Electric Slide

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

The Look of Love (and Crime)

Eine junge Frau mit platinblondem Haar und tieftraurigen Augen wandelt in einem goldfarbenen Paillettenkleid über den nächtlichen Walk of Fame in Hollywood und löst ein Ticket für die Midnight-Madness-Vorstellung in einem opulenten Lichtspielhaus. Der Kinosaal ist menschenleer – bis ein Paar den Raum betritt und sich in einer hinteren Sitzreihe niederlässt. Der Mann trägt Sonnenbrille und Hut, seine Begleiterin zieht an einer Zigarette. Nach der Filmvorführung kommt es zu einer kurzen Unterhaltung über Liebe und Verbrechen zwischen der betrübten Frau in Gold und dem affektiert auftretenden Mann, ehe die Frau sich in die Einsamkeit ihres Motelzimmers zurückbegibt. Dies ist der erste, mit der Zahl 10 versehene Abschnitt von Electric Slide. Im Stil eines Countdowns folgen weitere Kapitel, in denen der Mann, Eddie (Jim Sturgess), und die Frau, Pauline (Isabel Lucas), sich wiederbegegnen, um zu Liebenden zu werden – und Eddie sich als Gangster versucht, um seine Schulden zu tilgen.
Als Basis für sein Spielfilmdebüt diente Drehbuchautor und Regisseur Tristan Patterson, der 2011 mit dem dokumentarischen Werk Dragonslayer auf diversen internationalen Filmfestivals reüssierte, ein Artikel von Timothy Ford über den 2003 verstorbenen Hollywood-Playboy Eddie Dodson. Dieser hatte Anfang der 1980er Jahre mehr als 60 Banken überfallen. Electric Slide ist jedoch kein klassisches Biopic, da weder Eddies Vorgeschichte noch die Geschehnisse nach dessen Festnahme in irgendeiner Form geschildert werden. Jim Sturgess (Zwei an einem Tag) interpretiert Eddie als weltfremden Dandy: Der Besitzer eines kleinen Geschäfts für antike Möbel hat Schulden bei der Bank und dem französischen Kriminellen Roy (Christopher Lambert); seine Freundin Charlotte (Chloë Sevigny) beendet entnervt die Beziehung – und selbst seine wohlhabende verheiratete Geliebte Tina (Patricia Arquette) zeigt sich nur bedingt bereit, ihm finanzielle Hilfe zu leisten. „Ich werde morgen wirklich ‚ne Bank überfallen“, kündigt er Pauline nach dem Wiedersehen der beiden an – und lässt jenen Worten eine beachtliche Serie von erfolgreichen Raubzügen mit einer harmlosen Startpistole folgen. Statt seine Schulden zu begleichen, gibt sich Eddie aber lieber gemeinsam mit Pauline dem Hedonismus hin.

Bei dem Film, der zu Beginn im Kino läuft, handelt es sich um Jim McBrides Atemlos (1983) – das US-Remake des Nouvelle-Vague-Klassikers Außer Atem (1960) von Jean-Luc Godard. Wenn Eddie später zum Bankräuber wird, wirkt er – wie es von Patterson gewiss intendiert ist – wie die Kopie einer Kopie (einer Kopie): Er eifert Richard Gere nach, der in der Neuverfilmung in gewisser Hinsicht dem ‚Original‘ Jean-Paul Belmondo nacheifert, der wiederum in Außer Atem eine Figur verkörpert, die den großen Humphrey Bogart als Vorbild erachtet. Eddies Raubzüge werden in einer Montagesequenz recht einfallsreich und witzig als Verführungsakte präsentiert, in denen der (Anti-)Held im schicken Maßanzug höflich mit dezent gezückter Fake-Waffe um Geld bittet. Patterson versäumt es allerdings, dem Geschehen irgendeine Dringlichkeit zu geben. Selbst in Werken des Cinéma du look (etwa Betty Blue – 37,2 Grad am Morgen oder Subway), an denen sich Electric Slide offenkundig orientiert, kann man bei aller Hingabe an die schöne Oberfläche, an Farb-, Licht- und Toneffekte mehr Substanz erkennen, als Patterson in seiner Arbeit zulässt.

Den Style-over-substance-Vorwurf muss sich Electric Slide sowohl in Bezug auf die Inszenierung der Schauplätze als auch die Darstellung der Figuren gefallen lassen; hier sieht man keine Charaktere und keine Lebensräume, sondern artifizielle Geschöpfe in stilisierten Interieurs und Exterieurs. Christopher Lambert und Patricia Arquette dürfen in ihren eindimensionalen Nebenrollen lediglich chargieren, weshalb sie – ebenso wie Chloë Sevigny als Eddies enervierte (Ex-)Freundin – weit unter ihren Möglichkeiten bleiben. Das Singer-Songwriter-Talent Kate Micucci kann indes als verhuschte, aber unerschrockene Bankangestellte für ein paar sehr gelungen-komische Momente sorgen. An der Seite von Jim Sturgess als Protagonist entspricht die junge Australierin Isabel Lucas als Pauline einerseits dem Klischee der passiven Frau, die im Auto entdämmert, während ihr Lover neues Geld beschafft: Im Laufe des Films verbringt Pauline auffallend viel Zeit mit Warten und in völliger Untätigkeit. Andererseits ist sie in der Beziehungsanbahnung stets der aktive Part. Lucas verleiht der enigmatischen Verlorenen, über deren biografische Hintergründe sich das Skript ausschweigt, eine Melancholie, durch die man tatsächlich ein gewisses Interesse an der Figur entwickelt; überdies erzeugt sie in einigen Szenen im Zusammenspiel mit Sturgess eine einnehmende Sinnlichkeit. Electric Slide funktioniert daher am ehesten als Liebesfilm, da die Liebe per se bar jeglicher Erklärbarkeit und in absurder Übersteigerung über uns hereinbricht. „Das weiß nur mein Herz“, sagt Eddie am Ende als Erklärung – und es ist wohl der nachvollziehbarste Satz des ganzen Films.

Electric Slide

Eine junge Frau mit platinblondem Haar und tieftraurigen Augen wandelt in einem goldfarbenen Paillettenkleid über den nächtlichen Walk of Fame in Hollywood und löst ein Ticket für die Midnight-Madness-Vorstellung in einem opulenten Lichtspielhaus. Der Kinosaal ist menschenleer – bis ein Paar den Raum betritt und sich in einer hinteren Sitzreihe niederlässt. Der Mann trägt Sonnenbrille und Hut, seine Begleiterin zieht an einer Zigarette.
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