Dr. Alemán

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Der Gefahrensucher

Dass das Leben in der kolumbianischen Metropole Cali kein Zuckerschlecken ist, merkt der Medizinstudent Marc (August Diehl) gleich an seinem ersten Arbeitstag. Der AIP (Arzt im Praktikum), der sich dazu entschlossen hat, sein bisheriges wohl behütetes Leben in Frankfurt gegen ein Jahr in einer der gefährlichsten Städte der Welt einzutauschen, muss gleich einmal eine Kugel entfernen – und wie man ihm zu verstehen gibt, sind solche Operationen in Cali eher die Regel als die Ausnahme. Marc scheint das wenig auszumachen, viel eher hat es den Anschein, als böte ihm sein aufreibender Job eine willkommene Abwechslung zu seinem Zuhause, wo sein weiterer Lebensweg bereits vorgezeichnet ist. Denn in Frankfurt warten bereits seine Mutter und sein Bruder darauf, dass der Medizinstudent in die familieneigene Praxis einsteigt.
Marc scheint – anders als seine Kollegen im Krankenhaus – die Gefahr, das echte, wahre, ungeschminkte Leben förmlich zu suchen. Immer wieder treibt es ihn in die Armensiedlung Siolé und zu der Kioskbesitzerin Wanda (Marleyda Soto), sucht er die Nähe der herumlungernden Kids, die den „Dr. Alemán“ nicht nur wegen seiner stets gefüllten Brieftasche bewundern. Auch die Frauen fliegen auf den blonden deutschen Arzt, der für sie genauso viel exotischen Reiz ausübt wie sie auf ihn. Mit der Zeit und mit steigendem Kokainkonsum hält sich Marc für unantastbar. Alle Warnungen seiner Kollegen und seiner Gastfamilie, die gefährlichen Bezirke der Stadt zu meiden, ignoriert dieser geflissentlich.

Doch je mehr er sich in die undurchsichtigen sozialen Bande des Elendsviertels verstrickt, desto weniger gelingt es ihm, den Überblick und seine Neutralität in den Machtspielen der verschiedenen Banden zu behalten. Ein riskantes Spiel beginnt, als Marc zum „Leibarzt“ des Gangsterbosses „El Juez“ (zu Deutsch: der Richter, gespielt von Victor Villegas) ernannt wird. Zu spät merkt Marc, dass nicht er es ist, der die Regeln des Spiels bestimmt.

August Diehl mit seinem verschatteten Blick ist die Idealbesetzung für den angehenden Arzt – und das nicht nur, weil er – wie im Film zu bewundern, bestens spanisch spricht. Die Mischung aus Unruhe, Getriebenheit und Melancholie, die sein Spiel auszeichnet, deutet an, dass Marcs Gründe für sein Handeln irgendwo in seiner familiären Geschichte liegen, der frühe Tod des Vaters, die gut eingeführte Praxis seiner Mutter und die Erwartungshaltung, der er sich ausgesetzt fühlt, haben aus ihm einen gelangweilten jungen Mann gemacht, der bewusst die Gefahren des Elendsviertels sucht, weil dies vielleicht der letzte Kick ist, den er von seinem vorbestimmten Leben erwarten kann.

Sein Job in der Notaufnahme des Krankenhauses von Cali hat nichts zu tun mit den vergleichsweise glamourösen Arztserien im Fernsehen, sondern ist konkret, dreckig, schmerzhaft und von Verzweiflung, Armut und dem alltäglichen Überlebenskampf in der kolumbianischen Metropole geprägt. Tom Schreiber (Narren, Weltverbesserungsmaßnahmen) inszeniert Marcs Odyssee und Suche nach dem ultimativen Kick mit großem Realismus, immer wieder folgt er August Diehl wie ein Kriegsberichterstatter mit der Kamera, begleitet ihn auf seinen Exkursionen ins Herz der Finsternis, lässt die Leere seines Protagonisten mit der zynischen Abgebrühtheit der Ghettokids von Siolé zusammenprallen und so bereits vor dem Ende ahnen, dass der Dr. Alemán trotz aller Annäherung an das wahre Leben der Elendsviertel nichts von den Gesetzen verstanden hat, die hier herrschen.

