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Penner, Fixer, Obdachlose, Stadt- und Landstreicher, Vagabunden, Clochards: „draußen“ porträtiert vier Menschen, die außerhalb leben. Auf der Straße. Im Wald. Im Abseits der Gesellschaft. Sie können nicht zurück. Und haben sich deshalb entschieden.

draußen (2018)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Auf der Straße

Mit dem wallenden weißen Bart und dem sorgsam gekämmten Haar könnte er so was sein wie ein Guru. Aber prangt da nicht auf seinem weißen Gewand ein „Krombacher“-Logo? Auf seiner Jeansjacke: Ein Elvis-Porträt.  Er deckt den Tisch mit einem 1. FC Köln-Schal. Dekoriert sein Bett mit weiteren Fan-Schals.

Und ständig der Verkehrslärm: Er wohnt unter einer Brücke. Im Freien. Draußen. Das draußen des Filmtitels ist neben der metaphorischen Bedeutung – außerhalb der Gesellschaft – in Johanna Sunder-Plassmanns und Tama Tobias-Machts Porträt-Dokumentarfilm vor allem wörtlich zu nehmen: Man lebt im Freien, in der Stadt, richtet sein Wohnzimmer ein, wo ein Platz frei ist. Einer streift sogar durch die Wälder, lebt in den Bäumen.

Der vom Anfang, mit hessischem Dialekt, ist Freund von Ordnung. Und er ist besessen von Elvis Presley. Der hat ihm geholfen im Waisenhaus, eine schlimme Familiengeschichte, die er vor der Kamera erzählt. Nicht ausführlich. Aber genug. Wie auch alle anderen Protagonisten sich öffnen, sie scheinen froh zu sein, dass jemand ihnen zuhört – aber erzählen können sie teilweise nur, was schon verjährt ist. Und manches verschließen sie vielleicht auch vor sich selbst. Wie der Norddeutsche, der durch die Wälder zieht: Schlechte Gesellschaft in der Jugend; mit 14 haben ihn die Eltern rausgeschmissen. Der Großvater, der war eine Stütze … Von ihm hat er viel gelernt, was er jetzt im Wald gut gebrauchen kann. Und er zeichnet gerne: Plakatgroß aufgemalte Singvögel. Ein Kölner malt mit Kreide Straßengemälde. Und seinem Freund, einem Kasachen, zeichnet er auch mal ein Schaukelpferd auf, dessen vielleicht schönste Kindheitserinnerung.

Ihre Habseligkeiten sind in geradezu träumerischen Szenen um ihr Heim drapiert, hängen an Wand und Bäumen, sind vor ihrer Schlafstätte positioniert wie Waren im Schaufenster: Es sind Erinnerungen damit verbunden, ihre Persönlichkeit, ihr Leben. Ein rotes Herzkissen, „Ich liebe dich“ – der Hesse muss fast weinen, wenn er sein ganz persönliches Liebesmelodram erzählt, das sich vor über 40 Jahren abgespielt hat.

Was der Kasache erzählt, ist unglaublich: Ein völlig vermasselter Überfall auf einen Supermarkt, der aus einem Tarantino-Film stammen könnte. Offensichtlich hat er sich an Schwarzenegger und Jackie Chan orientiert, hat aber im wirklichen Leben nicht geklappt. War dauernd im Gefängnis, hängt an der Nadel und trägt in sich eine fatalistische Gleichmut, die schon bewundernswert ist. Überhaupt: Niemand jammert über sein Schicksal. Teilweise wurden sie reingeritten. Teilweise sind sie selbst schuld. Teilweise wissen sie das auch. Und haben es akzeptiert. Sind draußen. Und leben jenseits der gesellschaftlichen Normativität, so gut sie können. Sie sind draußen. Aber immer noch verbunden: Per Facebook halten sie sporadischen Kontakt zu dem, was von der Familie übrig ist.

draußen (2018)

Der Film begleitet vier Menschen, die auf der Straße leben. Um Matze, Elvis, Filzlaus und Sergio zu porträtieren, konzentrieren sich die Regisseurinnen auf die Gegenstände, die ihre Protagonisten bei sich tragen. Zudem kommt es zu ausführlichen Gesprächen.

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