Ehrenmedaille

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Das Ende der Eiszeit

Es ist schon erstaunlich: Die Filmkultur blüht in einem Land, in dem sich viele Menschen keine Kinokarte mehr leisten können. Rumänien hat in den letzten Jahren viele talentierte Regisseure hervorgebracht. Peter Călin Netzer ist einer von ihnen. Sein zweiter langer Spielfilm Ehrenmedaille / Medalia de onoare ist ein kleines Juwel.
Mit liebevoll ironischem Blick erzählt Netzer von einem Überlebenskünstler der melancholischen Art. Herr Ion (Victor Rebengiuc) hat es nicht leicht in seiner unterkühlten Bukarester Stadtwohnung. Seine Frau redet seit sieben Jahren kein Wort mit ihm. Der nach Kanada ausgewanderte Sohn legt sofort auf, wenn er wider Erwarten den Vater statt der Mutter an der Strippe hat. Aber eines Tages naht Rettung für den verachteten und gemiedenen alten Mann. Die Regierung möchte ihm eine Medaille für heroische Verdienste im 50 Jahre zurückliegenden Zweiten Weltkrieg verleihen. Plötzlich ist Ion ein angesehener und gefragter Mann, nicht nur bei den Nachbarn. Auch die familiäre Eiszeit scheint sich dem Ende zuzuneigen. Das Problem ist nur: Herr Ion kann sich nicht erinnern, jemals eine Heldentat vollbracht zu haben.

Es sind Szenen voller Bildwitz, in denen die kleinen Absurditäten eines verkrusteten Staats- und Familienlebens aufs Korn genommen werden. Herrlich, wie der 75-Jährige Ion immer wieder von der knöchernen jungen Dame in der Regierungsbehörde abgefertigt wird – in einem Gebäude und einer Atmosphäre, wie sie Kafka nicht besser schildern könnte. Und ebenso köstlich, wie sich das alte Ehepaar schweigend die Bettdecke teilen muss.

Es ist dieser sehr spezielle, ebenso ironische wie warmherzige Humor, der Netzers eigene Handschrift innerhalb der so genannten „neuen rumänischen Welle“ auszeichnet. Sein teilnahmsvoller Blick ist voll von Nachsicht für menschliche Schwächen. Und eine ironisch gebrochene Verehrung für all die kleinen Leute, die es geschafft haben, nicht nur das Ceaucescu-Regime zu überstehen, sondern sich auch in den schwierigen neuen Verhältnissen mit leidlichem Anstand durchzuwurschteln.

Netzer verschränkt auf anspielungsreiche Weise eine ganze Reihe von Themen: Bürokratie und Familie, Selbstfindung und Geschichtsbewältigung. Er verbindet die universelle Frage, wozu Helden gut sind, mit dem präzisen Blick auf die rumänischen Verhältnisse. Dabei gerät ihm die Sparsamkeit der filmischen Mittel niemals zum Selbstzweck. Indem er seine Pointen in Ruhe vorbereitet, lässt er sie umso heller leuchten.

Victor Rebengiuc ist nicht von ungefähr die ideale Besetzung für diesen ebenso schuldbeladenen wie gutherzigen alten Mann. Drehbuchautor Tudor Voican hatte schon beim Schreiben an den erfahrenen Schauspieler gedacht, der seit 50 Jahren zu den Lieblingen des rumänischen Kino- und Theaterpublikums zählt. Ob die Filmfigur die Ehrenmedaille letztlich zu Recht bekommen hat, sollte man besser nicht verraten. Kein Geheimnis ist hingegen, dass nicht nur der Film, sondern auch der Hauptdarsteller mehrere Preise und lobende Erwähnungen bei Festivals bekommen hat. Zuletzt beim goEast-Festival in Wiesbaden, wo Victor Rebengiuc für seine „herausragende Leistung“ gelobt wurde. Gottseidank lässt sich Ehre nicht nur im Zweiten Weltkrieg erwerben.

Ehrenmedaille

Es ist schon erstaunlich: Die Filmkultur blüht in einem Land, in dem sich viele Menschen keine Kinokarte mehr leisten können. Rumänien hat in den letzten Jahren viele talentierte Regisseure hervorgebracht. Peter Călin Netzer ist einer von ihnen. Sein zweiter langer Spielfilm „Ehrenmedaille / Medalia de onoare“ ist ein kleines Juwel.
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