Mit kleinen Abstrichen vor allem am Ende des Films, das insgesamt ein wenig zu tragisch ausfällt, bietet Dr. Alemán ein erschreckend realistisches Bild des Lebens in den Slums von Cali und die beeindruckende Charakterstudie eines deutschen Medizinstudenten, der mit seiner Lust auf Abenteuer eine Katastrophe auslöst. Ein Film, der vor allem durch seine Unmittelbarkeit besticht.

Dr. Alemán

Dass das Leben in der kolumbianischen Metropole Cali kein Zuckerschlecken ist, merkt der Medizinstudent Marc (August Diehl) gleich an seinem ersten Arbeitstag.
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Meinungen

Claus Schramm · 04.02.2022

Super dieser Film. Ich selbst kenne Cali und spreche spanisch. War schon ein paar Mal dort. Nun ich bin jetzt 72 Jahre alt. Ich soll und muss aus meinen Erfahrungen klarstellen: ich mag diese Menschen. Niemals würde ich in Colombia betrogen oder bestohlen. Mit dem Bus von Medellin über die Anden...bis nach Cali. Und noch viel mehr. Heute Abend per WhatsApp.. spreche ich wieder mit meiner Freundin in Cali. Ihr ex Ehemann...ist Frauenarzt. Eine Tochter studiert Medezin, die andere Jura. Mit Elizabeth, so heißt sie, war ich schon vor 10 Jahren bis auf die Insel San Andres unterwegs. Ohne Koks. Es ist ein Irrtum diese Menschen kategorisch zu diskriminieren. Wir lieben uns heute noch. Nach langer Zeit. La quiero y la amo Mi Elizabeth. Asi es. Y nunca y nadie es capaz de sapararnos. Hasta la muerte. Grüße aus Stuttgart von Claus Schramm

Lena · 14.09.2008

Mir hat der Film nicht gefallen aber ich fand ihn gut. Der junge Arzt geht nach Columbien um ein Abenteuer zu erleben. Genau das wollte ich als Zuschauer auch sehen. Er verhält sich ziemlich blöd, fühlt sich moralisch überlegen und kapiert nicht, dass er nicht die Regeln bestimmt. Nun, das habe ich auch nicht. Ich fand die südländische Musik toll, die Klischees und bis zum Schluß glaubte ich alles wird gut und die Gefährichkeit macht das Abendteuer nur größer. Erst als seine Freundin erschossen wurde, merke ich das es nicht so ist. So wie die dusslige Hauptfigur wohl auch. Dem Film ist es gelungen mich vorzuführen. Darum finde ich ihn gut, aber angenehm ist sowas nicht. Schön das nicht alle Filme nur zum Spaß da sind ;)

· 10.09.2008

Ansich ist/wäre die storry des Films super. Vorallem als Medizinstudent hab ich mich auf die Erfahrungen des jungen Arztes gefreut.
Allerdings war ich schwer enttäuscht. Ich finde die Hauptrolle total schlecht besetzt. Ich hatte nicht einmal das gefüht der Schauspieler könnte wirklich Medizinstudent sein. Seine Handlungen und Verhalten finde ich durchweg nicht nachvollziehbar (sein Verhalten den Ärzten gegenüber, einfach unbekümmert durch alle Stadtviertel ziehen, mehrfach Drogen nehmen, sich mit J einlassen, sein Grinsen in völlig unangebrachten Situationen...)
Ich war selber schon mehrmals in Südamerika in Krankenhäusern, zwar nicht in Columbien, aber ich denke von der Mentalität zu Columbien doch vergleichbar, wenn auch nicht von den Problemen des Landes. Ich habe die Ärzte irgendwie als viel Feundlicher und offen erlebt.
Naja aber es gab ja auch genug die den Film wirklich gut fanden, vielleicht hab ich den Sinn ein´fach nicht verstanden.

