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Jafar Panahi hat Arbeitsverbot. Er darf keine Filme mehr machen. Mit bescheidenen Mitteln holt er trotzdem das allerbeste aus seinen verbliebenen Möglichkeiten.

Drei Gesichter (2018)

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Herrn Panahis kleine Freiheit

Jafar Panahi hat Arbeitsverbot. Er darf keine Filme mehr machen. Seit seinem Arbeitsverbot hat er allerdings This is Not a Film, Closed Curtain, Taxi Teheran und jetzt Three Faces gemacht. Es sind Nicht-Filme. Werke, die nicht sein können und dürfen. Werke, die immer wieder davon handeln, wie sie keine sind. Das ist sie, die absurde Logik, die sich aus den Regeln des Landes entspinnt. Und Panahi macht das Beste daraus. Das Allerbeste.

Stets mit nur einer einzigen Kamera bestückt, in Taxi Teheran war es eine „Überwachungskamera“ im Taxi, versucht Panahi seit Jahren, sanft seinen Möglichkeitsspielraum so gut es geht auszunutzen und zu erweitern. Und es gelingt. Mit Three Faces kommt er erstmals wieder an den Punkt ausgedehnter Freiheit in Form von Raum. Waren seine anderen Filme immer Werke eines einzigen Raumes – seine Wohnung oder ein Taxi-Innenraum –, so reist er dieses Mal in den Norden Irans. In drei Dörfern, in denen ihm Hilfe und Diskretion gewiss waren, hat er seinen Film gedreht. Es sind die Dörfer seiner Eltern und Großeltern, es ist seine Heimat. Auf die Reise hat er nur vier Begleiter mitgenommen: ein falsches Drehbuch, falls er angehalten wird und man ihn über seinen zweiten Gegenstand, eine hochsensible und daher sehr flexibel einsetzbare Kamera, befragt, einen Kameramann und die geniale Schauspielerin Behnaz Jafari, die sich in dem Film selbst spielt. 

Jafari ist nämlich die Empfängerin einer hochgradig beunruhigenden Nachricht, die allerdings nicht an sie, sondern an Panahi geleitet wurde. In der Nachricht ist ein Video eines jungen Mädchens, das scheinbar Selbstmord begeht, weil sie nicht Schauspielerin werden darf, obwohl sie am Konservatorium in Teheran angenommen wurde. Das Video verstört Panahi und Jafari so sehr, dass beide sich im Auto auf den Weg in die Region des Mädchens machen, um herauszufinden, was geschehen ist. Und so ist das erste der drei Gesichter das eines weinenden Mädchens, das keine Zukunft zu haben scheint. Panahi addiert zu ihrem das zweite weinende Gesicht. Es ist Jafaris, die eine Generation weiter ihren Traum erfüllt hat und doch dafür sehr viel zahlen musste. Denn wie sich bald in kleinen Geschichten, Gesten und Momenten zeigt, die im gesamten Film immer wieder auftauchen und kleine halbdokumentarische Verweise liefern, ist es nicht nur außerordentlich schwer, als Frau im Iran das Handwerk des Schauspiels zu ergreifen, sondern auch unbeliebt. Diese Frauen werden verachtet, geschmäht und abschätzig behandelt. Und diesen Frauen gehört ultimativ der Film Panahis. 

Eine dritte Frau, ein drittes Gesicht wird noch hinzugefügt. Einmal im Dorf des Mädchens angekommen, treffen Panahi und Jafari dort auf eine berühmte Frau: Shahrzad. Vor der Revolution war sie eine große Schauspielerin, auch heutzutage kennen sie noch alle im Iran für ihre Filme. Doch Shahrzad ist in diesem Film nie wirklich zu sehen. Nur ihre Silhouette ist vorhanden, die Geschichten über sie, ihren Ruhm und ihren Fall und wie sie nun geächtet wird. Denn eine der vielen Repressalien gegen sie ist ein Arbeitsverbot, das seit den 1970er Jahren besteht. Doch wie Panahi rebelliert Sharzad dagegen. Sie mag nicht zu sehen sein, doch sie ist mehr als nur vorhanden in diesem Film.

Und so schafft es Panahi abermals, einen kleinen, auf der Oberfläche banal erscheinenden Nicht-Film zu machen, der mal mehr, mal weniger versteckt tiefe politische Kritik in sich trägt. Dieses Mal setzt er den Schauspielerinnen ein Denkmal, erzählt von ihren Leben und den riesigen Problemen, die sie haben, um sich auch nur halbwegs selbst zu verwirklichen. Dabei drängt sich Panahi nie als dominante Figur oder Erzähler auf. Im Gegenteil, oft ist die Kamera auf seine Begleiterin gerichtet, während er aus dem Bild verschwindet und nur als Stimme zu hören ist. Es gibt nur eine Kamera, es muss also entschieden werden, wer ihre Kadrierung bewohnen kann, wer wichtiger ist und wer nicht. Und so wird Three Faces auch zu einem stillen feministischen Manifest, den Frauen gewidmet, die hier von ihm mit viele Liebe und Respekt als das gezeigt werden, was sie wirklich sind: Künstlerinnen. Doch das ist nicht alles. 

