durchaus mit im Spiel ist. Seit ihrer Kindheit sind die Buchhändlerin Isabelle (Marie Rivière), die gerade mitten in den Hochzeitsvorbereitungen für ihre Tochter steckt, und Magali (Béatrice Romand), die sich seit einiger Zeit als Winzerin aufs Land zurückgezogen hat, miteinander befreundet. Die Mittvierzigerinnen haben die Loslösung von ihren erwachsenen Kindern vollzogen, wobei sich die Witwe Magali nach einer neuen Beziehung sehnt, während Isabelle in ihrer langjährigen Ehe sehr zufrieden wirkt. Die charismatische Rosine (Alexia Portal), die gerade halbherzig mit Magalis Sohn Léo (Stéphane Darmon) liiert ist und eher für dessen Mutter schwärmt, verfällt auf den Plan, die attraktive Magali mit ihrem ehemaligen Lehrer und Liebhaber Étienne (Didier Sandre) zu verkuppeln, der nach wie vor an ihr hängt. Isabelle gibt derweil heimlich eine Kontakanzeige für Magali auf und trifft sich ein paar Mal mit dem Kandidaten Gérald (Alain Libolt), der ihr zunehmend selbst gut gefällt. Bei der anberaumten Hochzeitsfeier treffen alle Protagonisten dann zusammen, und es kommt zu einigen kleinen Turbulenzen …

Es sind zuvorderst die stets wiederkehrenden, ausführlich und sorgfältig inszenierten Elemente der generationsübergreifenden Beziehungsgeflechte, die starken emotionalen wie kognitiven Ambivalenzen der Figuren sowie die intensive bis penetrante Dialoglastigkeit, in denen sich die Gemeinsamkeiten der Erzählungen der vier Jahreszeiten verorten lassen. Alle vier Filme dieses Zyklus der 1990er Jahre spielen in einem französischen Ambiente, das die soziokulturellen Aspekte der modernen Gesellschaft treffend transportiert, nicht selten mit einem sanft-ironischen Unterton. Lassen sich vor allem die recht dynamischen und doch häufig spontan wirkenden Dialoge auch mitunter als gepflegte, launische Banalitäten beschreiben, liegt gerade darin die Spezialität Éric Rohmers, die Inkonsistenz des Alltäglichen auf dem Territorium der Sehnsüchte und Beziehungen einzufangen. Und letztlich formiert sich damit die Schlussfolgerung, dass das Phänomen der Liebe sich in seinen oftmals widersprüchlichen Ausprägungen in der Jugend wie in den fortgeschrittenen Lebensphasen als Konstante mit allzu ähnlichen Merkmalen erweist.
 

Éric Rohmer – Erzählungen der vier Jahreszeiten

Es sind die thematischen, mehrteiligen Zyklen, für die der Anfang des Jahres im Alter von 89 verstorbene französische Autor, Kritiker und Regisseur Éric Rohmer bekannt ist. Nun erscheinen bei Arthaus alle vier Filme seiner „Erzählungen der vier Jahreszeiten“ innerhalb einer Edition auf DVD, die damit bis auf „Wintermärchen“ / „Conte d’hiver“ erstmals in Deutschland erhältlich sind.

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