beccon · 07.09.2008

Naja, mir hat der Film gar nicht gefallen. Er zieht alle Register von Vorurteilen, die man aus unserer Sicht über Kolumbien haben kann:
- alle Frauen sind Schlampen und werfen sich den Ausländern sofort an den Hals (z.B. die Chica aus der Gastfamilie)
- alle sind korrupt bis zum geht nicht mehr, alle nehmen auf ihre Art und Weise Drogen
- die Grundstimmung ist zynisch (das wird bei uns so sein, wenn erst einmal ein paar große Stadtteile hier umgekippt sind - gibt aber die Realität in Kolumbien nicht wieder)

In der Realität ist Kolumbien ein ungewöhnlich positives Land mit anständigen und liebenswerten Bewohnern, die hart arbeiten um trotz aller Rückschläge, die es manchmal gibt, voran zu kommen. Das macht die Probleme von Chaos, Vewahrlosung und Gewalt, die ich gar nicht wegdiskutieren will, um so trauriger - denn man muß im Lande jedem erst einmal mißtrauen - auch wenn er/sie zu 99% Wahrscheinlichkeit anständig ist.

Wenn man sich nicht so tollpatschisch benimmt, wie unser Freund im Film, (und z.B. die Einheimischen ernst nimmt) kann man ohne Probleme nach Kolumbien reisen und kommt auch heil wieder zurück...

Conrad

http://www.youtube.com/watch?v=xBehebjiAsM

Uta · 03.09.2008

Denen dort sagen, was sie anders machen sollen. Und kennen uns mit uns selbst kaum aus. Ein sehr deutscher Ansatz und ein sehr kolumbianischer Film. Realistisch, humorvoll, gnadenlos.

GROSSARTIG!

Elgin · 24.08.2008

Hab in auch in OMU gesehen, im Central in Berlin. Hat mich sehr sehr berührt und finde, da ist viel Wahres dran. Aber ich war auch irritiert, vielleicht war das ja Absicht, ich weiß nicht. Man fühlt sich ja immer selbst als wär man gerade in diesem Land und alles ist fremd. Ganz spannend ist aber, ein Freund von mir hat mir ein Buch gegeben, in dem das Originaldrehbuch abgedruckt ist. Es heißt "Scenario 1: Drehbuch-Almanach", und hat hinten, nach vielen Interviews mit anderen Drehbuchautoren die ich noch nicht gelesen habe, das Originaldrehbuch zu "Dr. Aleman" und zwar in einer anderen Fassung, die extrem spannend zu lesen ist, vor allem wenn man den Film kennt. Einige Sachen sind mir da erst richtig klar geworden. Die Figur von Wanda ist da übrigens einige Jahre älter, was eine ganz andere Konstellation ergibt mit dem jungen Arzt, und man versteht viel besser ihre Hintergrundsgeschichte. Und der Killer, den ich im Film nicht so gelungen fand, hat in dem Drehbuch ganz andere Motive. Er will das Viertel nämlich von den Drogen befreien! Es ist mir unverständlich, warum das im FIlm nicht vorkommt, wahrscheinlich war es den Machern zu komplex, aber genau da ist im Film der einzige Punkt, wo es etwas platt erscheint.
Positiv hebt sich im Film allerdings das Ende ab, das im Buch noch etwas zu sehr nach Kompromiss wirkt. Allerdings macht es auch im Film eigentlich erst dann richtig Sinn, wenn man den Facettenreichtum des Buches und seiner Charaktere im Hinterkopf hat.

Manfred · 20.08.2008

Sah den Fil gestern in Hamburg im "3001", OmU. Er sit spannend gemacht, keine Frage, aber realistisch? Dafür ist die Hauptfigur zu unrealistisch, denn so blöd wie die sich benimmt, kann eigentlich niemand sein. August Diehl tritt so ziemlich in jedes Fettnäpfchen und macht alle Fehler, die man nur machen kann. In der Realität wäre er wahrscheinlich schon nach einer Woche tot gewesen.

swift · 15.08.2008

woaow, ich guck mir den nochmal an, aber diesmal auf spanisch.