Auf einer weiteren Ebene des Filmes gedenkt er nämlich noch einem anderen Kollegen: Abbas Kiarostami. Eindeutig integriert Panahi hier dessen cinema verité aus Filmen wie Der Wind wird uns tragen, um an ihn und sein Rebellieren zu erinnern. Dabei bleibt der Humor Panahis aber nicht auf der Strecke. Wie immer gibt es hervorragende aberwitzige Episoden um Menschen und Bräuche – hier vor allem durch eine Straße, die nur von einem Auto befahrbar ist, sich aber um einen Berg schlängelt. Panahi muss hier immer wieder vorbei und einem Hup-Ritual beiwohnen, bei dem diverse Autos den Vorrang der Straßenbenutzung austarieren müssen. Bis dann ein Zuchtbulle genau auf dieser Straße alles lahm legt. Eine wunderbare Metapher für den Iran selbst, nicht wahr? Und abermals ein Kommentar zur Genderpolitik eines Landes, das Zuchtbullen besser behandelt als Frauen und dessen Obsession mit der Vorhaut der Kinder, der unendlich viel Kraft beigemessen wird, so weit geht, dass Panahi bald eine davon in der Hand hat und gebeten wird, sie in Teheran an einem kraftvollen Ort zu vergraben, damit aus dem Jungen auch was wird. 

Und so erzählt Three Faces seine Geschichten, die so klein und so alltäglich sind, dass sie harmlos erscheinen, doch nein, das sind sie nicht. Ganz im Gegenteil. Man merkt diesem Film auch noch eine Änderung an. Nicht nur ist der Handlungsraum Panahis größer geworden, dieses Mal stehen auch Namen im Abspann. Was uns als alltäglich erscheinen mag, ist hier doch eine große, wichtige Geste. Man kollaboriert öffentlich mit dem Filmemacher, der nicht mehr Filme machen darf, und das ist erstaunlich, denn es ist gefährlich für alle Involvierten. Es scheint sich etwas zu tun im Iran. Diese Namen, die Mitarbeit Jafaris und anderer ist Teil eines Protestes. Hier leistet die Filmindustrie öffentlich Widerstand so gut es eben geht. Man kann allen nur wünschen, dass es gut ausgeht und sich die Dinge bessern. Nach Cannes durfte Panahi jedenfalls nicht reisen, da half auch die Intervention der Franzosen nicht. Sein Platz blieb leer bei der Weltpremiere. Doch er wurde trotz allem mit einem hoffnungsvollen und tosenden Applaus bedacht.

Drei Gesichter (2018)

Eine berühmte iranische Schauspielerin erhält ein Video mit dem Hilferuf einer jungen Frau, im dem sie darum gebeten wird, dieser bei der Flucht vor ihrer konservativen Familie zu helfen. In ihrer Ratlosigkeit wendet sie sich an ihren Freund, den Regisseur Jafar Panahi, der mit ihr herausfinden soll, ob das Video authentisch ist oder vielleicht eine Falle. Gemeinsam reisen die beiden in den gebirgigen Nordwesten des Iran, wo das Leben nach wie vor stark von Traditionen geprägt ist.

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Meinungen

Martin Zopick · 18.05.2021

Regisseur Jafar Panahi und die landesweit berühmte Schauspielerin Behnaz Jafari suchen im Landesinneren von Ost-Aserbaidschan nach der jungen Marziyeh (Rezaei), die ihnen ein Video zugeschickt hat, auf dem man sieht, wie sie versucht sich zu erhängen, weil ihre Eltern ihr nicht gestatten die Schauspielschule zu besuchen.
Es wird eine Fahrt in die Vergangenheit, auf der sie bei einer Hochzeit vorbeischauen und eine alte Frau beim Probeliegen in ihrem Grab interviewen.
Die äußerst mitteilungsfreudige Landbevölkerung überwältigen sie mit ihrer Gastfreundschaft, aber auch mit ihren Sorgen und Problemen. Ein wichtiges Geschenk für den weiteren Weg ist die Übergabe einer abgetrennten, in Salz eingelegten männlichen Vorhaut.
Klatsch und Tratsch der Dörfler zeigen, dass sie in einer anderen Welt leben. Klischees werden bestätigt wie z.B. die teetrinkenden Männer am Straßenrand.
Beharrlich arbeiten sich die beiden Großstädter an die Gesuchte heran, um am Ende festzustellen der Suizid war ein Fake.
Die Jury in Europa war wohl mehr von der Tatsache angetan, dass Panahi zu Hause Filmverbot hatte und folglich haben sie beinahe automatisch jeden Film von ihm prämiert. Ein politisches Signal für die Freiheit der Kunst und besonders für Festivals geeignet.