Dragon

Eine Filmkritik von Lida Bach

A Chinese History of Violence

Der Hirnnerv verläuft millimeterbreit entlang des Nackens. Ein Glückstreffer für den unscheinbaren Papiermacher Liu (Donnie Yen), der im ländlichen China des Jahres 1917 einen gefürchteten Banditen vom Überfall auf den Dorfladen abhielt. Getroffen hat Liu aber auch den detektivischen Nerv des Ermittlers Xu (Takeshi Kaneshiro), dessen Nachforschungen Lius ruhigem Leben mit seiner Frau Ayu (Tang Wei) ein bitteres Ende setzen. In dem als Helden gefeierten Liu erkennt der Ermittler den einstigen Killer Tang Long der Triaden der 72 Dämonen. Hartnäckig wie Xu verfolgt Tang Long deren Meister (Jimmy Wang Yu), der den Hirnnerv so präzise zu durchtrennen versteht wie sein abtrünniger Sohn.
Wu Xia ist zugleich Hommage und Neuinterpretation der literarischen und cineastischen Heldenmythen Chinas, deren Gattungsnamen sich das opulente Kampfkunstwerk zu eigen macht. Die visuelle Opulenz von Klassikern wie The One-Armed Swordsman und Ashes of Time durchwirkt Regisseur Peter Chan mit der düsteren Finesse eines Psychothrillers. Das sich aus den Begriffen für Ritterlichkeit und Krieger zusammensetzende Bedeutungsfeld des Titels Wu Xia betrachtet Chan aus Xus skeptischen Augen. Die Zuverlässigkeit der Perspektive seines detektivischen alter egos inszeniert der Regisseur und Drehbuchautor so ungewiss wie die mögliche Wandlung Tang Longs. Versetzt sich Xu bei seiner akribischen Rekonstruktion der Kampfszene derart intensiv in die Rolle des Beobachters, dass er zum fiktiven Zeugen wird, verwebt Chan mit dezenter Ironie Schizophrenes und Deduktives, das die traditionelle Erzählstruktur in die zwielichtigen Winkel des Film noir führt. Bis in die Blutzellen und organischen Windungen der Protagonisten dringt das Zuschauerauge durch Xus Imagination vor, ohne den Charakter ergründen zu können, der sich mosaikartig aus Lius Biografie zusammenfügt.

Dessen Suche nach Lius wahrer Identität verläuft parallel zu Lius drohendem Selbstverlust. Je näher Xu dem Geheimnis des Papiermachers kommt, desto weiter entfernt sich Liu von seinem neuen, friedlichen Leben. Während sich die detektivische Schlinge um Lius Hals zuzieht, schnüren seine eigenen gewalttätigen Impulse ihm langsam die Luft ab. Die Leichtigkeit, mit der Liu die alten Kampfgriffe erinnert, enthüllt das Kriegerische als sein eigentliches Wesen. Der radikale Bruch mit dem alten Leben ist nur äußerlicher Natur. Liu ist nur ein hauchdünnes Konstrukt, gleich dem Papier, das er herstellt, Tang Long hingegen ist so ausdauernd und greifbar wie die Schläge, die er austeilt. Blicken Liu zu Beginn in Gestalt eines der 72 Dämonen zugleich die Dämonen der Vergangenheit ins Gesicht, weckt die Begegnung mit Lius Gerechtigkeitssinn auch seinen Killer-Instinkt. Der Detektiv, der einfache Mann, der von seiner finsteren Vergangenheit eingeholt wird, und der Triaden-Führer, der eine persönliche Rechnung mit ihm zu begleichen hat, repräsentieren unterschiedliche Umgangsweisen mit der Vergangenheit, die einander darin gleichen, dass sie tatsächlich Verdrängung sind.

Altes Gift gärt in jedem von ihnen: in Liu das seiner gewalttätigen Triebe, in dem Triaden-Meister der familiäre Hass und in Xu ein medizinisches Gift, das nur von einer Akupunkturnadel zurückgehalten wird. Die ornamentalen Schaugefechte sind zugleich visuelle Metaphern für Psyche und Identität der Figuren. Es gilt nur den wunden Punkt zu treffen; ein Schlag kann vernichten, an der Haut prallen Waffen ebenso ab wie positive Einflüsse am menschlichen Charakter. Und die Grenze zwischen Leben und Tod, Methodik und Manie ist fein wie ein Nadelstich. Das Gift in Xus Körper symbolisiert sein defätistisches Menschenbild, das ein von ihm Laufen gelassener Verbrecher ihm mit dem Serum injizierte. Der Menschheit könne er nicht trauen, sagt Xu: „Nur der Physiologie und dem Gesetz.“ Sein unerbittliches Anwenden des Kantschen Imperativs treibt Xus Schwiegervater in den Selbstmord und Xus Frau von ihm fort.

Ein Riss durchzieht seine Biografie gleich der Lius, dessen Charakter für Xu zum Synonym für den menschlichen Charakter, dessen Wandlungsfähigkeit und Mitgefühl wird. Jäger und Gejagter werden zu Verbündeten in ihrer Suche nach Erlösung und beide finden sie schließlich – in einem doppelbödigen Finale, das Schwarze Serie und Martial-Arts zu einem choreografisch und dramaturgisch gleichsam komplexen Noir-Eastern vereint.

Dragon

Der Hirnnerv verläuft millimeterbreit entlang des Nackens. Ein Glückstreffer für den unscheinbaren Papiermacher Liu (Donnie Yen), der im ländlichen China des Jahres 1917 einen gefürchteten Banditen vom Überfall auf den Dorfladen abhielt. Getroffen hat Liu aber auch den detektivischen Nerv des Ermittlers Xu (Takeshi Kaneshiro), dessen Nachforschungen Lius ruhigem Leben mit seiner Frau Ayu (Tang Wei) ein bitteres Ende setzen.
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