· 13.08.2008

Ein Film, dessen Bilder einen noch lange verfolgen. Man möchte dem jungen Arzt, der sich immer weiter in den Wirrnissen der Slums von Cali verstrickt, ständig zurufen "Mensch, fahr nach Hause, kehr endlich in Deine heile Welt zurück"!Trotz seiner brutalen Authentizität enthält der Film auch sehr schöne, zarte Momente dank der Hauptdarstellerin.

Adrian · 05.08.2008

Also ich fand ihn absolut geil. Endlich mal ein Film, der die Sachen von einer anderen Perspektive anguckt. Lustigerweise waren wir zur viert in dem Preview, drei fanden es super, weil wir uns genau in der Hauptfigur wiederfanden und einer regte sich furchtbar auf, das wäre alles ganz unrealisitisch. Aber ein Film über den man richtig erhitzt reden kann hinterher beim Bier, das hab ich lange nicht mehr erlebt. Und ich hab dann hinterher sogar von diesem Viertel geträumt. Wobei im traum auch eine Frau mitspielte, die ich kenne... aber nun gut, das wird jetzt vielleicht etwas privat. Trotzdem, auch für die schönen "Spätfolgen": Höchste Sternzahl.

Roman · 05.08.2008

@ gast
Ich muss Linnemann, oder dem Publikum in Karlovy Vary rechtgeben. Habe den Film in Freiburg auf einer Vorpremiere gesehen und muss sagen: Endlich mal ein richtig guter deutscher Film. Erstens war die Kamera grandios. (so sehen Kinobilder aus) Zweitens ist der Film richtig spannend, wie der Trailer auch verspricht. Im Gegensatz zu anspruchlosen Filmen, werden endlich mal keine verkärende oder romantisierende Klischees über einen Deutschen im Ausland erzählt. Die Figur von August Diehl, glaubt durch seine moralische Überlegenheit, alles besser zu machen, als die anderen. Und genau dass klagt der Film in seinen bitteren Konsequenzen an.

Das du Vergleiche mit Sat.1 anstrebst, kann ich einfach nicht nachvollziehen. Dass du das ernst meinst, glaub ich dir nicht, oder will es nicht glauben, weil es absurd ist.

Ok, ok, jeder hat ein Recht auf seine eigene Meinung.

Aber schau dir Verliebt in Berlin doch mal richtig an. Diesen digitale Bildmurks mit 35mm Filmbildern auch nur ansatzweise in Verbindung zu setzen. AHHHHHHHH

So letztes Statement:

Der FILM IST KLASSE

Linnemann · 05.08.2008

@Gast
So gehen die Meinungen auseinander...witzig, ich hab den Film in Karlovy Vary gesehen, wo das Publikum völlig gefesselt war und nachher die Leute vom Team stürmisch feierte. In welcher Stadt hast du den Film gesehen?

· 05.08.2008

Gestern lief der Film in der Sneak Preview und ich hab bei weiten keinen schlechteren Film im Kino gesehen. Hab mir nun den Trailer angeschaut, dieser ist ordentlich mit Spannung geladen während man im Kino versucht die Leute zu zählen welche den Saal verlassen!!! Traurige versuche mit der Kamera eine schöne Perspektive zu erlangen scheitern bereits an der Schärferegulierung, das Bild verursacht Übelkeit bei den Zuschauern und die Stimmung ist bei weitem weniger als gut. Die Geschichte ist zwar gut verpackt, hätte sicherlich auch was interessantes und man hätte viel mehr daraus machen können. Selbst Serien aus dem Hause Sat 1 alá Verliebt in Berlin haben eher was auf der Kinoleinwand zu suchen als dieser Film! Tut mir leid...aber der Film bekommt nur "hätte hätte hätte..."